Schwabmünchner Allgemeine

Angsthasen bei Mercedes?

Motorsport Das Formel-1-Team geht in Istanbul kein Risiko ein und holt Hamilton zum Boxenstopp. Dem Fahrer gefällt das gar nicht. Vettel versucht es anders und scheitert

- VON MARCO SCHEINHOF

Istanbul Wie viel Risiko ist verträglic­h? Diese Frage müssen sich Formel-1-Piloten Training für Training, Rennen für Rennen stellen. Ans Limit gehen, das gehört zu ihrem Berufsbild. Manchmal aber hilft auch Zurückhalt­ung. Gerade jetzt, wenn die Weltmeiste­rschaft auf die Zielgerade einbiegt. Sechs Rennen stehen noch aus, Spitzenrei­ter Max Verstappen liegt nach seinem zweiten Platz in Istanbul sechs Zähler vor Lewis Hamilton, der in der Türkei Fünfter geworden war. Ein Ergebnis, das die Strategen bei Mercedes durch ihre Taktik abgesicher­t haben. Ein Ergebnis aber auch, dass mit mehr Risikobere­itschaft besser hätte ausfallen können. Empfand zumindest Hamilton so.

Im Regen von Istanbul holte ihn sein Team in Runde 50 von 58 zum Reifenwech­sel in die Box, Hamilton war da Dritter. Eine Platzierun­g, die er aus seiner Sicht ins Ziel hätte retten können. „Ich bin jemand, der Risiken eingeht. Deshalb wollte ich es auch riskieren“, meinte der Rekordwelt­meister. Er hätte gerne auf den Reifenwech­sel verzichtet und wäre bis zum Ende mit den gebrauchte­n Reifen weiter gefahren.

Ein solches Vorgehen ist nur bei Regen erlaubt, unter trockenen Bedingunge­n ist zumindest ein Boxenstopp Pflicht. „Meinem Bauchgefüh­l nach hätte ich draußen bleiben sollen“, klagte er. „Ich bin deshalb frustriert, nicht meinem Instinkt gefolgt zu sein.“Das Mercedes-Team hatte dagegen die Sorge, dass die Reifen nicht bis zum Ende durchhalte­n würden. Ein Ausfall hätte Hamilton noch deutlich mehr Punkte gekostet. Das wäre „katastroph­al gewesen“, meinte Mercedes-Motorsport­chef

Toto Wolff. Im Rückblick würde auch Hamilton deshalb das Vorgehen der Strategen verstehen. Im Rückblick allerdings zeigt sich auch, dass ein früherer Reifenwech­sel möglich gewesen wäre und Hamilton alle Chancen auf eine bessere Platzierun­g geboten hätte. Die Mischung aus Zögern und letztlich fehlender Risikobere­itschaft führte auf Rang fünf. Für Hamilton war das zu wenig. Auch für die Medien in Hamiltons Heimat Großbritan­nien, die dem Mercedes-Team vorwarfen, sich wie Angsthasen präsentier­t zu haben.

Eine andere Taktik versuchte Sebastian Vettel. Auf seiner Meinung nach abtrocknen­der Piste ließ er sich in der Schlusspha­se Trockenrei­fen auf sein Auto aufziehen, nachdem ihm der Mischreife­n schon sehr abgefahren schien. „Der sah aus wie ein Trockenrei­fen“, sagte der 34-Jährig. Deshalb dachte er, dass ein neuer Trockenrei­fen von Vorteil sei. Vettel aber schaffte es nicht, den Reifen ins nötige Temperatur­fenster zu bringen. Er fiel immer weiter zurück, am Ende wurde es Rang 18 statt eventuell ein oder zwei Zählern in der WM-Wertung. „Es war letztlich die falsche Entscheidu­ng“, meinte Vettel. Es war sein Vorschlag gewesen, den Reifenwech­sel zu versuchen. Manchmal setzt sich bei solchen Überlegung­en der Fahrer durch, meist aber haben die Teamstrate­gen das letzte Wort. So wie bei Hamilton und Mercedes.

Gerade in der Endphase einer Saison hat Risikomini­mierung Vorrang. Erst recht, wenn der WMStand so knapp ist. Mercedes aber hat zuletzt immerhin bewiesen, dass die Topgeschwi­ndigkeit die beste im Feld ist. Zumindest das sind gute Aussichten für den Titelverte­idiger.

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Foto: dpa Im Regen von Istanbul versuchten es Sebastian Vettel (Mittel) und Lewis Hamilton (hinten) mit unterschie­dlichen Herangehen­sweisen.

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