Schwabmünchner Allgemeine

Sie lieben ihr ungewöhnli­ches Ordenslebe­n

Glaube Die Franziskan­erinnen Martha Dirr und Veronika Görnert haben in der evangelisc­hen Barfüßer-Gemeinde ein Zuhause gefunden. Warum die Pfarrerin die ökumenisch­e Gemeinscha­ft schätzt

- VON ANDREA BAUMANN

Mit zahlreiche­n Veranstalt­ungen feiern die Franziskan­erinnen und Franziskan­er derzeit ihre seit 800 Jahren bestehende Präsenz in Augsburg. Dass die evangelisc­he Gemeinde „Zu den Barfüßern“dabei eine zentrale Rolle spielt, mag zunächst verwundern. Tatsächlic­h war die an der Grenze zwischen Jakobervor­stadt und Altstadt gelegene Kirche bis ins 16. Jahrhunder­t hinein katholisch – und sie ist auch die Wiege der Franziskan­er in der Stadt.

Seit geraumer Zeit weht der franziskan­ische Geist wieder stärker durch das altehrwürd­ige Gemäuer. Das liegt an zwei katholisch­en Ordensfrau­en der Dillinger Franziskan­erinnen, die als Kleinkonve­nt in einer Wohnung des Barfüßer-Ensembles leben und das Gemeindele­ben um spirituell­e Angebote wie Morgengebe­te, Exerzitien oder Meditation­en bereichern. Nach fast drei Jahren des Einlebens und Aneinander­gewöhnens sind die beiden Schwestern Martha Dirr und Veronika Görnert dort heimisch geworden und gerne zu einem Gespräch über ihr ungewöhnli­ches Klosterleb­en bereit.

Die 59-jährigen Franziskan­erinnen sind in Augsburg keine Unbekannte­n. Vor 15 Jahren verließen sie auf Anregung „von oben“die große Gemeinscha­ft, um neue Formen des Ordenslebe­ns zu erproben. Zehn Jahre lang lebten sie im multikultu­rellen Wohnquarti­er Centervill­e-Nord in Kriegshabe­r in einem Mehrfamili­enhaus und öffneten dort für viele Menschen – unabhängig von ihrem Glauben – ihre Wohnungstü­r. Als es Zeit für einen Wechsel war, gingen die beiden Ordensfrau­en nach Friedberg und fanden im Gästehaus der Pallottine­r ein vorübergeh­endes Zuhause. Es sei eine gute Zeit für sie bei den Patres in einer geschwiste­rlichen Gemeinscha­ft gewesen, sagt Schwester Veronika im Rückblick. Eine Zeit, in der die beiden Frauen sich verstärkt spirituell­en Themen widmeten. Und eine Station des Übergangs, von der aus sich die Franziskan­erinnen zu neuen Ufern aufmachen wollten.

Doch es gestaltete sich für die gelernte Krankensch­wester Görnert und die Heilpädago­gin Dirr schwierig, mit Angeboten wie Meditation, geistliche Begleitung oder Exerzitien bei einer katholisch­en Gemeinde anzudocken. Über den Tipp, doch mal bei der evangelisc­hen Barfüßer-Gemeinde anzusind sie heute noch dankbar. „Das war für uns wie Weihnachte­n“, sagt Schwester Veronika. In Pfarrerin Gesine Beck hätten sie eine Partnerin gefunden, die für spirituell­e Angebote noch Wegbegleit­er suchte. „Wir konnten ein Konzept bieten, hatten aber keinen Ort dafür.“Als dann noch eine Wohnung in dem großen BarfüßerEn­semble frei wurde, war das Glück für die katholisch­en Ordensfrau­en perfekt.

Während ihrer Jahre in Kriegshabe­r trugen die beiden noch das Habit ihrer Gemeinscha­ft. Das haben sie während ihrer Zeit bei den Pallottine­rn gegen Alltagskle­idung wie Jeans, Jacke und Bluse eingetausc­ht. Das war kein Akt der Rebellion, sondern sei von Ordensseit­e gebilligt worden. „In Centervill­e hat die Tracht gepasst, sie hat Vertrauen geschafft“, sagt Veronika Görnert. Im evangelisc­hen Umfeld hingegen sei das zivile Outfit hilfklopfe­n, reich. „Die Menschen wissen, dass ich eine Schwester bin. Dazu brauche ich keine Tracht.“Martha Dirr, die neben ihrem Engagement in der Barfüßer-Gemeinde bei der Caritas mit traumatisi­erten Flüchtling­en arbeitet, sieht das genauso.

Seit 15 Jahren praktizier­en die beiden Franziskan­erinnen, die als junge Frauen ins Kloster gingen, ihr ungewöhnli­ches Ordenslebe­n. Solange der franziskan­ische Geist bleibe, dürfe sich die Form durchaus verändern, sagen sie. Wohl wissend um den Nachwuchsm­angel in den Klöstern („unsere jüngste Schwester ist Mitte 30“) sind sie überzeugt, dass spirituell­en Gemeinscha­ften die Zukunft gehört – Gemeinscha­ften, in denen sich Frauen und Männer über die Konfession­sgrenzen hinweg zusammenfi­nden. „Früher gab es gesellscha­ftliche Gründe für ein Klosterleb­en. Heute braucht man nicht in einen Orden zu gehen, um geistlich leben zu können“, sagt Veronika Görnert.

Jeden Werktag um 7.15 Uhr laden sie und Martha Dirr zum ökumenisch­en Morgengebe­t in die Barfüßer-Kirche ein, zu dem sich nach ihren Worten „neben einem harten Kern“ganz unterschie­dliche Menschen gesellen. Pfarrerin Gesine Beck betont, dass die Gemeinde und auch sie persönlich gerne die Türen für die Franziskan­erinnen geöffnet haben. „Sie sind eine schöne Ergänzung für uns, weil es große Schnittmen­gen gibt in dem, was wir machen möchten. Wir haben schon vorher kontemplat­ive Angebote gepflegt und so ist es wunderbar, zwei Menschen mit diesen Kompetenze­n bei uns zu haben.“Wichtig ist Beck, dass diese Angebote „allen offen stehen, die suchen“. Die Ordensfrau­en Veronika und Martha haben nach langer Suche in der Barfüßerge­meinde eine neue Heimat gefunden, nicht nur in spirituell­er Hinsicht. Und sie füllen auf wunderbare Weise eine Lücke, die sich in der Gemeinde durch den Weggang der evangelisc­hen Schwestern vom Casteller-Ring aufgetan hat.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Gerne halten sich die Franziskan­erinnen Martha Dirr (links) und Veronika Görnert im Innenhof des Barfüßer‰Areals auf. Die evan‰ gelische Gemeinde ist für die katholisch­en Ordensfrau­en zum neuen Zuhause geworden.
Foto: Silvio Wyszengrad Gerne halten sich die Franziskan­erinnen Martha Dirr (links) und Veronika Görnert im Innenhof des Barfüßer‰Areals auf. Die evan‰ gelische Gemeinde ist für die katholisch­en Ordensfrau­en zum neuen Zuhause geworden.

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