Sie lieben ihr ungewöhnliches Ordensleben
Glaube Die Franziskanerinnen Martha Dirr und Veronika Görnert haben in der evangelischen Barfüßer-Gemeinde ein Zuhause gefunden. Warum die Pfarrerin die ökumenische Gemeinschaft schätzt
Mit zahlreichen Veranstaltungen feiern die Franziskanerinnen und Franziskaner derzeit ihre seit 800 Jahren bestehende Präsenz in Augsburg. Dass die evangelische Gemeinde „Zu den Barfüßern“dabei eine zentrale Rolle spielt, mag zunächst verwundern. Tatsächlich war die an der Grenze zwischen Jakobervorstadt und Altstadt gelegene Kirche bis ins 16. Jahrhundert hinein katholisch – und sie ist auch die Wiege der Franziskaner in der Stadt.
Seit geraumer Zeit weht der franziskanische Geist wieder stärker durch das altehrwürdige Gemäuer. Das liegt an zwei katholischen Ordensfrauen der Dillinger Franziskanerinnen, die als Kleinkonvent in einer Wohnung des Barfüßer-Ensembles leben und das Gemeindeleben um spirituelle Angebote wie Morgengebete, Exerzitien oder Meditationen bereichern. Nach fast drei Jahren des Einlebens und Aneinandergewöhnens sind die beiden Schwestern Martha Dirr und Veronika Görnert dort heimisch geworden und gerne zu einem Gespräch über ihr ungewöhnliches Klosterleben bereit.
Die 59-jährigen Franziskanerinnen sind in Augsburg keine Unbekannten. Vor 15 Jahren verließen sie auf Anregung „von oben“die große Gemeinschaft, um neue Formen des Ordenslebens zu erproben. Zehn Jahre lang lebten sie im multikulturellen Wohnquartier Centerville-Nord in Kriegshaber in einem Mehrfamilienhaus und öffneten dort für viele Menschen – unabhängig von ihrem Glauben – ihre Wohnungstür. Als es Zeit für einen Wechsel war, gingen die beiden Ordensfrauen nach Friedberg und fanden im Gästehaus der Pallottiner ein vorübergehendes Zuhause. Es sei eine gute Zeit für sie bei den Patres in einer geschwisterlichen Gemeinschaft gewesen, sagt Schwester Veronika im Rückblick. Eine Zeit, in der die beiden Frauen sich verstärkt spirituellen Themen widmeten. Und eine Station des Übergangs, von der aus sich die Franziskanerinnen zu neuen Ufern aufmachen wollten.
Doch es gestaltete sich für die gelernte Krankenschwester Görnert und die Heilpädagogin Dirr schwierig, mit Angeboten wie Meditation, geistliche Begleitung oder Exerzitien bei einer katholischen Gemeinde anzudocken. Über den Tipp, doch mal bei der evangelischen Barfüßer-Gemeinde anzusind sie heute noch dankbar. „Das war für uns wie Weihnachten“, sagt Schwester Veronika. In Pfarrerin Gesine Beck hätten sie eine Partnerin gefunden, die für spirituelle Angebote noch Wegbegleiter suchte. „Wir konnten ein Konzept bieten, hatten aber keinen Ort dafür.“Als dann noch eine Wohnung in dem großen BarfüßerEnsemble frei wurde, war das Glück für die katholischen Ordensfrauen perfekt.
Während ihrer Jahre in Kriegshaber trugen die beiden noch das Habit ihrer Gemeinschaft. Das haben sie während ihrer Zeit bei den Pallottinern gegen Alltagskleidung wie Jeans, Jacke und Bluse eingetauscht. Das war kein Akt der Rebellion, sondern sei von Ordensseite gebilligt worden. „In Centerville hat die Tracht gepasst, sie hat Vertrauen geschafft“, sagt Veronika Görnert. Im evangelischen Umfeld hingegen sei das zivile Outfit hilfklopfen, reich. „Die Menschen wissen, dass ich eine Schwester bin. Dazu brauche ich keine Tracht.“Martha Dirr, die neben ihrem Engagement in der Barfüßer-Gemeinde bei der Caritas mit traumatisierten Flüchtlingen arbeitet, sieht das genauso.
Seit 15 Jahren praktizieren die beiden Franziskanerinnen, die als junge Frauen ins Kloster gingen, ihr ungewöhnliches Ordensleben. Solange der franziskanische Geist bleibe, dürfe sich die Form durchaus verändern, sagen sie. Wohl wissend um den Nachwuchsmangel in den Klöstern („unsere jüngste Schwester ist Mitte 30“) sind sie überzeugt, dass spirituellen Gemeinschaften die Zukunft gehört – Gemeinschaften, in denen sich Frauen und Männer über die Konfessionsgrenzen hinweg zusammenfinden. „Früher gab es gesellschaftliche Gründe für ein Klosterleben. Heute braucht man nicht in einen Orden zu gehen, um geistlich leben zu können“, sagt Veronika Görnert.
Jeden Werktag um 7.15 Uhr laden sie und Martha Dirr zum ökumenischen Morgengebet in die Barfüßer-Kirche ein, zu dem sich nach ihren Worten „neben einem harten Kern“ganz unterschiedliche Menschen gesellen. Pfarrerin Gesine Beck betont, dass die Gemeinde und auch sie persönlich gerne die Türen für die Franziskanerinnen geöffnet haben. „Sie sind eine schöne Ergänzung für uns, weil es große Schnittmengen gibt in dem, was wir machen möchten. Wir haben schon vorher kontemplative Angebote gepflegt und so ist es wunderbar, zwei Menschen mit diesen Kompetenzen bei uns zu haben.“Wichtig ist Beck, dass diese Angebote „allen offen stehen, die suchen“. Die Ordensfrauen Veronika und Martha haben nach langer Suche in der Barfüßergemeinde eine neue Heimat gefunden, nicht nur in spiritueller Hinsicht. Und sie füllen auf wunderbare Weise eine Lücke, die sich in der Gemeinde durch den Weggang der evangelischen Schwestern vom Casteller-Ring aufgetan hat.