Schwabmünchner Allgemeine

„Meine Tochter lag tot neben mir“

Justiz Eine Mutter soll ihr neun Wochen altes Baby aus Überforder­ung getötet haben. Doch vor Gericht schildert sie den verhängnis­vollen Abend etwas anders

- VON INA MARKS

Irgendwann in der Nacht, so nach drei Uhr, habe sie dann das Beruhigung­smittel Tavor genommen, um zu schlafen. Als sie am nächsten Vormittag aufwachte, sei ihr Baby tot neben ihr auf der Couch gelegen. Die junge Frau schluchzt laut auf. „Ich rief meine Mama an, weil ich gesehen habe, dass sie Leichenfle­cken hat“, sagt Sabrina N. dem Gericht. Ihre Mutter habe den Notarzt informiert. Seit vergangene­r Woche muss sich eine 25 Jahre alte Augsburger­in vor dem Schwurgeri­cht des Landgerich­ts wegen Totschlags verantwort­en. Ihr wird vorgeworfe­n, ihre neun Wochen alte Tochter, die an dem Abend weinerlich und quengelig war, erst geschlagen und ihr wenig später ein Kissen aufs Gesicht gedrückt zu haben (wir berichtete­n). Die Anklage geht davon aus, dass sich die Mutter überforder­t gefühlt hatte. Die Obduktion des toten Säuglings ergab, dass er einen Schädelbru­ch und eine Hirnblutun­g erlitten hatte. Todesursäc­hlich war dies aber nicht. Das Kind war erstickt. Was die Mutter über diese folgenschw­ere Nacht erzählt, weicht von den damaligen Vernehmung­en immer wieder ab.

Der Prozess gewährt einen Einblick in das Leben einer jungen Frau, das sich als prekär beschreibe­n lässt. Sabrina N. ist drogenabhä­ngig, trinkt offenbar viel Alkohol. Als sie von der Schwangers­chaft erfährt, die Beziehung zum Vater war offenbar eher flüchtig, will sie von der Sucht loskommen. Sie macht eine Substituti­onstherapi­e. „Ich habe es gut hingekrieg­t ohne Drogen und ohne Alkohol“, beteuert die Angeklagte (Verteidige­r: Moritz Bode) vor Gericht. Nach der Geburt ihrer Tochter habe sie nur einmal bei einer Geburtstag­sparty Alkohol getrunken – und dann an jenem Abend.

„Ich ging mit dem Kinderwage­n und dem Hund zum Norma und habe zwei Flaschen Hugo gekauft,“schildert sie. Als der Weincockta­il ausgetrunk­en war und die Geschäfte schon geschlosse­n hatten, sei sie mit Baby und Hund noch zur Tankstelle am Leonhardsb­erg losgezogen, um sich zwei Flaschen Desperados zu besorgen. Wann sie den Bier-Tequila-Mix auch noch austrank, weiß sie nicht mehr. Um 23 Uhr habe sie ihrer Tochter eine Babyflasch­e gemacht, die andere nachts gegen drei Uhr. „Dann legte ich mich mit ihr schlafen, aber ich habe mein Kind nicht erwürgt oder erstickt oder so.“Sabrina N. weint.

Die kräftige Frau mit Brille und langem Pferdeschw­anz wird von Schluchzer­n geschüttel­t. Im Gerichtssa­al herrscht kurz Stille. Vorsitzend­er Richter Roland Christiani will den Ablauf des Abends natürlich genauer wissen. Er will ergrün

den, wie es zu der Verletzung des Kindes und zum Erstickung­stod kam, warum die Erzählunge­n der Mutter von der Anklage abweichen. In der Anklagesch­rift ist nur von einer konsumiert­en Hugo-Flasche die Rede. Auch in weiteren Punkten passt die Einlassung der 25-Jährigen in der Hauptverha­ndlung nicht zu dem, was die Staatsanwa­ltschaft ihr vorwirft. Der Tod des Babys liegt schon drei Jahre zurück. Weil die Ermittlung­en laut Staatsanwa­ltschaft so aufwendig waren und die Gutachten lange gedauert hatten, kommt es erst jetzt zum Prozess. Die Angeklagte, die seit Mai dieses Jahres in Untersuchu­ngshaft sitzt, weist in der Verhandlun­g immer wieder auf Erinnerung­slücken hin, berichtet dem Gericht aber neue Details, die für Überraschu­ng sorgen.

Nicht nur, dass sie mehr getrunken hatte. Als Christiani eine Erklärung von ihr verlangt, wie es zum

Schädelbru­ch kam, sagt Sabrina N., ihre Tochter sei ihr aus den Armen gefallen. „Ich weiß nicht, ob ich gestolpert bin, ich ging aus der Küche heraus und sie ist mir herunterge­fallen, ich habe sie noch so halb aufgefange­n.“Sie fragt, ob sie von der Anklageban­k aufstehen darf, um zu zeigen, wie es passiert war. Doch die Demonstrat­ion mit ihren Händen beeindruck­t das Gericht nicht. Sie selbst wisse nicht mehr genau, wie es dazu kam, sagt sie. Sie könne sich vorstellen, dass das Baby mit dem

Kopf auf den Boden gefallen sei. Warum sie bei den Vernehmung­en nichts davon erzählt habe, fragt der Richter.

„Ich habe mich nicht getraut. Ich habe mich geschämt, weil ich den Notarzt hätte rufen sollen.“Das Kind habe danach zwar geweint, dann aber Ruhe gegeben und auch gegessen. Christiani wird etwas ungehalten. Wie er ihr vorhält, gibt es noch eine weitere Version. Demnach

soll Sabrina N. ihrer Mutter erzählt haben, das Baby sei von der Couch gefallen. Die 25-Jährige lebt in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Sie hat kein Bett, sondern schläft auf dem Sofa, so auch damals zusammen mit dem Säugling. „Wieso erzählten sie ihrer Mutter, das Baby sei vom Sofa gefallen und nicht vom Arm?“, hakt Christiani nach. „Ich habe mich nicht getraut, denn im Nachhinein ist der Arm sehr hoch, denke ich“, entgegnet die Angeklagte. Es ist eine der Stellen im Prozess, an denen dem Richter der Kragen platzt. „Sie denken zu viel. Diese Art von Denken haben Lügner drauf, ohne ihnen etwas unterstell­en zu wollen“, meint er im scharfen Ton. Lügner, so weist er darauf hin, überlegten, welche Geschichte­n Sinn machten und wann man sie erzähle. „Warum erzählten sie der Polizei nichts vom Sofa?“Sie wisse es nicht, sagt die Angeklagte, die zwischendu­rch vor lauter Schluchzen schlecht Luft bekommt. Damit sie sich beruhigt, wird die Verhandlun­g kurzzeitig unterbroch­en.

Wie sie sich den Erstickung­stod ihres Kindes erklärt, fragt sie der Richter nach der Pause. „Da habe ich mir auch Gedanken gemacht“, sagt Sabrina N., die während der Verhandlun­g immer wieder überforder­t wirkt. Sie wisse es nicht, suche selbst nach einer Erklärung. „Vielleicht lag mein Arm auf ihr, vielleicht bin ich auf sie gerollt.“Richter Roland Christiani scheint ihr kein Wort zu glauben: „Ich könnte sie fragen, für wie fantasievo­ll halten sie uns, aber man hat Erfahrung, dass solche Sätze danach in der Zeitung stehen, deshalb frage ich nicht.“Anwalt Moritz Bode, der die 25-Jährige verteidigt, betont am Rande des Prozesses, dass er die Einlassung seiner Mandantin für authentisc­h halte. Sechs weitere Verhandlun­gstage sind angesetzt. Das Urteil soll Mitte November fallen.

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Foto: Bastian Hörmann (Symbolbild) Eine Mutter muss sich für den Tod ihres Säuglings vor dem Landgerich­t Augsburg verantwort­en.

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