Impft die Stadt mehr als das Umland?
Pandemie Bei Impfquote im Großraum Augsburg gibt es ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. Doch liegt die Stadt wirklich vorn? Warum Pendler und die Frage, wo ein Arzt seine Praxis hat, das Bild verzerren könnten
Eine Szene aus der Augsburger Annastraße in der vorigen Woche. Eine Frau, etwa Mitte 50, plaudert mit einer Bekannten. Plötzlich sagt sie: „Ich bin noch nicht geimpft.“Die Bekannte macht erschrocken einen großen Schritt zurück. Dann beginnen die Frauen, das Für und Wider der Corona-Impfung zu diskutieren. Auch bei der Stadt Augsburg merkt man: Es wird jetzt schwieriger, noch weitere Menschen von einer Impfung gegen Corona zu überzeugen. Jeder, der sich impfen lassen wollte, hatte längst die Gelegenheit. Trotzdem will die Stadt die Impfkampagne nicht einschlafen lassen. „Wir machen weiter“, sagt Bernhard Maurmeir, der städtische Impfkoordinator. Der Erfolg scheint der Stadt recht zu geben. Vergleicht man die Stadt mit den angrenzenden Kreisen, steht Augsburg bei der Impfquote deutlich besser da. Woran liegt das? Und sind die Zahlen wirklich zuverlässig?
Auf den ersten Blick sind die Zahlen – Stand Ende voriger Woche – eindeutig. Sie zeigen im Großraum Augsburg ein Stadt-Land-Gefälle. So haben bisher 65 Prozent aller Augsburgerinnen und Augsburger zumindest eine erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten, rund 62 Prozent sind vollständig geimpft. Der Kreis Augsburg liegt deutlich darunter, hier haben knapp 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zumindest eine erste Spritze mit dem Impfstoff erhalten, knapp 55 Prozent sind vollständig geimpft. Die Zahlen im Kreis Aichach-Friedberg sind ähnlich wie im Kreis Augsburg – und ebenfalls unter dem Niveau der Stadt Augsburg.
Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. In den vergangenen Monaten wurde schließlich immer wieder darüber diskutiert, ob die Impfkampagne speziell bei Menschen mit Migrationshintergrund und in sozial schwächeren Schichten weniger Erfolg hat. Demnach müsste Augsburg als relativ arme Stadt mit einem hohen Migrantenanteil eigentlich bei der Impfquote schwächeln. Das ist den Zahlen nach aber nicht der Fall, auch nicht im bayernweiten Vergleich.
Bei der Stadt Augsburg geht man davon aus, dass die Bemühungen, das Impfen so einfach wie möglich zu machen, Erfolg hatten. Es gab und gibt unter anderem Vor-Ortin Stadtteilen, bei Firmen oder an Schulen. Zudem gab es ein städtisches Infomobil, das an vielen Orten in der Stadt stand und für das Impfen warb. Aktuell gibt es das Angebot, dass ein mobiles Impfteam überall dort hinkommt, wo sich zehn Menschen finden, die sich impfen lassen wollen. Aber: Besondere Impfaktionen gab und gibt es teils auch noch immer in den Nachbarlandkreisen. Im Landkreis Augsburg komme ein Impfteam auch zum Hausbesuch vorbei - wenn es mindestens sechs Impfwillige gibt, sagt Jens Reitlinger, der Sprecher des Landratsamtes.
Schaut man genauer darauf, wie sich die Impfquote errechnet, so wirkt das Stadt-Land-Gefälle zumindest nicht mehr ganz so stark. Denn: Die Zahlen verraten zwar, wie viele Impfungen in einer Stadt oder einem Landkreis verabreicht worden sind. Sie sagen aber nichts darüber aus, wo die Menschen wohnen, die die Impfung erhalten haben. Ein Beispiel: Lässt sich eine Landkreisbewohnerin bei einem Arzt in Augsburg impfen, so erhöht das auf dem Papier die Impfquote in der Stadt, obwohl davon eigentlich der Landkreis profitieren müsste.
Man kann davon ausgehen, dass mehr Menschen aus dem Umland einen Arzt in Augsburg aufsuchen als umgekehrt. Ähnlich ist es beim Personal von Pflegeheimen, Krankenhäusern, Behörden oder Schulen. Sie alle konnten sich mit erhöhter Priorität am Arbeitsort und teils auch direkt in der Einrichtung impfen lassen. Auch hier kann man davon ausgehen, dass mehr Menschen aus dem Umland in der Stadt Augsburg geimpft wurden als es umgekehrt der Fall war. So argumentiert auch der Sprecher des Landkreises Aichach-Friedberg, Wolfgang Müller. Als Landkreis mit vielen Auspendlern dürfte die Quote in der Realität besser sein, ist er überzeugt.
Ob sich damit das ganze StadtLand-Gefälle erklären lässt, kann man aber zumindest bezweifeln. Das zeigt eine andere BeispielTermine
Rechnung: Schaut man auf die Pendlerströme zwischen der Stadt und Landkreis Augsburg, so kann man sehen, dass rund 18.000 Menschen mehr nach Augsburg zum Arbeiten einpendeln, als es Pendler gibt, die den umgekehrten Weg nehmen, also auspendeln. Selbst wenn man annehmen würde, dass sie alle ausnahmslos in der Stadt ihre Impfung erhalten haben, läge der Landkreis bei der Impfquote noch knapp hinter der Stadt.
Unabhängig von der Frage, wer wie viele Prozentpunkte vorne liegt beim Impfen, kann man davon ausgehen, dass die Quote überall etwas besser ist, als es die Zahlen vorgeben. Denn die Statistik der Städte und Kreise umfasst zwar die Impfungen in den Impfzentren, durch mobile Teams und in den Arztpraxen. Die Betriebsimpfungen fließen aber nicht ein. „Dazu haben wir leider nach wie vor keine Zahlen“, sagt der Augsburger Impfkoordinator Bernhard Maurmeir. Einer groben Schätzung zufolge könnte die Impfquote in der Stadt so an die fünf Prozent höher liegen. Demnach wären in Augsburg bereits rund 70 Prozent der Einwohner zumindest einmal geimpft. Das entspräche in etwa auch den bundesweiten Zahlen zur Abweichung bei der Impfquote, die kürzlich bekannt geworden sind.
Auch in den Landkreisen im Umland geht man davon aus, dass die echte Impfquote besser ist als die Statistik. Jens Reitlinger vom Landratsamt des Kreises Augsburg sagt: „Eine Schätzung dazu, auf welchen Wert sich unsere tatsächliche Impfquote belaufen müsste, haben wir nicht.“Wichtiger als die Quote sei ohnehin, dass es weiterhin Angebote gebe, die das Impfen einfach machen. Der Landkreis betreibe dafür „einigen Aufwand“.
Bei den Corona-Infektionen gibt es indes auch ein Stadt-Land-Gefälle – allerdings schneidet hier die Stadt schlechter ab. In Augsburg ist die Inzidenz seit Beginn der Pandemie tendenziell höher als im Umland. Das ist auch aktuell so. In der Stadt lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Montag bei 96,7. Im Kreis Aichach-Friedberg waren es 88,1 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von einer Woche, im Kreis Augsburg lag der Wert bei 76,2. Zuletzt waren die Zahlen überall relativ stabil. Zumindest bislang hat sich die gefürchtete vierte Welle noch nicht groß aufgetürmt.