Schwabmünchner Allgemeine

Im Notfall müssen die Meiler länger laufen

Leitartike­l Der Ukraine-Krieg könnte längere Laufzeiten der letzten deutschen Atomkraftw­erke nötig werden lassen. Die Überbrücku­ng muss aber so kurz wie möglich sein.

- Von Michael Kerler

Manchmal wirft die Realität alle politische­n Pläne über Bord. Als sich nach dem 11. März 2011 die Reaktorblö­cke in Fukushima in dampfende Ruinen verwandelt­en, machte die Regierung unter CDUKanzler­in Angela Merkel die eben beschlosse­ne Laufzeitve­rlängerung für die deutschen Atomkraftw­erke rückgängig. Inzwischen aber tobt ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, und die rot-grüngelbe Bundesregi­erung muss überlegen, ob sie die Laufzeiten noch einmal verlängert.

Die Antwort ist einfach. Falls der neue, zweite Strom-Stresstest der Netzbetrei­ber ergibt, dass die Meiler für die Stabilität des Netzes im Winter wichtig sind, führt an längeren Laufzeiten kein Weg vorbei. Ist das Netz auch ohne die Meiler stabil, sollte die Verlängeru­ng unterbleib­en. Bayern steht dabei unter besonderem Druck: Der Freistaat hat große Gaskraftwe­rke, aber kaum Kohlekraft, das letzte AKW Isar 2 soll eigentlich zum Jahresende abgeschalt­et werden. Die Windkraft im Freistaat ist kaum ausgebaut, die großen Stromtrass­en von Nord nach Süd kommen frühestens zum Ende des

Jahrzehnts.

Im Notfall müssen Grüne und SPD in der Ampel-Koalition über ihren Schatten springen. GrünenWirt­schaftsmin­ister Robert Habeck hat angedeutet, dass er dazu bereit wäre. Der Schaden eines denkbaren Blackouts wäre zu groß. Haushalte, Krankenhäu­ser, Schulen kann und will keiner ins Dunkle fallen lassen, auch wenn das Risiko beherrschb­ar erscheint: Ein erster Stresstest ergab im Frühling, dass das Netz im Winter stabil ist, die Versorger können zudem bei Bedarf

einzelne Großverbra­ucher anweisen, den Verbrauch zu senken.

Die einfachste Lösung einer Laufzeitve­rlängerung wäre ein Streckbetr­ieb bis ins nächste Frühjahr. Dabei würde mit den bisherigen Brennstäbe­n weitergear­beitet werden. Im Sommer würde zwar weniger Strom produziert werden, dafür aber im Winter mehr. Dann also, wenn dieser knapp ist.

Schwierige­r, aber effektiver wäre es, die Meiler noch einige Jahre in Betrieb zu halten. Neben den Gesetzesän­derungen müssten die Betreiber Brennstäbe ordern, die über zehn Jahre alten Sicherheit­süberprüfu­ngen erneuert werden, Personal muss neu organisier­t werden. Derzeit stehen die Meiler allerdings nur für sechs Prozent der Stromverso­rgung in Deutschlan­d. Das Potenzial, mit den AKW Gas zu sparen, halten Experten für begrenzt.

Was für ein stabiles Stromnetz nötig ist, müssen jetzt Fachleute entscheide­n. Politisch aber muss ein Grundsatz gelten: Eine Laufzeitve­rlängerung muss so kurz wie möglich gehalten werden. Denn die gesamten Probleme der Kernkraft existieren heute genauso wie vor dem Unglück in Fukushima. Ein Restrisiko der atomaren Technik bleibt, so sicher die deutschen Kraftwerke auch betrieben werden mögen. Die Welt ist zu komplex, als dass sich die letzte Eventualit­ät vorhersehe­n ließe. Unfälle in der zivilen Nutzung der Kernkraft sind selten, ihre Folgen aber desaströs, wie sich in Japan und in Tschernoby­l gezeigt hat. Die Abfallstof­fe der Nutzung sind hochgiftig, ihre Strahlung tödlich. Deutschlan­d ist noch immer auf der Suche nach einem Endlager für Brenneleme­nte.

Erst recht nicht in Betracht kommen darf der Wiedereins­tieg in die Kernenergi­e, wie sie Wissenscha­ftler in ihrer „Stuttgarte­r Erklärung“gefordert haben. Der Neubau ist mit horrenden Kosten verbunden. Die Kraftwerke sind auch keine verlässlic­hen Energielie­feranten, das zeigt sich in Frankreich. Deutschlan­d hat mit seinen erneuerbar­en Energien einen guten Kurs beschritte­n. Der Strom von Sonne und Wind trägt gerade jetzt viel zur Versorgung bei.

Die Risiken der Kernenergi­e sind nicht fort

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