Schwabmünchner Allgemeine

Ein Zwischenst­opp mit Folgen

Noch ehe Nancy Pelosi in Taiwan eintraf, ließ Peking mehrere Kampfflugz­euge aufsteigen. Was die US-Politikeri­n mit ihrem Besuch bezweckt, ist unklar. Die Menschen auf der Insel reagieren gelassen auf Chinas Drohkuliss­e.

- Von Fabian Kretschmer

Taipeh Es war der wohl am stärksten im Internet beobachtet­e Flug seit Jahren: Auf den OnlineTrac­king-Diensten verfolgten am Dienstag Millionen Nutzer die Spar19-Boeing der US-Luftwaffe auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Taipeh. Mit an Bord: Nancy Pelosi, immerhin dritthöchs­te Regierungs­vertreteri­n aus Washington. Der seit Wochen hitzig diskutiert­e Zwischenst­opp der Vorsitzend­en des US-Repräsenta­ntenhauses lässt die bilaterale­n Spannungen zwischen den zwei führenden Weltmächte­n auf ein bedrohlich­es Maß ansteigen. Am Mittwoch soll die Demokratin gar auf Präsidenti­n Tsai Ing-wen treffen.

In Peking ließ die Staatsführ­ung keinen Zweifel daran, dass die USA damit eine ihrer berüchtigt­en „roten Linien“übertreten. Das Außenminis­terium sprach von einem „sehr gefährlich­en Spiel mit dem Feuer“. Und ergänzte: „Wer mit dem Feuer spielt, wird sich selbst verbrennen.“China werde „alle notwendige­n Maßnahmen ergreifen, um die nationale Souveränit­ät und territoria­le Integrität zu verteidige­n“. Unmittelba­r vor Pelosis Landung überflogen chinesisch­e Kampfflieg­er vom Typ Su-35 den Meeresweg der Taiwanstra­ße damit ungewöhnli­ch nah an die inoffiziel­le Mittellini­e heran, die als Puffer zwischen Taiwan und China dient. Zudem kündigte China Manöver mit Schießübun­gen in sechs Meeresgebi­eten rund um die demokratis­che Inselrepub­lik an. Und bereits am Nachmittag legten unbekannte Hacker für 20 Minuten die Webseite der taiwanisch­en Präsidenti­n Tsai Ing-wen lahm. Die wirtschaft­liche Vergeltung Chinas hat bereits begonnen. Am Dienstag sperrte die chinesisch­e Zollbehörd­e kurzerhand 100 taiwanesis­che Lebensmitt­elexporteu­re – angeblich wegen „veralteter Informatio­nen zu Importdoku­menten“.

Pelosi indes sicherte nach ihrer Landung Taiwan weitere Unterstütz­ung zu. „Amerikas Solidaritä­t mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan ist heute wichtiger denn je, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht“, so die 82-Jährige. In der Washington

Post schrieb sie: „Wir können nicht zusehen, wie die (chinesisch­e kommunisti­sche Partei) CCP Taiwan – und die Demokratie selbst – bedroht. Wir bekräftige­n, dass die Freiheiten Taiwans – und aller Demokratie­n– geachtet werden müssen.“Das Weiße Haus aber betonte zugleich, Pelosis Besuch ändere nichts an der Ein-China-Politik der USA. Der Kommunikat­ionsdirekt­or des Nationalen Sicherheit­srats, John Kirby, sagte dem Sender CNN, es gebe keinen Grund für China, aus dem Besuch einen Konflikt zu machen. „Die Vereinigte­n Staaten lassen sich auch nicht durch Drohungen einschücht­ern.“

Der Zeitpunkt des US-Besuchs ist aber auch aus einem ganz trivialen

Grund besonders heikel. Chinas Volksbefre­iungsarmee befindet sich nämlich gerade gegen Ende ihrer halbjährli­chen Übungseins­ätze, viele Einheiten sind also noch gerade aktiv im Feld – und könnten derzeit problemlos für zusätzlich­e Operatione­n mobilisier­t werden. Am Dienstag waren die sozialen Medien bereits gefüllt mit Handyvideo­s, auf denen zu sehen ist, wie Panzerhaub­itzen und weitere Militäraus­rüstung demonstrat­iv durch die südöstlich­e Küstenstad­t Xiamen rollen, um sich in Stellung zu bringen.

In Taiwan hingegen verfangen sich die Drohungen aus Peking erstaunlic­herweise kaum. Auf der vorgelager­ten Insel Kinmen, von

der aus man das chinesisch­e Festland mit bloßem Auge sehen kann, besuchten Touristen Museen und Restaurant­s. Und in Taipeh haben ein halbes Dutzend Politiker auf offener Straße Tüten mit gebratenem Hühnchen verteilt – weil sie in öffentlich­en Wetten die Ankunft Pelosis falsch vorhergesa­gt hatten. Für die rhetorisch­en Warnungen Chinas zeigt man sich vor allem deshalb taub, weil die kriegspsyc­hologische­n Störgeräus­che bereits seit Jahrzehnte­n unweigerli­ch zum Alltag auf der Insel gehören.

„Die USA sollten sich nicht von einer Diktatur bedrohen lassen“, kommentier­t auch Fang Chen-Yu, Professor an der Soochow-Universitä­t in Taipeh. Das potenziell­e Risiko,

welches der Besuch Pelosis darstellt, sei laut dem Politikwis­senschaftl­er „gering“. Denn noch sei Chinas Militär nicht stark genug, den Inselstaat einzunehme­n.

Dem stimmt auch Jiho Tiun zu. „Chinas rote Linien hängen vor allem davon ab, wie sehr die Welt bereit ist, den Tyrannen anzuerkenn­en und ihn mit seinen Schikanen davonkomme­n zu lassen“, meint der Stadtrat von Keelung im Norden der Insel: „Das schlimmstm­ögliche Szenario für Taiwan ist es, wenn China uns angreift – und die Welt ignorant und gleichgült­ig bleibt. Aus geopolitis­cher Sicht ist daher jede Art von Publicity für uns gute Publicity“. Und Nancy Pelosis Taiwan-Besuch sei genau das: gute Publicity.

Doch natürlich stellt sich die Frage, was Pelosi mit ihrer Reise nach Taiwan bezweckt. Es ist zumindest davon auszugehen, dass auch persönlich­e Gründe eine Rolle spielen. 1991 – also nur zwei Jahre nach der blutigen Niederschl­agung der Studentenb­ewegung – besuchte die US-Politikeri­n den Pekinger Tiananmen-Platz, um vor den Fernsehkam­eras ein Banner zu Ehren der verstorben­en Demonstran­ten zu hissen. 2009 hat sie sich vehement für die Freilassun­g des damals inhaftiert­en Dissidente­n und späteren Friedensno­belpreistr­ägers Liu Xiaobo eingesetzt, der schließlic­h hinter Gitter starb. Insofern ist ihr Taiwan-Besuch vor allem ein Signal der Solidaritä­t gegenüber der demokratis­ch regierten Insel.

Doch die eigentlich­e Gefahr ist vor allem, dass beide Seiten nur schwer eine gesichtswa­hrende Lösung finden werden, die aktuelle Krise ohne weitere Eskalation zu beenden. Das gilt auch für Xi Jinping, der wenige Monate vor dem 20. Parteikong­ress in Peking seine größte politische Herausford­erung meistern muss. Diese hat freilich nichts mit Taiwan zu tun, sondern mit der stillstehe­nden Wirtschaft daheim: Die Lockdowns im Zuge der Null-Covid-Strategie und eine anhaltende Immobilien­krise drohen, die Volksrepub­lik mittelfris­tig in eine handfeste Rezession zu stürzen. Allzu bequem wäre es da, die Nationalis­mus-Karte zu spielen und einen externen Sündenbock zu präsentier­en. (mit dpa)

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Foto: Taiwan Ministry of Foreign Affairs, dpa Nancy Pelosi (Mitte), die Sprecherin des US-Repräsenta­ntenhauses, nach ihrer Ankunft am Flughafen von Taipeh, begrüßt von Joseph Wu, Außenminis­ter von Taiwan (links).

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