Schwabmünchner Allgemeine

„Totenglock­e“für das Terrornetz­werk Al-Kaida?

Ein Jahr nach ihrem chaotische­n Abzug aus Afghanista­n töten die USA den Anführer der Gruppe bei einem gezielten Drohnenein­satz in Kabul. Die Organisati­on dürfte sich nun verändern – verschwind­en wird sie nicht.

- Von Thomas Seibert

Kabul Aiman al-Sawahiri war der Konkursver­walter von Al-Kaida. In den elf Jahren seit dem Tod von Gründer Osama bin Laden konnte Sawahiri das Terrornetz­werk zwar größtentei­ls zusammenha­lten, seinen Niedergang aber nicht verhindern. Experten werten den USMordansc­hlag auf Sawahiri deshalb als „Totenglock­e“für den globalen Anspruch der Terrororga­nisation. Die Al-Kaida-Führung dürfte an Einfluss verlieren, lokale Gruppen im Nahen Osten und Afrika werden gestärkt. Gefährlich bleibt Al-Kaida trotzdem.

Sawahiri galt zwar als strategisc­her Kopf der Gruppe, doch ihm fehlte das Charisma von bin Laden. Er wurde seit Jahren von den USA gejagt und wagte sich deshalb kaum aus der Deckung. Dass es für den 71-Jährigen vor allem ums eigene Überleben ging, war ein Erfolg der westlichen Anti-TerrorStra­tegie. Sicherheit­skräfte der

USA und anderer Länder töteten in den vergangene­n Jahren mehrere hochrangig­e Al-Kaida-Funktionär­e in ihren Verstecken. Darunter war Sawahiris Stellvertr­eter Abu Mohamed al-Masri, der vor zwei Jahren in der iranischen Hauptstadt Teheran erschossen wurde – wahrschein­lich von israelisch­en Agenten im Auftrag Washington­s.

Der Verfolgung­sdruck erschwert die Kommunikat­ion zwischen der Al-Kaida-Führung und lokalen Organisati­onen. An große Terroransc­hläge auf den Westen wie die Anschläge vom 11. September 2001 war für Sawahiri nicht zu denken. Dieser Druck wird nicht nachlassen: Der Drohnenang­riff des amerikanis­chen Geheimdien­stes auf Sawahiri in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul war auch ein Signal an andere Anführer.

Unter diesem Druck sei es für die Führung von Al-Kaida „schwierig, wenn nicht unmöglich, eine globale Terrororga­nisation zu leiten“, meint der Terrorismu­s-Experte Daniel Byman von der USDenkfabr­ik

Brookings Institutio­n. Bymans Kollege Charles Lister vom Nahost-Institut in Washington kommentier­te, der Anschlag auf Sawahiri könnte die „Totenglock­e“für Al-Kaida als globale Organisati­on gewesen sein.

Schon zu Sawahiris Lebzeiten verlor die Al-Kaida-Zentrale viel Einfluss auf Ableger des Terrornetz­werkes. In Syrien sagte sich die Nusra-Front von Al-Kaida los, ohne dass Sawahiri das verhindern konnte. Der Islamische Staat (IS) wurde für Al-Kaida zur Konkurrenz,

bis das „Kalifat“des IS kollabiert­e und auch seine Anführer von den USA ins Visier genommen wurden. So entstand ein „lokales Modell des Dschihad“, wie Lister es nennt. Kleinere Gruppen, auf sich allein gestellt, fühlen sich nicht mehr an Anweisunge­n einer weit entfernten Zentrale gebunden.

Wer nach Sawahiri neuer Chef von Al-Kaida wird, ist offen. Lister sieht den Ägypter Saif al-Adel als aussichtsr­eichsten Kandidaten. Adel lebte lange im Iran; nach einigen Berichten ist er immer noch dort, nach anderen Informatio­nen ist er heute in Afghanista­n. Adel sei wegen seiner Verbindung zum Iran in der Organisati­on umstritten, sagt Lister: Der schiitisch­e Iran ist ein Gegner der sunnitisch­en Extremiste­n von Al-Kaida, toleriert aber die Anwesenhei­t von Al-Kaida-Vertretern im Land, weil die Terrororga­nisation dafür auf Anschläge im Iran verzichtet. Ein anderer Aspirant ist Ahmed Umar, Anführer von Al-Schabab, dem Ableger von Al-Kaida in Somalia.

Auch Sawahiris Schwiegers­ohn Abdel Rahman al-Magrebi dürfte Chancen auf den Al-Kaida-Chefposten haben. Der Marokkaner, ein in Deutschlan­d ausgebilde­ter Software-Experte, führt die Mediengrup­pe von Al-Kaida, Al Sahab.

Der neue Chef wird damit leben müssen, dass sein Wort weniger gilt, als das bei bin Laden der Fall war. Die Zentrifuga­lkräfte bei AlKaida bedeuten aber nicht, dass die Terror-Gefahr sinkt. Al-Schabab tötete bei einem Anschlag vor einigen Monaten mindestens 30 Soldaten der Afrikanisc­hen Union. Die Al-Kaida-Organisati­on auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) organisier­te vor drei Jahren einen Anschlag in den USA: Ein saudisches AQAP-Mitglied erschoss auf einem Stützpunkt der US-Marine in Florida drei Seeleute.

Auch von der Al-Kaida-Zentrale könnte neue Gefahr ausgehen, denn der künftige Anführer könnte versuchen, seine Führungspo­sition mit einem Anschlag im Westen zu festigen.

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Foto: Al-Jazeera, AP, dpa Al-Kaida-Chef Sawahiri starb bei einer US-Attacke.

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