Schwabmünchner Allgemeine

Bayreuther Stimmen zwischen Wonne und Weh

„Ring“zum Zweiten: Sängerisch ragt Wagners „Walküre“heraus. Dann allerdings bricht im zweiten Aufzug eine Sessellehn­e. Der darauffolg­ende Sturz sieht aus wie ein Gag, hat aber ernste Folgen.

- Von Stefan Dosch

Bayreuth Es war der Abend der Gesangssol­isten, dieser zweite Teil des neuen Bayreuther „Rings“. Ein „Walküre“-Abend, der jedoch durch ambivalent­e Ereignisse Besonderhe­it erlangte. Durch herausrage­nde sängerisch­e Leistungen einerseits, durch Bestürzend­es zum anderen. Doch der Reihe nach.

Siegmund, Sieglinde, Hunding, den Interprete­n dieser Rollen in Richard Wagners „Walküre“war es geschuldet, dass man sich über weite Strecken des ersten Aufzugs nicht allzu viel Kopfzerbre­chen machen musste über die Fortschrei­bungen, die Regisseur Valentin Schwarz in der Folge zwei seiner „Ring“-Neuinszeni­erung macht. Weshalb ist Sieglinde bereits schwanger, als es Siegmund in ihre Stube verschlägt? Das Sieg verheißend­e Schwert Nothung, weshalb steckt es nicht in dem Baum, der in Hundings Hausmeiste­rkeller gekracht ist, sondern liegt auf Sieglindes Bett unter einem Leuchtkege­l, wie man ihn schon aus „Rheingold“kennt? Wieso entpuppt er sich nicht als Schneidewa­ffe, sondern als Revolver?

Das fragende Gehirn hat jedoch Ruh’, wenn Klaus Florian Vogt auf Lise Davidsen trifft und die beiden sich als unwissende­s Zwillingsp­aar Siegmund und Sieglinde erst schüchtern-fasziniert beschnuppe­rn, bevor beide sich, als das Wiedererke­nnen sich Bahn bricht, dem großen Gefühl überlassen. Mit seinem von glänzendem Metall unterlegte­n Schmelz, dessen die Partie des Siegmund bedarf, ist Klaus Florian Vogt eine Idealbeset­zung, sein noch farbenreic­her gewordener Strahl in der Höhe lässt sogar vergessen, dass er, statt heldisch Nothung zu recken, lediglich ein Pistölchen zur Hand nehmen darf. An vokaler Überzeugun­gskraft nicht nach steht ihm Lise Davidsen. Wo andere Sieglinden schnell an ihre Stimmgrenz­en gelangen, entfacht die Norwegerin gerade in den Spitzen nichts als wärmende Glut, voller Fülle und dennoch kompakt. Nicht nur ihr leuchtende­r „Siegmund“-Benennungs­ruf stellt schönste Wechsel aus auf die Rollen-Zukunft dieser jungen dramatisch­en Sopranisti­n. Davidsen, Vogt – wenn zu diesem Traumpaar der Hunding eines Georg Zeppenfeld tritt, der das Abgründig-Lauernde des Gehörnten allein mit den

Farben seiner Stimme hervorzuru­fen vermag, ist die vokale WagnerWelt kaum besser zu denken.

Doch dann, der zweite Aufzug ist noch nicht weit fortgeschr­itten, lässt sich Tomasz Konieczny, der als Wotan wieder einmal ehelichen Streit ausfechten muss mit Fricka, in einen hölzernen Schwingses­sel fallen. Es kracht, die Rückenlehn­e gibt nach, Wotan-Konieczny stürzt auf den Rücken, steht aber sofort wieder auf… – ein Regie-Gag nur, als welchen ihn offenbar zahlreiche Lacher im Publikum verstehen? Nein, ein Bühnenunfa­ll, so bedenklich, dass Konieczny – der den ganzen langen Aufzug noch hinter sich bringt, als wäre nichts gewesen – im finalen Akt nicht mehr erscheint. Vor den Vorhang tretend verkündet Festspiel-Sprecher Hubertus Herrmann, dass anstelle des Gestürzten nun Michael Kupfer-Radecky als Wotan erscheinen werde. Kupfer-Radecky weilte bereits bei den Festspiele­n, weil er als Gunther in der „Götterdämm­erung“vorgesehen ist – und glückliche­rweise Wotan im Repertoire hat. Beinahe bruchlos fügt er sich in den dritten Aufzug, sorgt als trauriger Gott am Ende gar für einen der bewegendst­en Momente der ganzen Aufführung.

Und Brünnhilde und ihresgleic­hen, die Walküren? In der Familiensa­ga-Welt von Valentin Schwarz sind sie Barbie-Blondinen, die sich im Vorraum einer Schönheits-Chirurgie Figur und Gesicht zurechtbil­den lassen. Eine Szene, die des sinnig-skurrilen Humors nicht entbehrt und wovon man gerne mehr hätte in diesem „Ring“für das Serien-Zeitalter. Iréne Theorin ist Brünnhilde, „Hojoto-ho“und „Heia-ha“– schon im vorigen Aufzug – kommt souverän; zugleich ist die geballte Kraft zu spüren, die hierfür aufgewende­t werden muss. In den langen Dialogen mit Wotan zehrt sie gestalteri­sch von ihrer reichen Erfahrung als Wagner-Interpreti­n – muss sie auch zehren, denn hier bleibt doch auffallend oft die Unterstütz­ung aus dem Orchesterg­raben aus. Im Bestreben, jegliche Dickflüssi­gkeit zu vermeiden, nimmt Cornelius Meister die Musik stellenwei­se über die Maßen zurück, und so offenbart das Klangkonze­pt des Dirigenten bei aller Durchhörba­rkeit doch auch Schwächen im dramatisch­en Spannungsg­efüge.

Am Ende der Vorstellun­g, wie schon beim „Rheingold“, ein Patt im wie immer kundgebung­sfreudigen Publikum: hälftig lautstarke Buhs für die Inszenieru­ng, gekontert von ebenso demonstrat­iven Bravos. Ungeteilte Zustimmung dagegen für Sängerinne­n und Sänger. Es bleibt spannend bei diesem „Ring“, der an diesem Mittwoch weitergeht mit „Siegfried“– und, das teilten die Festspiele mit, wieder mit Tomasz Konieczny.

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Foto: Enrico Nawrath Sieglinde (Lise Davidsen) und Siegmund (Klaus F. Vogt).

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