Uni geht gegen sexuelle Belästigung vor
Mit einem neuen Beratungsangebot sollen insbesondere Studentinnen und Studenten der Universität Augsburg besser vor sexualisierter Diskriminierung und Übergriffen geschützt werden. Fälle gab es immer wieder.
Der frühere amerikanische Pop-Superstar R. Kelly ist nur einer von vielen Fällen, die zuletzt bekannt wurden. Der Musiker wurde in einem Missbrauchsprozess zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Er ist ein besonders krasses Beispiel. Sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Übergriffe auf junge Frauen sorgen gerade im Film- und Showbusiness häufig für Schlagzeilen. Im Zuge der MeToo-Debatte rückt das Thema Sexismus aber auch in der Arbeitswelt und im Wissenschaftsbetrieb stärker in den Fokus. An der Universität Augsburg reagiert man mit einem besonderen Angebot. Es soll insbesondere eine Gruppe auf dem Campus besser schützen.
Uni-Frauenbeauftragte Susanne Metzner sagt: „Es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, der von sexueller Diskriminierung und Belästigung verschont bleibt, auch Hochschulen nicht.“Opfer seien nicht nur Frauen, sondern auch Männer und Transpersonen. An Universitäten gibt es aber noch ein spezielles Problem: Zwar sind sie, wie alle Arbeitgeber, gesetzlich dazu verpflichtet, Mitarbeiter davor zu schützen. Die Gruppe der Studierenden falle jedoch nicht ausdrücklich unter das Verbot sexualisierter Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) , erläutert Metzner. An der Uni Augsburg sind es immerhin fast 20.000 Studentinnen und Studenten. Für sie geht es darum, gute Noten zu bekommen. Damit stehen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Dozentinnen und Dozenten, das grundsätzlich zu problematischen Situationen führen kann. Wie groß ist die Gefahr?
Belastbare Zahlen, wie stark die Universität von Sexismus betroffen ist, gibt es nicht. Metzner verweist auf eine allgemeine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Danach waren insgesamt neun Prozent der Befragten in den vergangenen drei Jahren von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Ein Grundsatzpapier der Bundesfrauenbeauftragten-Konferenz geht davon aus, dass sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an deutschen Hochschulen genauso alltäglich sind wie im privaten Umfeld. Junge Studentinnen sind
laut einer Studie am häufigsten betroffen. Die große Mehrheit der Fälle ereignet sich danach außerhalb der Hochschule im „privaten Umfeld“. Allerdings wird das subjektive Sicherheitsempfinden auf dem Campus meist deutlich negativer eingeschätzt. „Die wenigen bekannt gewordenen Fälle an Hochschulen geben kaum Aufschluss über die tatsächliche Gewaltbetroffenheit von Studentinnen, denn insgesamt ist die Dunkelziffer hoch und die wenigsten Vorfälle werden hochschulinternen Beschwerdestellen anvertraut“, heißt es in dem Expertenpapier.
Sexuelle Belästigung und Gewalt seien ein unangenehmes Thema, sagt Metzner. Als Frauenbeauftragte war es ihr umso wichtiger, das bisherige Hilfsangebot für Betroffene an der Universität auszuweiten – mit einer Regelung, die auch für die vielen Studierenden greift:
„Wir haben den Schirm ganz groß aufgespannt“, sagt die Professorin für Musiktherapie und ausgebildete Psychotherapeutin. Denn die Problemlage sei komplex. Es gehe nicht nur um flapsige Bemerkungen oder um unerwünschte Berührungen, sondern weit ins Vorfeld hinein. Im Blick stehen auch nicht alleine die Opfer.
Seit rund einem Jahr gibt es an der Uni Augsburg ein zusätzliches Angebot, das nun per Rundmail bei den Zielgruppen beworben wird: Betroffene Universitätsangehörige können auf einer Online-Plattform (https://uni-augsburg.evermood.com/) niederschwellig und anonym Kontakt aufnehmen. Interessenten finden dort Informationen, Ansprechpersonen und die Möglichkeit für eine Erstberatung. Beraterinnen und Berater, die zur Verfügung stehen, sind unterschiedlichen Geschlechts und kommen
aus verschiedenen Gruppen der Universität. Unter ihnen sind auch Studierende. Alle Berater sind laut Metzner zur Vertraulichkeit verpflichtet. Sie kommen aus einem Pool von Ehrenamtlichen und Profis, die speziell geschult sind und regelmäßig fortgebildet werden. Auf der Plattform findet man weitere Informationen, etwa für Zeuginnen und Zeugen von Szenen sexueller Belästigung und auch für Täter, die zumindest manchmal einen Ausweg suchen, das eigene Fehlverhalten zu korrigieren.
Metzner sagt, die digitale anonyme Kontaktaufnahme sei eine Ergänzung zum bisherigen Beschwerdeverfahren nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz an der Uni. Wichtig sei ihr gewesen, die Erstberatung zu professionalisieren. „Es gibt in Situationen sexueller Belästigung sehr oft Grauzonen, damit muss man umgehen können.“ Die Anlaufstellen für Beratung und für Beschwerden seien nun auch strikt voneinander getrennt. Damit bleibe ein Schutzraum für Ratsuchende erhalten. Sie könnten selbstbestimmt entscheiden, ob sie nach einem Gespräch ihr Anliegen weiterverfolgen und offiziell Beschwerde einlegen wollen.
Dass Sexismus an der Universität ein sensibles Thema ist, kann man im Alltag beobachten. Bei Beratungsgesprächen zwischen Dozenten und Studierenden ist es heute üblich, die Zimmertür offenzulassen. Nach Einschätzung der Frauenbeauftragten gibt es aktuell ein Problembewusstsein, aber wohl kein akutes strukturelles Problem auf dem Campus. Seit Einrichtung der Plattform vor einem Jahr meldeten sich nach ihren Angaben erst zwei Personen anonym zur Beratung auf der Online-Plattform an. Schaut man nach den Zugriffszahlen im Internet, scheint das Interesse an der Information allerdings groß zu sein. Die Seite wurde laut Metzner in den vergangenen zwölf Monaten 7223 Mal von 4439 Besuchern angeklickt.
Einzelfälle von sexueller Diskriminierung oder Belästigung beschäftigen Verantwortliche der Uni immer wieder. In den drei Jahren ihrer Amtszeit seien ihr drei Fälle bekannt geworden, sagt die Frauenbeauftragte. In zwei Fällen habe es eine Beratung mit „internen Lösungen“gegeben. Eine der Betroffenen suchte danach eine Psychotherapie wegen eines Vorfalls in der Vergangenheit, eine weitere wollte wegen einer sexuellen Belästigung Tipps von Fachleuten, wie sie sich selbst verhalten soll, um sich zu schützen. Der dritte Fall war justiziabel. „Die Tatperson ist ihren Job losgeworden“, sagt Metzner.
Aus ihrer Sicht ist jeder Einzelfall einer zu viel. An der Universität gebe es eine klare Haltung, wonach Sexismus unerwünscht ist. Zudem ist sexuelle Belästigung ein Straftatbestand. Metzner glaubt, dass die neue Online-Plattform eine präventive Wirkung haben kann. Die Web-Seite sei intern inzwischen recht bekannt. Die Uni Augsburg ist nach ihren Angaben die erste in Bayern, die mit dieser digitalen Plattform arbeitet. Anfragen nach den Erfahrungen kommen nicht nur von anderen Hochschulen im Freistaat, sondern aus ganz Deutschland.