Droht ein „Waldsterben 2.0“?
Förster und Waldbesitzer im Augsburger Land sind in Sorge: Sobald die Temperaturen steigen und die Trockenheit zunimmt, hat der Borkenkäfer leichtes Spiel.
Die Wasserspeicher im Boden sind gut gefüllt. Das zeigt ein Blick auf die Karte zu den Grundwasserständen im Landkreis Augsburg. Aber reicht das Wasser, damit die Wälder gut durch das Frühjahr und den Sommer kommen? Wie sind die Prognosen für dieses Jahr?
„Die Fichten starten gut in die neue Vegetationsperiode, aber ein trockenes Frühjahr und überdurchschnittliche Temperaturen können die sehr gute Ausgangssituation schnell aushebeln“, erklärt Silvio Mergner. Er ist der neue Leiter der Forstbetriebs Zusmarshausen der Bayerischen Staatsforsten, die in der Region rund 14.000 Hektar Wald betreuen. Auf nasse Böden sind vor allem Fichten mit ihren flachen Wurzeln angewiesen, erklärt Ralf Gang vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Stadtbergen. Doch mittlerweile würden die Böden schneller austrocknen als früher. Wenn es dann noch heiß und trocken ist oder gar hagelt, dann würden die Fichten ihre Nadeln verlieren und anfälliger für Pilze und Borkenkäfer sein. „Vergangenes Jahr hatten wir die größten Fangquoten an Borkenkäfern. 8000 in der Woche“, erinnert sich Gang. Das hatte Folgen.
„Die Schäden im Augsburger Raum sind deutlich gestiegen“, erklärt Mergner. In Bayern sei so viel Schadholz durch Borkenkäfer wie noch nie angefallen: sechs Millionen Festmeter. Betroffen war hauptsächlich der Frankenwald. Die Borkenkäfer-Schäden im Bereich des Forstbetriebs Zusmarshausen waren zwar vergleichsweise gering. Sie beliefen sich auf rund 18.000 Festmeter. Mehr als doppelt so viel ging bei den Unwettern, wie Sturm Ronson im Juli 2023, zu Bruch. Das Thema Borkenkäfer macht den Förstern dennoch Kummer.
Denn zum einen ist die Ausgangspopulation beim Käfer hoch. Zum anderen haben Buchdrucker und Co. mitunter leichtes Spiel: Denn noch immer finden sich durch Schnee und Sturm umgeworfene und umgeknickte Bäume in den Wäldern. „Die sind bei uns vor allem in den südlicheren Revieren des Forstbetriebs über die gesamte Fläche verteilt. Die geschädigten Bäume sind daher sehr zeitund kostenintensiv aufzuarbeiten, wir wollen aber unbedingt mit wenig Brutmaterial ins neue Jahr starten“, erklärt Mergner. Aktuell begehen und kartieren die Staatsforsten-Mitarbeiter die Flächen. Die geschädigten Bäume werden trotz des größeren Aufwands aufgearbeitet. „Gleichzeitig pflanzen und pflegen wir dort, wo Mischung verschiedener Baumarten erhalten werden kann.“
Mergner rät allen Waldbesitzern: „Sie sollten sorgfältig nachsehen in ihren Wäldern, ob Schäden vor dem Schwärmflug aufgearbeitet werden sollten, um dem Borkenkäfer weniger Brutraum in Form geschwächter Fichten zu bieten.“Der Flug sei je nach Witterung ab April möglich. Laut Mergner sollte auch der Waldumbau mit Hochdruck angegangen werden.
„Er muss mit aller Konsequenz verfolgt werden.“Die Experten seien sich einig, dass es keine Frage sei, ob Schwaben einmal eine Situation wie im Frankenwald erlebt. Vielmehr gehe es um den Zeitpunkt. „Deshalb muss bereits jetzt das Risiko auf mehrere Baumarten gestreut werden. Wir müssen alles dafür tun, Wasser, Nährstoffe und
Licht im Wald so zu steuern, dass Baumartenvielfalt möglich ist. Und natürlich müssen die Wildbestände angepasst sein, nicht aus Jagdlust, sondern um Naturverjüngung zu ermöglichen und Pflanzungen durchzubringen“, sagt Mergner. Im Frankenwald ist angesichts der Schäden schon von einem „Desaster“und einem „Waldsterben 2.0“die Rede.
Der Faktor Zeit spiele eine große Rolle, wenn der Wald eine neue Optik erhalten soll. Es dauere Jahrzehnte,
um den Wald neu zu gestalten, sagt Ralf Gang. Allerdings wäre es nicht das erste Mal. Schon im Mittelalter hätten Waldbesitzer ihre Buchenmischwälder mit Eichen durchsetzt, als Nahrung für Schweine. Die Fichte hat ihren Siegeszug vor 200 bis 300 Jahren angefangen, da damals mehr Bauholz und Brennholz gefragt war. Die Stauden im Westen von Augsburg hatten so ihren Namen erhalten: Sie wurden größtenteils abgeholzt.
Am Ende wuchsen nur noch Stauden. Dann wurde aufgeforstet – mit schnell wachsenden Fichten. Die Baumart gilt heute als Brotbaum. Die Fichte ist immer noch sehr beliebt. Sie wird aber nach und nach durch Tannen, Douglasien und Lärchen ersetzt, die ähnlich gut geeignet sind.
Private Waldbesitzer, die ihren Wald klimatolerant umbauen möchten, bekommen vielfältige Hilfe: So hat das AELF im Landkreis Augsburg bis zu zwei Millionen Euro Fördergelder übrig und hilft bei der Auswahl der Bäume. Laut Ralf Gang ist das Ziel, weg vom monotonen Fichtenwald hin zur Vielfalt zu kommen. Tanne, Eiche, Buche, Bergahorn, Linde, Ulme und Waldkirsche, Douglasie oder Lärche seien gefragt. Gang betont: „Keine Baumart ist die Lösung. Wir müssen uns breit aufstellen.“Dem stimmt Mergner zu. Er ergänzt: Zu Dreivierteln verjünge sich der Wald auf natürliche Weise über Samen. Der Mensch helfe nur ein bisschen nach. Ein Beispiel: Im Schatten unter mittelalten Fichten gedeihen Buchen und Tannen, sagt Gang. Parallel dazu könne man Bäume nach und nach ausdünnen.
Die Fichte begann ihren Siegeszug vor 200 bis 300 Jahren.