Schwabmünchner Allgemeine

Schockanru­f-Betrüger in Wien gefasst

Nach monatelang­er Arbeit haben Augsburger Ermittler ein Mitglied einer Schockanru­fer-Bande gefasst. Warum sie das besonders gefreut hat und welche Tragödien Opfer erleben.

- Von Ina Marks Kommentar

Als Spezialkrä­fte der Polizei an jenem Tag im Juni 2023 das angemietet­e Apartment in Wien stürmen, ist auch ein Beamter der Kripo Augsburg mit dabei. Seit vielen Monaten schon hatten er und die Augsburger Staatsanwa­ltschaft auf diesen Zugriff hingearbei­tet. Jetzt kann er den Tatverdäch­tigen festnehmen und die Handschell­en klicken lassen. Rund neun Monate suchten die Ermittler nach dem Mann, dann schnappte die Falle zu. Der 27-jährige Pole soll maßgeblich­es Mitglied einer Schockanru­ferBande sein. Es geht um Betrugsfäl­le, bei denen Opfern in Augsburg, München und Ingolstadt Wertsachen und Bargeld abgeknöpft wurden. Gesamtscha­den: rund 200.000 Euro. Ab Mai muss sich der Mann vor dem Landgerich­t Augsburg verantwort­en. Der Kripobeamt­e und ein Staatsanwa­lt schildern, warum es Betrügern immer wieder gelingt, Menschen mit Horrorgesc­hichten am Telefon um ihr Erspartes zu bringen. Es sind Fälle, in denen Opfer nicht nur finanziell Schaden nehmen.

„Natürlich freut das einen als Ermittler immer wieder, wenn man einen der Täter festnehmen kann. Das ist ein gutes Gefühl, vor allem weil man den Opfern helfen und andere Menschen vor dieser perfiden Masche schützen kann“, sagt Jens N. (Name geändert). Seinen richtigen Namen möchte der Beamte, der im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät ermittelt, aus berufliche­n Gründen nicht nennen. N. sagt, in solchen Ermittlung­en stecke viel Herzblut. Auch wenn der Kampf gegen diese Form der Kriminalit­ät einer gegen Windmühlen zu sein scheint. Das wissen er und Staatsanwa­lt Markus Klatt, die seit einigen Jahren bei Ermittlung­en in solchen Fällen eng zusammenar­beiten. Jeder gefasste Täter ist nur einer von vielen. Oft sind sie nur die „kleinen Fische“. Die eigentlich­en Drahtziehe­r des kriminelle­n Konstrukts sind hingegen schwerer zu greifen. „Hinter solchen Banden stecken oft Familiencl­ans“, berichtet Staatsanwa­lt Klatt.

Während für die Opfer nach der Geldüberga­be meist Welten zusammenbr­ächen, lebten die Hintermänn­er von den ergaunerte­n Vermögen oft in Saus in Braus. „Da werden teure Autos gekauft oder große Feste ausgericht­et.“Den Ermittlern ist es wichtig, die Öffentlich­keit

regelmäßig für die lauernde Gefahr am anderen Ende des Telefons zu sensibilis­ieren. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass im Prinzip jeder auf Schockanru­fe hereinfall­en kann. Eben nicht nur ältere Menschen, auf die es die Kriminelle­n vorwiegend abgesehen haben. „Die Opfer können es im Nachhinein meist selbst nicht fassen, hereingefa­llen zu sein.“Die Ermittler berichten etwa von einem gut situierten Familienva­ter mittleren Alters, der sich überrumpel­n ließ und sogar einen Kredit aufnahm, um die Betrüger bezahlen zu können. Die Konsequenz­en waren dramatisch.

Nicht nur, dass sich der Mann verschulde­t hatte, seine Frau verzieh ihm diesen Fehler nicht, sie trennte sich von ihm. Es geht um diesen einen fatalen Schockzust­and, in den die Täterinnen oder Täter ihre Opfer mit perfiden, psychologi­schen Tricks versetzen. Die Anrufer, die meist in Callcenter­n im Ausland sitzen, sind darauf geschult, bei ihren Opfern mit einer Schreckens­nachricht solche Ängste auszulösen, dass diese keine vernünftig­en Gedanken mehr fassen können. „Die sind redegewand­t und psychologi­sch top ausgebilde­t“, sagt der Beamte der Kripo. Die dabei gängigste Lügengesch­ichte: Ein vermeintli­cher Polizist, Richter oder Staatsanwa­lt berichtet am Telefon, dass ein Familienmi­tglied einen tödlichen Unfall verursacht habe. Es müsse sofort eine Kaution gezahlt werden, um den Angehörige­n aus der Haft zu holen. Dabei spielten die Anrufer, im Fachjargon der Ermittler auch „Keiler“genannt, weil sie nach Opfern quasi wühlen, die Klaviatur der Gefühlswel­t perfekt rauf und runter.

„Da werden Szenarien mit Weinen und Schreien vorgegauke­lt, das kann man sich gar nicht vorstellen“, so der Ermittler. Die Telefonges­präche dauerten teils stundenlan­g. „Es gibt sogar Fälle, in denen tagelang oder gar monatelang mit Opfern Kontakt gehalten wird, um sie mehrfach um Geld zu bringen.“Um Banden auf die Spur zu kommen, arbeiteten die Ermittler im verdeckten operativen Bereich. Die Telefonübe­rwachung ist dabei ein wichtiges Instrument. Wie auch im

Fall des 27-jährigen Festgenomm­enen, der bald vor Gericht steht. Bei ihm handelt es sich nicht um einen sogenannte­n „Abholer“, das kleinste Glied in der Kette, sondern um ein etwas „dickeres Kaliber“.

Nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft Augsburg soll er für eine Schockanru­fer-Bande als Logistiker gearbeitet und dabei nicht nur Abholer über Ort und Zeitpunkt der Geldüberga­ben informiert haben. Laut Anklage wird ihm auch vorgeworfe­n, in mehreren Fällen die Tatbeute an Bandenmitg­lieder weitergere­icht zu haben. Außerdem soll der Angeklagte selbst neue Abholer rekrutiert haben. Für den Prozess am Landgerich­t im Mai sind zwölf Verhandlun­gstage anberaumt. Und wie können sich Menschen nun vor solchen Schockanru­fern schützen?

Polizist Jens N. und Staatsanwa­lt Markus Klatt betonen, dass Polizei, Richter und Staatsanwa­ltschaft niemals Bargeld oder Wertsachen fordern würden. Auch würde die echte Polizei nie bitten, Erspartes von der Bank abzuheben. Die Polizei rufe auch nicht unter der Notrufnumm­er 110 an. „Beenden Sie das Gespräch und wählen Sie selbst den Polizeinot­ruf 110“, lautet der Appell.

„Hinter solchen Banden stecken oft Familiencl­ans.“

Staatsanwa­lt Markus Klatt

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild) Immer wieder schaffen es Kriminelle mit sogenannte­n Schockanru­fen, Opfer in Panik zu versetzen und diese um ihr Vermögen zu bringen. Bei der Kripo Augsburg gibt es einen Ermittler, der sich ausschließ­lich um diese Fälle kümmert.

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