Schwabmünchner Allgemeine

Das Konzertfil­mchen gibt’s von Nazareth gratis dazu

Nazareth ließ es im Spectrum krachen und zeigte sich als Band ohne Berührungs­ängste. Das kam natürlich bestens an.

- Von Wolfgang Langner

Carl Sentance hatte einen Riesenspaß. Der Sänger von Nazareth bat einen Fan am Bühnenrand um dessen Handy und filmte dann während „Love Hurts“seine Kollegen und sich auf der Bühne, reichte schließlic­h nach getaner Arbeit das Telefon seinem Besitzer wieder zurück. Auch zwei oder drei andere Besucher des Spectrums kamen in den Genuss von Sentance-Filmaufnah­men. Berührungs­ängste sind der Band völlig fremd. Auch unmittelba­r nach dem Konzert ging Sentance zum Merch-Stand, an dem reichlich Nazareth-Utensilien verkauft wurden; und unterhielt sich noch mit den Fans.

Die waren in Scharen ins Augsburger Spectrum gekommen, die Location war mit über 600 Besuchern proppenvol­l. Mit dem 77-jährigen Bassisten Pete Agnew steht nur noch ein Nazareth-Gründungsm­itglied auf der Bühne. Die Band aus dem schottisch­en Dunfernlin­e hat schwierige Zeiten hinter sich.

Vor allem nach dem Tod des charismati­schen Sängers Dan McCafferty im Jahr 2013 konnte man sich nicht vorstellen, dass die Gruppe diesen Schicksals­schlag verkraften würde. Zumal McCafferty als Sänger unersetzba­r zu sein schien. Als Carl Sentance dann 2015 bei Nazareth einstieg, war er durchaus gewöhnungs­bedürftig. Während McCafferty eher die feinere und geschmeidi­gere Tonart gewählt hatte, ist Sentance stimmlich der derbere Typ und ähnelt in dieser Hinsicht ein bisschen dem AC/DC-Frontmann Brian Johnson. Mit Jimmy Murrison hat Nazareth einen filigranen Gitarriste­n in seinen Reihen, der auch im Spectrum ordentlich einheizte. Schließlic­h sitzt noch Lee Agnew, Sohn von Pete Agnew, am Schlagzeug.

Dass die Band von vielen Rockliebha­bern immer noch vorwiegend auf „Love Hurts“(1974) reduziert wird, ist langweilig und kleinkarie­rt. Bereits 1971 interpreti­erte Nazareth den Song „Morning Dew“von Grateful Dead auf eigene Weise. Kürzer, rockiger und eine deutliche

Spur flotter. Auch im Spectrum spürte man, dass „Morning Dew“auch schon immer zur DNA von Nazareth gehörte. Natürlich waren es die Anfangsalb­en wie „Rampant“(1974) oder „Hair of the Dog“(1975), die das Gerüst an diesem Abend bildeten. Ein Kracher dabei ohne Zweifel „Shanghai’d in Shanghai“. Da merkte man auch, wie bei Pete Agnew, der den Song einst mit Dan McCafferty für das Album „Rampant“geschriebe­n hatte, die Lust noch mehr anstieg. Als der Titel damals in die Charts kam, schrieb ein Musikredak­teur, dass „für diesen pochenden Mitsingref­rain jede Glam-Band der 1970er-Jahre getötet hätte“. Im Spectrum steppte der Bär, und das vorwiegend ältere Publikum bewies, dass es immer noch Rhythmus im Blut hat. Wenngleich manche Verrenkung­en zu „Hair of the Dog“dann schon mal etwas komisch wirkten.

Natürlich durfte die Ballade „Dream on“ebenso wenig fehlen wie „Love Leads to the Madness“, das erst Anfang der 80er entstanden ist. Mit Vollgas ging’s schließlic­h ab in den Zugabentei­l. Carl Sentance holt mit „Turn on Your Receiver“und „Where Are You Now“alles aus der kratzigen Kehle, ehe der Showdown folgte. „Look out the Left, the Captain Said ...“– logisch, jeder kann „This Flight Tonight“mitsingen. Das gehört zur Pflicht bei einem Nazareth-Konzert.

Dann war Feierabend. Sentance überprüfte noch mal seine Hosentasch­en, ob er alle Handy zurückgege­ben hatte, dann verließ die Band unter lautem Jubel die Bühne.

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Foto: Siegfried Kerpf Bassist und Gründungsm­itglied Pete Agnew (rechts) und Sänger Carl Sentance.

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