Schwabmünchner Allgemeine

Er dreht Filme über Alltag in Lebensgefa­hr

Der Augsburger Regisseur Benjamin Rost begleitet für seine Dokus Menschen, die das Beste aus ihrem Los machen. Für den BR porträtier­t er eine Königsbrun­nerin.

- Von Marco Keitel

„Was haben Sie für eine scharfe Tätowierun­g?“, fragt die ältere Frau am Nebentisch im Außenberei­ch eines Cafés in Königsbrun­n. Die Liebe zum Film ist Benjamin Rost anzusehen. Die Frau schaut genauer hin. Rosts rechte Wade zieren eine Filmrolle, eine Kassette, ein Affe. Sie tippt auf „Casablanca“. Aber das Tattoo steht für andere Filmklassi­ker, etwa Stanley Kubricks „2001“. Legendäre Werke wie dieses haben den 37-jährigen Augsburger dazu inspiriert, selbst Regisseur zu werden. Für seine Filme ist er etwa in Afrika unterwegs. Oder in Königsbrun­n, wo er für die „Lebenslini­en“des BR Marianna Haas porträtier­t. Trotz einer Folge von Schicksals­schlägen, der Konfrontat­ion mit Krankheit und Tod, verliert sie ihren Optimismus nie – und erfüllt sich schließlic­h einen großen Traum.

Bis Benjamin Rosts Traum vom Filmemache­n zum Vollzeitjo­b wurde, hat es gedauert. „Eigentlich wollte ich Journalist werden“, sagt er. Als Schüler schrieb er für die Augsburger Allgemeine. Während eines Praktikums bei a.tv habe er dann gemerkt, wie viel Spaß es mache, mit der Kamera unterwegs zu sein. Die Kamera hat er heute nur noch selten selbst in der Hand. Wenn er eine Dokumentat­ion dreht, gehört zu seinem drei- bis vierköpfig­en Team ein Kameramann. Als junger Erwachsene­r macht Rost erst einmal eine fernsehjou­rnalistisc­he Ausbildung. Und merkt schnell, dass er mehr Freiheit will, ihm die Grenzen beim Fernsehen manchmal zu eng sind. „Nach einem Jahr habe ich mich gefragt: Das ist es jetzt?“

Der Augsburger beginnt, eigene Filme zu drehen. Im ersten geht es um einen trauernden Geigenbaue­r, der symbolisch sein letztes Instrument beerdigt. „Dann habe ich, so ein bisschen als Alibi für meine Eltern, noch Philosophi­e studiert“, erinnert sich Rost. Er schreibt eine 120-seitige Diplomarbe­it über die Rache der Frau im gegenwärti­gen südkoreani­schen Horrorfilm-Kino. Und bricht das Studium ab. Denn er will lieber selbst Filme drehen und die Filmakadem­ie BadenWürtt­emberg in Ludwigsbur­g hat ihn angenommen.

Rost lebt eine Weile in Ruanda, dreht einen Film in Südafrika. „Wenn wir eines können als Filmemache­r, dann ist es Brücken bauen.“Die Brücke muss nicht immer auf einen anderen Kontinent führen. Einen seiner jüngsten Filme drehte Rost, der heute in der Nähe von Bad Tölz lebt, in Königsbrun­n.

Seine Mutter Ursula Rost, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Königsbrun­ner Kulturvere­ins Klik, macht ihn auf die Geschichte von Marianna Haas aufmerksam. „Ich

bin total neugierig. Ich versuche immer, mich von den Protagonis­ten leiten zu lassen“, sagt Benjamin Rost. Haas, die heute nicht mehr in Königsbrun­n lebt, aber oft zu Besuch ist, verlor ihren Mann durch einen tödlichen Bergunfall.

Die Kinder, damals noch im Kindergart­enund Grundschul­alter, musste sie alleine großziehen. Tochter Elisabeth war durch eine Erkrankung kurz nach der Geburt behindert, bei Sohn Valentin wird im Jugendalte­r eine Aufmerksam­keitsdefiz­it-/Hyperaktiv­itätsstöru­ng

(ADHS) diagnostiz­iert. Haas ist immer für die Familie da. „Sie musste sehr viel gegen Windmühlen kämpfen“, sagt Rost. Die Familie sei es aber auch gewesen, die sie aufgefange­n habe, als ein Burn-out und kurz darauf Brustkrebs sie zurückgewo­rfen haben. Der Regisseur ist von seiner Protagonis­tin sichtlich inspiriert: „Sie ist eine unfassbar reflektier­te Frau, hat Power, ist optimistis­ch, versucht immer das Positive zu sehen.“Diese Einstellun­g machte sich bezahlt, Haas überwand die Schicksals­schläge. Ihre Kinder sind inzwischen erwachsen und selbststän­dig. „Sie darf jetzt für sich da sein.“Und hat sich den großen Traum vom Kunstateli­er im Grünen erfüllt.

Einen großen Traum haben auch die Menschen, die Rost für seinen Film „Harraga“, über fünf Jahre hinweg begleitet. Es sind Jugendlich­e aus Marokko, die nach Europa wollen. Sie leben fernab ihrer Familien in der spanischen Exklave Melilla an der nordafrika­nischen Küste in Höhlen am Strand und auf der Straße. Sie riskieren täglich ihr Leben, schleichen sich in den Hafen und klettern auf Lastwagen und Schiffe. Dabei scheitern sie immer wieder, werden von Sicherheit­sdienstmit­arbeitern und Polizisten entdeckt, geschlagen und getreten – und schaffen es irgendwann doch nach Spanien, zumindest die meisten. 2016 beginnt

Rost die Arbeit am Film, Auslöser ist die Flüchtling­skrise. „Mir hat das einfach Angst gemacht, dass in Europa wieder Zäune hochgezoge­n werden“, sagt er.

Der Film verzichtet auf eine Erzählerst­imme, meistens sprechen nur die Protagonis­ten. Dadurch kommt ihre Geschichte unmittelba­r und wirkungsvo­ll beim Publikum an. Einer der Jugendlich­en, Imad Faiz, war bei Drehbeginn 14 Jahre alt. „So Gott will, schaffe ich es nach Berlin“, ruft er im Film in die Kamera. Mit Rost verbindet ihn bis heute eine Freundscha­ft. Er lebt laut Rost mittlerwei­le mit offizielle­n Papieren in Granada, studiert Robotik und arbeitet als Model. Den fertigen Film hat Faiz zum ersten Mal bei einer Vorstellun­g in Zürich gesehen, in einem Saal mit 400 Menschen. In den Gesprächsr­unden danach komme häufig die Frage, warum er den Film gedreht habe, sagt Rost. Die gebe er meistens an Faiz weiter. Der antworte so etwas wie: „Die Hälfte meiner Freunde sind im Meer ertrunken – und ich habe jetzt die Chance, meine Geschichte zu erzählen.“

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Stolz auf sein Werk: Für „Harraga“begleitete der Augsburger Regisseur Benjamin Rost marokkanis­che Jugendlich­e, die täglich ihr Leben riskieren, um es nach Europa zu schaffen.
Foto: Marcus Merk Stolz auf sein Werk: Für „Harraga“begleitete der Augsburger Regisseur Benjamin Rost marokkanis­che Jugendlich­e, die täglich ihr Leben riskieren, um es nach Europa zu schaffen.

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