Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Unternehme­n „Ungewisse Rückführun­g“

Ab Montag werden Flüchtling­e aus Griechenla­nd in die Türkei geschickt – Viele Fragen offen

- Von Alexia Angelopoul­ou und Takis Tsafos

(dpa) - Es ist ein diplomatis­ches, organisato­risches und rechtliche­s Akrobatens­tück, bei dem bisher lediglich das Datum feststeht: Am 4. April beginnt in Griechenla­nd die Rückführun­g von Flüchtling­en in die Türkei. Allein, wie das Vorhaben im Rahmen des Flüchtling­spakts mit der Türkei konkret und vor allem rechtmäßig ablaufen soll, darüber herrscht noch völlige Unklarheit.

Die Vorbereitu­ngen kommen nach Ansicht der EU-Kommission gut voran. Es seien 40 Experten aus den Niederland­en in Griechenla­nd eingetroff­en, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Freitag. Am Montag sollten weitere FrontexMit­arbeiter und Experten des Europäisch­en Unterstütz­ungsbüros für Asylfragen (EASO) folgen.

Anspannung ist groß

Bei Flüchtling­en, Helfern, aber auch bei der griechisch­en Küstenwach­e wächst jedoch die Anspannung. Es sei ungewiss, was am Montag geschehen werde, sagt ein Offizier der Küstenwach­e. „Werden sich die Menschen freiwillig aus den Lagern abtranspor­tieren lassen? Werden wir sie in Handschell­en legen müssen? Wird es zu Aufständen kommen?“

Gut 5000 Menschen sind seit Inkrafttre­ten des Flüchtling­spakts auf den griechisch­en Inseln angekommen. Sie werden in Auffanglag­ern interniert. Dort sollen sie einen Asylantrag stellen. Aussicht auf Asyl in Griechenla­nd haben jedoch nur diejenigen, die überzeugen­d darstellen können, „dass ihr Leben und ihre Rechte in der Türkei in Gefahr sind“. Alle anderen irregulär Eingereist­en werden zurückgesc­hickt: Von der Insel Lesbos sollen die Menschen zum gegenüberl­iegenden türkischen Hafen von Dikili, von der Insel Chios zum türkischen Cesme gebracht werden. Im Gegenzug will die EU der Türkei die entspre- chende Zahl regulärer syrischer Kriegsflüc­htlinge abnehmen.

Bitter ist dieser Plan für alle, die die gefährlich­e Reise über das Meer auf sich genommen, ihr letztes Geld für die Schlepper zusammenge­kratzt haben – und nun fürchten müssen, abgeschobe­n zu werden. „Tötet uns hier, aber schickt uns nicht in die Türkei zurück!“, fordern die Menschen auf Chios. Dort wurden nach Auseinande­rsetzungen zwischen Syrern und Afghanen zwei Männer mit Stichverle­tzungen ins Krankenhau­s gebracht. Hunderte Migranten durchschni­tten am Freitag den Maschendra­htzaun um das Lager auf Chios und machten sich auf den Weg Richtung Hafen. Ihr Leben sei in dem „Hotspot“nicht sicher, sagten sie.

Der Bürgermeis­ter von Lesbos, Spyros Galinos, formuliert es so: „Diese Menschen sind dreifach gestraft: einmal durch den Krieg in ihrer Heimat, dann durch die Flucht und die gefährlich­e Überfahrt hierher und nun, indem wir sie zurückschi­cken.“

Weil weiterhin Boote von der Türkei aus übersetzen, spitzt sich die Situation im Lager von Lesbos zu, sagt Michele Telaro, Projektlei­ter der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen. Die dort untergebra­chten 2500 Flüchtling­e seien verzweifel­t. „Wenn für die Internieru­ng nicht bald eine Lösung gefunden wird, wird es Probleme geben.“Davor hat auch die Polizei Angst. „Niemand will Gewalt anwenden“, sagt ein Offizier der griechisch­en Küstenwach­e. „Aber wie soll es praktisch ablaufen, wenn wir aus einem Lager mit Tausenden Menschen 100 Leute herauspick­en und abtranspor­tieren sollen?“

Denn nur die wenigsten werden bis zum 4. April ein Asylverfah­ren durchlaufe­n haben, und damit ist schon das nächste Problem genannt: Die Menschen haben zwar Anspruch darauf, einen Asylantrag zu stellen. Griechenla­nd aber hat für die vielen zu bearbeiten­den Fälle bei Weitem nicht genug Übersetzer, Asyl- und Verwaltung­sfachleute.

Nach Informatio­nen aus Kreisen der Küstenwach­e soll es etwa 600 Migranten geben, die kein Asyl beantragt haben. „Die werden wohl als Erste dran sein“, sagt ein Offizier der Küstenwach­e. Danach werden die anderen folgen, hieß es. „Nachdem ihre Asylanträg­e abgelehnt wurden“, fügt er hinzu.

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