Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Unternehmen „Ungewisse Rückführung“
Ab Montag werden Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei geschickt – Viele Fragen offen
(dpa) - Es ist ein diplomatisches, organisatorisches und rechtliches Akrobatenstück, bei dem bisher lediglich das Datum feststeht: Am 4. April beginnt in Griechenland die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei. Allein, wie das Vorhaben im Rahmen des Flüchtlingspakts mit der Türkei konkret und vor allem rechtmäßig ablaufen soll, darüber herrscht noch völlige Unklarheit.
Die Vorbereitungen kommen nach Ansicht der EU-Kommission gut voran. Es seien 40 Experten aus den Niederlanden in Griechenland eingetroffen, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Freitag. Am Montag sollten weitere FrontexMitarbeiter und Experten des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) folgen.
Anspannung ist groß
Bei Flüchtlingen, Helfern, aber auch bei der griechischen Küstenwache wächst jedoch die Anspannung. Es sei ungewiss, was am Montag geschehen werde, sagt ein Offizier der Küstenwache. „Werden sich die Menschen freiwillig aus den Lagern abtransportieren lassen? Werden wir sie in Handschellen legen müssen? Wird es zu Aufständen kommen?“
Gut 5000 Menschen sind seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts auf den griechischen Inseln angekommen. Sie werden in Auffanglagern interniert. Dort sollen sie einen Asylantrag stellen. Aussicht auf Asyl in Griechenland haben jedoch nur diejenigen, die überzeugend darstellen können, „dass ihr Leben und ihre Rechte in der Türkei in Gefahr sind“. Alle anderen irregulär Eingereisten werden zurückgeschickt: Von der Insel Lesbos sollen die Menschen zum gegenüberliegenden türkischen Hafen von Dikili, von der Insel Chios zum türkischen Cesme gebracht werden. Im Gegenzug will die EU der Türkei die entspre- chende Zahl regulärer syrischer Kriegsflüchtlinge abnehmen.
Bitter ist dieser Plan für alle, die die gefährliche Reise über das Meer auf sich genommen, ihr letztes Geld für die Schlepper zusammengekratzt haben – und nun fürchten müssen, abgeschoben zu werden. „Tötet uns hier, aber schickt uns nicht in die Türkei zurück!“, fordern die Menschen auf Chios. Dort wurden nach Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Afghanen zwei Männer mit Stichverletzungen ins Krankenhaus gebracht. Hunderte Migranten durchschnitten am Freitag den Maschendrahtzaun um das Lager auf Chios und machten sich auf den Weg Richtung Hafen. Ihr Leben sei in dem „Hotspot“nicht sicher, sagten sie.
Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, formuliert es so: „Diese Menschen sind dreifach gestraft: einmal durch den Krieg in ihrer Heimat, dann durch die Flucht und die gefährliche Überfahrt hierher und nun, indem wir sie zurückschicken.“
Weil weiterhin Boote von der Türkei aus übersetzen, spitzt sich die Situation im Lager von Lesbos zu, sagt Michele Telaro, Projektleiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Die dort untergebrachten 2500 Flüchtlinge seien verzweifelt. „Wenn für die Internierung nicht bald eine Lösung gefunden wird, wird es Probleme geben.“Davor hat auch die Polizei Angst. „Niemand will Gewalt anwenden“, sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache. „Aber wie soll es praktisch ablaufen, wenn wir aus einem Lager mit Tausenden Menschen 100 Leute herauspicken und abtransportieren sollen?“
Denn nur die wenigsten werden bis zum 4. April ein Asylverfahren durchlaufen haben, und damit ist schon das nächste Problem genannt: Die Menschen haben zwar Anspruch darauf, einen Asylantrag zu stellen. Griechenland aber hat für die vielen zu bearbeitenden Fälle bei Weitem nicht genug Übersetzer, Asyl- und Verwaltungsfachleute.
Nach Informationen aus Kreisen der Küstenwache soll es etwa 600 Migranten geben, die kein Asyl beantragt haben. „Die werden wohl als Erste dran sein“, sagt ein Offizier der Küstenwache. Danach werden die anderen folgen, hieß es. „Nachdem ihre Asylanträge abgelehnt wurden“, fügt er hinzu.