Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Überlebende Studenten in Kenia suchen einen Weg zurück zur Normalität
Blutiger Anschlag auf Universität Garissa vor einem Jahr lässt Betroffene nicht los – Deutsches Stipendium hilft
(dpa) - Die Backsteinwände der Wohnheime auf dem Campus in Eldoret sind voll gepflastert mit Werbung für Laptops, USB-Sticks und billige InternetTarife. Die Korridore sind lang, dunkel – und ein wenig unheimlich. Besonders für Evelyn Jepkemboi. Sie wohnt hier, seit sie vor einem Jahr von islamistischen Terroristen angeschossen wurde. Die Krücken, die sie seither zum Gehen braucht, erinnern sie jeden Tag an den verheerenden Terroranschlag.
Am 2. April 2015 stürmten vier Kämpfer der somalischen Terrormiliz Al-Shabaab die Universität Garissa im Osten Kenias. Etwa 15 Stunden lang hielten die sunnitischen Extremisten die Hochschule in ihrer Gewalt. Sie zogen durch die Wohnheime und töteten 148 Menschen – zumeist christliche Studenten. Es war der Anschlag der islamistischen Al- Shabaab in Kenia mit den bisher meisten Opfern.
Sobald Jepkemboi heute Polizisten mit automatischen Waffen sieht, wird die schmerzliche Erinnerung an den Anschlag wieder wach. „Da läuft es mir kalt den Rücken hinunter“, sagt die 21-Jährige. Sie gehört zu den gut 600 überlebenden Studen- ten, die nach dem Anschlag zumeist an die Moi Universität in Eldoret im Westen Kenias transferiert wurden. Jepkemboi ist zudem eine von etwa 300 bedürftigen Studenten, die nach dem Massaker von Garissa ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) bekommen haben. Damit soll ihnen „der Weg zurück in die Normalität“geebnet werden. Die Universität in Eldoret hat eine psychologische Beratungsstelle für die Überlebenden eingerichtet.
Schwere Sicherheitsmängel
Experten warnen, dass es in Kenia erneut zu Anschlägen kommen könnte. „Es gibt schwere Sicherheitsmängel“, sagt Afrika-Experte Ben Payton von der Risikoberatung Verisk Maplecroft. „Es ist nicht auszuschließen, dass es einen weiteren Anschlag im Ausmaß von Garissa oder Westgate geben könnte“, sagte er. Bei dem Anschlag auf das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi 2013 töteten Kämpfer der Al-Shabaab mindestens 67 Menschen.
Die sunnitische Terrormiliz nimmt Kenia verstärkt ins Visier, seit sich die kenianischen Streitkräfte an der Friedensmission der Afrikanischen Union (Amisom) im benachbarten Krisenstaat Somalia beteiligen. Kenia stellt 3700 der 22 000 Sol- daten der Truppe. Bei dem Einsatz seit 2011 musste Kenia bereits schwere Verluste hinnehmen. Bei einem Angriff der Al-Shabaab auf kenianische Truppen im Januar sollen somalischen Behörden zufolge bis zu 200 Soldaten getötet worden sein. Kenia bestritt die Angaben, weigerte sich jedoch, eine Opferzahl zu nennen.
In Kenia hat der Einsatz viele Menschenleben gekostet: Bei Terroranschlägen wurden dort seit 2012 Verisk Maplecroft zufolge mehr als 800 Menschen getötet. Der Regierung von Präsident Uhuru Kenyatta wird daher immer wieder vorgeworfen, zu wenig für den Schutz der Bevölkerung zu tun.
„Ich bin wütend“, sagt die 22-jährige Literaturstudentin Dorine Okech, die sich während des Anschlags in einem Schrank versteckte. Die Regierung habe in Garissa versagt und sei schuld am Tod zahlreicher Menschen. „Sie brauchten zu lange und eine ganze Armee, um vier Männer zu überwältigen.“