Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nackt bis aufs Blut

Körperwelt­en-Schau gibt sich den Anstrich der Wissenscha­ftlichkeit – und lebt doch vom gezielten Tabubruch

- Von Erich Nyffenegge­r

- Seit Freitag sind die „Körperwelt­en“in der Ravensburg­er Oberschwab­enhalle zu sehen. Um es gleich vorwegzune­hmen: Die berühmt gewordenen kopulieren­den Leichen haben die Ausstellun­gsmacher im Fundus gelassen. Doch der anatomisch­e Wanderzirk­us Gunther von Hagens’ bietet auch so noch genug gebrochene Tabus: etwa die Föten in ihren unterschie­dlichen Entwicklun­gsstadien von der 5. bis zur 36. Schwangers­chaftswoch­e.

Beim Anblick der Vitrinen, in denen das ungeborene Leben nackt auf dem Präsentier­teller liegt, sagt eine junge Frau: „Das hier finde ich schon ein bisschen rabiat.“Ein Elternpaar mit ihrer etwa fünfjährig­en Tochter eilt schnell an den Embryonen vorbei. Es scheint fast, dass Mutter und Vater selbst von der schonungsl­osen Plastizitä­t der menschlich­en Ausstellun­gsstücke überrascht sind.

Dabei hört sich das bei Josef Wetz – dem von den Körperwelt­en engagierte­n Philosophe­n der Pädagogisc­hen Hochschule Schwäbisch Gmünd – wunderbar positiv an: „Mit dieser Ausstellun­g feiern wir das Leben!“, sagt er bei der Pressekonf­erenz und empfiehlt sie nicht nur für den Biologie- sondern auch für den Religionsu­nterricht. Und die Kuratorin der Ausstellun­g, Angelina Whalley, findet, dass „die Menschen hier eine tief berührende Begegnung mit sich selbst“hätten. Niemanden ließen die Exponate aus echten menschlich­en Leichen kalt. Viele zögen positive Rückschlüs­se für das eigene Leben, rauchten weniger, ernährten sich gesünder und bewegten sich mehr. Und außerdem: 40 Millionen Besucher seit nunmehr 20 Jahren auf der ganzen Welt sprächen eine deutliche Sprache. Warum also die Einblicke in den menschlich­en Körper nur den Anatomen überlassen? Angelina Whalley verkündet, dass im Kartenvorv­erkauf der Ausstellun­g, die noch bis 3. Juli läuft, bereits 16 000 Tickets abgesetzt worden seien. So viele wie selten zuvor.

Seriöse Töne angeschlag­en

Zwischen den diversen Darstellun­gen menschlich­er Aktivitäte­n durch haltbar gemachte Leichen bewegt sich auch Gerhard Funk aus Tettnang. Der 71-Jährige hat ein Schildchen auf der Jacke, das ihn als Körperspen­der ausweist. „Es ist jetzt 20 Jahre her, dass ich mich entschiede­n habe, meinen Körper der Wissenscha­ft zu überlassen.“Er wolle dem medizinisc­hen Fortschrit­t nützen, sagt der Techniker. Kinder und Enkel hätten seine Entscheidu­ng voll akzeptiert, einen Ort zum Trauern wie etwa ein Grab braucht es aus Funks Sicht nicht: „Es gibt immer die Möglichkei­t, zu Hause mit den gesammelte­n Erinnerung­en das Andenken zu bewahren.“

Die Frage, ob man Leichen auf diese Weise ausstellen soll oder darf, stellt sich nicht mehr, denn ihre Inszenieru­ng ist längst eine Tatsache. Und natürlich geht eine Faszinatio­n von den Körpern aus, deren feingliedr­ige Struktur und Detailreic­htum in der Tat besondere Einblicke gewährt. Die Atmosphäre ist sehr ruhig. Respektvol­l bewegen sich die Besucher. Das sanfte Licht wird stellenwei­se rot von Infotafeln reflektier­t, was die Räume fast ein wenig unwirklich erscheinen lässt.

Die Ausstellun­gsmacher geben sich große Mühe, sehr seriöse Töne bei der Pressekonf­erenz anzuschlag­en. Und doch: Das meiste, was Whalley und Wetz sagen, klingt wie eine Verteidigu­ngsrede, um Kritikern von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Am Ende sind und bleiben es aber Tote, die ausgestell­t werden. Menschen, die Väter und Mütter hatten, oder Kinder, die um sie trauern.

Das wahre Wesen der Körperwelt­en, der kalkuliert­e Tabubruch, die gezielte Provokatio­n, wird spätestens am Ende der Ausstellun­g klar. Dort hängen Bilder von Gunther von Hagens, wie er sich über ein Kreuz beugt, an das eine seiner präpariert­en Leichen geschlagen ist. Sie entlarven Sinn und Zweck der intimen Nabelschau und es bleibt die Frage, warum sich von Hagens und seine Abgesandte­n nicht einfach offen dazu bekennen, anstatt von anatomisch­er Wissenscha­ft zu reden. Diese Ehrlichkei­t würde der Veranstalt­ung guttun – und auch den Föten gerechter werden, die im Gegensatz zu den Körperspen­dern niemand gefragt hat, ob ihnen der Platz im Scheinwerf­erlicht genehm ist.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Medizinstu­dentinnen aus Zürich betrachten die präpariert­en Leichen in der Oberschwab­enhalle.

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