Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Nackt bis aufs Blut
Körperwelten-Schau gibt sich den Anstrich der Wissenschaftlichkeit – und lebt doch vom gezielten Tabubruch
- Seit Freitag sind die „Körperwelten“in der Ravensburger Oberschwabenhalle zu sehen. Um es gleich vorwegzunehmen: Die berühmt gewordenen kopulierenden Leichen haben die Ausstellungsmacher im Fundus gelassen. Doch der anatomische Wanderzirkus Gunther von Hagens’ bietet auch so noch genug gebrochene Tabus: etwa die Föten in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien von der 5. bis zur 36. Schwangerschaftswoche.
Beim Anblick der Vitrinen, in denen das ungeborene Leben nackt auf dem Präsentierteller liegt, sagt eine junge Frau: „Das hier finde ich schon ein bisschen rabiat.“Ein Elternpaar mit ihrer etwa fünfjährigen Tochter eilt schnell an den Embryonen vorbei. Es scheint fast, dass Mutter und Vater selbst von der schonungslosen Plastizität der menschlichen Ausstellungsstücke überrascht sind.
Dabei hört sich das bei Josef Wetz – dem von den Körperwelten engagierten Philosophen der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd – wunderbar positiv an: „Mit dieser Ausstellung feiern wir das Leben!“, sagt er bei der Pressekonferenz und empfiehlt sie nicht nur für den Biologie- sondern auch für den Religionsunterricht. Und die Kuratorin der Ausstellung, Angelina Whalley, findet, dass „die Menschen hier eine tief berührende Begegnung mit sich selbst“hätten. Niemanden ließen die Exponate aus echten menschlichen Leichen kalt. Viele zögen positive Rückschlüsse für das eigene Leben, rauchten weniger, ernährten sich gesünder und bewegten sich mehr. Und außerdem: 40 Millionen Besucher seit nunmehr 20 Jahren auf der ganzen Welt sprächen eine deutliche Sprache. Warum also die Einblicke in den menschlichen Körper nur den Anatomen überlassen? Angelina Whalley verkündet, dass im Kartenvorverkauf der Ausstellung, die noch bis 3. Juli läuft, bereits 16 000 Tickets abgesetzt worden seien. So viele wie selten zuvor.
Seriöse Töne angeschlagen
Zwischen den diversen Darstellungen menschlicher Aktivitäten durch haltbar gemachte Leichen bewegt sich auch Gerhard Funk aus Tettnang. Der 71-Jährige hat ein Schildchen auf der Jacke, das ihn als Körperspender ausweist. „Es ist jetzt 20 Jahre her, dass ich mich entschieden habe, meinen Körper der Wissenschaft zu überlassen.“Er wolle dem medizinischen Fortschritt nützen, sagt der Techniker. Kinder und Enkel hätten seine Entscheidung voll akzeptiert, einen Ort zum Trauern wie etwa ein Grab braucht es aus Funks Sicht nicht: „Es gibt immer die Möglichkeit, zu Hause mit den gesammelten Erinnerungen das Andenken zu bewahren.“
Die Frage, ob man Leichen auf diese Weise ausstellen soll oder darf, stellt sich nicht mehr, denn ihre Inszenierung ist längst eine Tatsache. Und natürlich geht eine Faszination von den Körpern aus, deren feingliedrige Struktur und Detailreichtum in der Tat besondere Einblicke gewährt. Die Atmosphäre ist sehr ruhig. Respektvoll bewegen sich die Besucher. Das sanfte Licht wird stellenweise rot von Infotafeln reflektiert, was die Räume fast ein wenig unwirklich erscheinen lässt.
Die Ausstellungsmacher geben sich große Mühe, sehr seriöse Töne bei der Pressekonferenz anzuschlagen. Und doch: Das meiste, was Whalley und Wetz sagen, klingt wie eine Verteidigungsrede, um Kritikern von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Am Ende sind und bleiben es aber Tote, die ausgestellt werden. Menschen, die Väter und Mütter hatten, oder Kinder, die um sie trauern.
Das wahre Wesen der Körperwelten, der kalkulierte Tabubruch, die gezielte Provokation, wird spätestens am Ende der Ausstellung klar. Dort hängen Bilder von Gunther von Hagens, wie er sich über ein Kreuz beugt, an das eine seiner präparierten Leichen geschlagen ist. Sie entlarven Sinn und Zweck der intimen Nabelschau und es bleibt die Frage, warum sich von Hagens und seine Abgesandten nicht einfach offen dazu bekennen, anstatt von anatomischer Wissenschaft zu reden. Diese Ehrlichkeit würde der Veranstaltung guttun – und auch den Föten gerechter werden, die im Gegensatz zu den Körperspendern niemand gefragt hat, ob ihnen der Platz im Scheinwerferlicht genehm ist.