Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Frau aus Hitlers Badewanne
Model, Fotografin und Surrealistin: Berlin feiert Lee Miller mit einer Ausstellung
- Berühmt geworden ist sie als Frau aus Hitlers Badewanne. Die Kriegsreporterin Lee Miller, die gleich nach Kriegsende die Privatwohnung Hitlers in München fotografierte und sich selbst inszenierte, indem sie sich nackt in dessen Badewanne legte. Da hatte Lee Miller schon jahrelang das Grauen des Kriegs festgehalten, Leichen und zerstörte Städte fotografiert.
Die amerikanische Fotografin Lee Miller (1907 bis 1977) hat sich im Laufe ihres Lebens mehr als andere verändert. 1929 in Paris, da war sie die Geliebte, Assistentin und Muse des Surrealisten Man Ray, der seine hübsche Lee als „Leebra“, als Gesicht mit Zebramuster, festhielt. Gleichzeitig trat sie jedoch selbst erstmals als surrealistische Fotografin auf. Die abgetrennte Brust, die sie aus einem Krankenhaus mitbrachte, auf einem Teller wie eine Art Pudding arrangiert, das wirkt verstörend. Oder der Kopf ihrer Freundin Tanja Ramm unter einem Glassturz, festgehalten wie ein abgetrenntes Haupt.
Kamera als Waffe gegen die Nazis
Nach ihrer Zeit an der Seite Man Rays machte sie sich als Modefotografin der Vogue einen Namen, bis sich 1942 alles ändert: Modefotos in Ruinen, Modells mit Masken zum Schutz gegen Brandbomben läuten 1941 die Veränderung ein. Lee Miller wird Kriegsfotografin, sie begleitet die US-Gruppen quer durch Europa und hält nicht mehr die neueste Mode, sondern den Krieg in ihren Bildern fest. Eindrücke aus dem zerstörten London, aus dem eben befreiten Buchenwald, Lee Miller wird zur politischen Fotografin. Sie geht nah ran, um die Menschen aufzurütteln.
Spektakulär sind ihre Fotos vom Bürgermeister von Leipzig, seiner Frau und seiner Tochter, die sich bei Kriegsende erschossen. Anrührend die freigelassenen Buchenwald-Gefangenen in gestreifter Sträflingskleidung neben dem Haufen verbrannter Leichen. „Sie setzt die Kamera als Waffe im Kampf gegen den Nationalsozialismus ein“, sagt Kurator Walter Moser. Lee Miller misstraut den Deutschen zutiefst, sie schreibt zynisch über die hübschen, ordentlichen Dörfer und zeigt daneben die ebenso ordentlichen Krematorien vom Buchenwald.
So feiert sie die Befreiung: Sie begleitet US-Truppen am 30. April 1945 in Hitlers Appartement in München, legt sich in die Badewanne und auf Eva Brauns Bett und lässt sich dabei von ihrem Kollegen David E. Scher- mann ablichten. Sie fotografiert das zerstörte Wien, doch Emotionen zeigt sie nur bei Kinderfotografien, etwa einem kleinen Jungen mit einer Scharnhorst-Mütze.
Vom Krieg traumatisiert
Lee Miller hat ihre Kriegsfotografien selbst nicht als Kunst begriffen, sondern als Dokumente. „Doch der Blick der Surrealistin war auch im Krieg immer da“, sagt Kurator Walter Moser. Er weist zum Beispiel auf das Foto hin, auf dem Lee Miller die gestreiften Beine eines Gefangenen, erbärmlich heruntergekommen und mit selbstgemachten Schuhen zeigt, inszeniert wie ein Modefoto.
Lee Miller hat über ihre Erfahrungen als Kriegskorrespondentin nie geredet. 1947 heiratete sie den Künstler Roland Penrose und zog in das Farm House in Sussex, in dem von Picasso bis Man Ray viele prominente Künstler ein- und ausgingen. Doch von ihrem eigenen Werk sprach Lee Miller nicht mehr. Sie hat sich von den Eindrücken des Krieges nie erholt, war traumatisiert, depressiv und wurde Alkoholikerin.
Von all ihren Bildern wusste niemand etwas, bis ihr Sohn Anthony sie nach ihrem Tod auf dem Dachboden des Hauses fand. Einen Schatz von 60 000 Fotos. Anthony Penrose hat erst nach dem Fund der Fotos, nach vielen Gesprächen mit ihren früheren Journalistenkollegen, erfahren, wie gut seine Mutter fotografiert hat und auch, wie tapfer sie war.
Die Ausstellung in Berlin unterstreicht diesen Eindruck. Die Fotos sind Originalabzüge, quadratisch und sehr kleinformatig, und doch sehr intensiv und eindrucksvoll.