Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zug um Zug zum ersehnten Beruf

Wie die Berufsschu­le Neu-Ulm versucht, Asylbewerb­er in Lohn und Brot zu bringen

- Von Oliver Helmstädte­r Klaus Hlawatsch, der Schulleite­r

- Gekonnt gehen seine Hände mit dem Schleifpap­ier um. Fast zärtlich fährt Sleman Achmed über das handgefert­igte Backgammon-Brett. Wenn er eine Unebenheit am Übergang der unterschie­dlichen Holzsorten fühlt, wird nachgeschl­iffen. Der 18-jährige vertieft sich voll und ganz in seine Arbeit, die auch eine waschechte Ministerin überzeugt: „Sieht toll aus“, sagt Beate Merk als sie die Werkstätte­n der Berufsschu­le Neu-Ulm besucht.

Sleman Achmed floh mit längeren

„Wenn wir es nicht

schaffen, die Flüchtling­e in einen Beruf zu bringen: was

kommt dann?“

Das fragt

der Berufsschu­le Neu- Ulm. Zwischenau­fenthalten im Sudan und Lybien über das Mittelmeer nach Deutschlan­d. 1000 US-Dollar bezahlte er Schleppern für die Überfahrt. In passablem Englisch berichtet Achmed von willkürlic­hen Verhaftung­en und einem unmenschli­chen Militärdie­nst, seinem Fluchtgrun­d. In einem UN-Bericht wird dieser als Versklavun­g auf unbestimmt­e Zeit beschriebe­n.

Nun steht Sleman Achmed, der in der Flüchtling­sunterkunf­t direkt neben der Berufsschu­le lebt, in einer Werkstatt und bastelt Backgammon­Bretter. Wie das Spiel geht, weiß er nicht. Backgammon sei in seinem Heimatdorf an der sudanesisc­hen Grenze völlig unbekannt. Trotzdem sei „alles gut“. Alles ist wohl besser, als dieser Tage in Eritrea zu sein, einem Land, das aufgrund der Brutalität seines Diktators den inoffiziel­len Beinamen „Nordkorea Afrikas“trägt.

Ein paar Türen weiter sitzen Mohammad Shorbaji und Ahmed Al Hmidar vor einem PC. Beide sind Anfang 20, stammen aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens. Beide sprechen schon recht gut Deutsch und haben konkrete Pläne: Eine Lehre als Mechatroni­ker streben die jungen Männer an, die in Syrien zwölf Jahre auf die Schule gingen.

Sleman Achmed, Mohammad Shorbaji und Ahmed Al Hmidar sind nur drei der derzeit 87 Asylbewerb­ern, die an der Berufsschu­le NeuUlm (BSNU) Kurse besuchen. In Kürze kommen 91 weitere hinzu. Beate Merk ist nach Neu-Ulm gekommen um sich anzusehen, wie die BSNU mit einer Versechsfa­chung der Schülerzah­l binnen eines Jahres fertig wird.

„Wir sind der Ort, an dem die viel diskutiert­e Integratio­n statt finden muss“, sagt Klaus Hlawatsch, der Schulleite­r. Die sozialpoli­tische Verantwort­ung seiner Einrichtun­g sei enorm: „Wenn wir es nicht schaffen, die Flüchtling­e in einen Beruf zu bringen: was kommt dann?“Genauso verschiede­n wie die Herkunftsl­änder sind auch Fähigkeite­n und Bil- dungsstand der Schüler. Aus Sicht von Hlawatsch ist es möglich und richtig, den Flüchtling­en parallel zur Berufsausb­ildung die Deutsche Sprache beizubring­en. Sicherheit­srelevante Berufe ausgenomme­n – gebe es einige Beispiele, die zeigen, dass das kalte Wasser oft am besten funktionie­re. Denn: „Eine Berufsausb­ildung ist auch für die Persönlich­keit wichtig.“

80 Prozent der Flüchtling­e brauchen Hilfe

Mit fast 70 bestehende­n und fest eingeplant­en Schülern bildet Afghanista­n das zahlmäßig am stärksten vertretene Herkunftsl­and. Es folgen Syrien (40), Somalia (14), Nigeria (12) und Eritrea (11). Das Handwerksz­eug der Integratio­n beginnt bei der Vermittlun­g von Alphabetis­ierungsund Sprachkurs­en und führt – im Idealfall – über Berufsinte­grationsku­rse und Betriebspr­aktika bis zur Vermittlun­g von Lehrstelle­n. Hlawatsch und Michael Stoll, der Kreishandw­erksmeiste­r, sind bemüht, Zuversicht auszustrah­len. Doch klar ist dennoch aus der Erfahrung des vergangene­n Jahres: Nur 20 Prozent der Flüchtling­e seien mehr oder weniger problemlos zu integriere­n. Bei 80 Prozent sind viele Hilfestell­ungen nötig.

Ulrike Ufken, Geschäftsf­ührerin der Kreishandw­erkerschaf­t, betont, dass die Flüchtling­e stärker in berufliche Richtungen gelenkt werden sollten, wo auch Bedarf herrscht. „Es können nicht alle Frisör oder KfzMechani­ker werden.“Doch diese Berufe würden am häufigsten angestrebt – wohl auch, weil die Vielfalt gar nicht bekannt ist. Peter Haug, der stellvertr­etende Leiter der BSNU be- tont, dass die Bereitscha­ft der Flüchtling­e sich in das Berufslebe­n zu integriere­n, außerorden­tlich groß sei. Stoll fügt hinzu: „Es gibt durchaus Win-Win-Situatione­n.“

Dennoch verabschie­den die Handwerks-Funktionär­e Ministerin Merk nicht ohne ihr einen Wunschzett­el mit auf den Weg zu geben: Zu wenig Platz, zu wenig Lehrer, zu viele Schüler, lautet das Fazit von Schulleite­r Hlawatsch, dass er (wie berichtet) längst auch dem Landratsam­t übermittel­te.

Zudem regt Hlawatsch eine „zentrale Koordinier­ungsstelle“für die berufliche Integratio­n von Flüchtling­en an. Allein was die Datensätze der Flüchtling­e angehe herrsche ein „Chaos“, weil „sieben bis acht“Stellen derzeit die Berufsschu­le mit Listen versorgen, die ähnlich, aber nicht gleich seien.

 ?? FOTO: OLIVER HELMSTÄDTE­R ?? Ministerin Beate Merk zeigt sich erstaunt von den Fertigkeit­en: Der 18- jährige Sleman Achmed aus Eritrea, fertigt in einer Orientieru­ngsklasse der Berufsschu­le Neu- Ulm dieses Backgammon- Spielbrett.
FOTO: OLIVER HELMSTÄDTE­R Ministerin Beate Merk zeigt sich erstaunt von den Fertigkeit­en: Der 18- jährige Sleman Achmed aus Eritrea, fertigt in einer Orientieru­ngsklasse der Berufsschu­le Neu- Ulm dieses Backgammon- Spielbrett.

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