Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Zug um Zug zum ersehnten Beruf
Wie die Berufsschule Neu-Ulm versucht, Asylbewerber in Lohn und Brot zu bringen
- Gekonnt gehen seine Hände mit dem Schleifpapier um. Fast zärtlich fährt Sleman Achmed über das handgefertigte Backgammon-Brett. Wenn er eine Unebenheit am Übergang der unterschiedlichen Holzsorten fühlt, wird nachgeschliffen. Der 18-jährige vertieft sich voll und ganz in seine Arbeit, die auch eine waschechte Ministerin überzeugt: „Sieht toll aus“, sagt Beate Merk als sie die Werkstätten der Berufsschule Neu-Ulm besucht.
Sleman Achmed floh mit längeren
„Wenn wir es nicht
schaffen, die Flüchtlinge in einen Beruf zu bringen: was
kommt dann?“
Das fragt
der Berufsschule Neu- Ulm. Zwischenaufenthalten im Sudan und Lybien über das Mittelmeer nach Deutschland. 1000 US-Dollar bezahlte er Schleppern für die Überfahrt. In passablem Englisch berichtet Achmed von willkürlichen Verhaftungen und einem unmenschlichen Militärdienst, seinem Fluchtgrund. In einem UN-Bericht wird dieser als Versklavung auf unbestimmte Zeit beschrieben.
Nun steht Sleman Achmed, der in der Flüchtlingsunterkunft direkt neben der Berufsschule lebt, in einer Werkstatt und bastelt BackgammonBretter. Wie das Spiel geht, weiß er nicht. Backgammon sei in seinem Heimatdorf an der sudanesischen Grenze völlig unbekannt. Trotzdem sei „alles gut“. Alles ist wohl besser, als dieser Tage in Eritrea zu sein, einem Land, das aufgrund der Brutalität seines Diktators den inoffiziellen Beinamen „Nordkorea Afrikas“trägt.
Ein paar Türen weiter sitzen Mohammad Shorbaji und Ahmed Al Hmidar vor einem PC. Beide sind Anfang 20, stammen aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens. Beide sprechen schon recht gut Deutsch und haben konkrete Pläne: Eine Lehre als Mechatroniker streben die jungen Männer an, die in Syrien zwölf Jahre auf die Schule gingen.
Sleman Achmed, Mohammad Shorbaji und Ahmed Al Hmidar sind nur drei der derzeit 87 Asylbewerbern, die an der Berufsschule NeuUlm (BSNU) Kurse besuchen. In Kürze kommen 91 weitere hinzu. Beate Merk ist nach Neu-Ulm gekommen um sich anzusehen, wie die BSNU mit einer Versechsfachung der Schülerzahl binnen eines Jahres fertig wird.
„Wir sind der Ort, an dem die viel diskutierte Integration statt finden muss“, sagt Klaus Hlawatsch, der Schulleiter. Die sozialpolitische Verantwortung seiner Einrichtung sei enorm: „Wenn wir es nicht schaffen, die Flüchtlinge in einen Beruf zu bringen: was kommt dann?“Genauso verschieden wie die Herkunftsländer sind auch Fähigkeiten und Bil- dungsstand der Schüler. Aus Sicht von Hlawatsch ist es möglich und richtig, den Flüchtlingen parallel zur Berufsausbildung die Deutsche Sprache beizubringen. Sicherheitsrelevante Berufe ausgenommen – gebe es einige Beispiele, die zeigen, dass das kalte Wasser oft am besten funktioniere. Denn: „Eine Berufsausbildung ist auch für die Persönlichkeit wichtig.“
80 Prozent der Flüchtlinge brauchen Hilfe
Mit fast 70 bestehenden und fest eingeplanten Schülern bildet Afghanistan das zahlmäßig am stärksten vertretene Herkunftsland. Es folgen Syrien (40), Somalia (14), Nigeria (12) und Eritrea (11). Das Handwerkszeug der Integration beginnt bei der Vermittlung von Alphabetisierungsund Sprachkursen und führt – im Idealfall – über Berufsintegrationskurse und Betriebspraktika bis zur Vermittlung von Lehrstellen. Hlawatsch und Michael Stoll, der Kreishandwerksmeister, sind bemüht, Zuversicht auszustrahlen. Doch klar ist dennoch aus der Erfahrung des vergangenen Jahres: Nur 20 Prozent der Flüchtlinge seien mehr oder weniger problemlos zu integrieren. Bei 80 Prozent sind viele Hilfestellungen nötig.
Ulrike Ufken, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft, betont, dass die Flüchtlinge stärker in berufliche Richtungen gelenkt werden sollten, wo auch Bedarf herrscht. „Es können nicht alle Frisör oder KfzMechaniker werden.“Doch diese Berufe würden am häufigsten angestrebt – wohl auch, weil die Vielfalt gar nicht bekannt ist. Peter Haug, der stellvertretende Leiter der BSNU be- tont, dass die Bereitschaft der Flüchtlinge sich in das Berufsleben zu integrieren, außerordentlich groß sei. Stoll fügt hinzu: „Es gibt durchaus Win-Win-Situationen.“
Dennoch verabschieden die Handwerks-Funktionäre Ministerin Merk nicht ohne ihr einen Wunschzettel mit auf den Weg zu geben: Zu wenig Platz, zu wenig Lehrer, zu viele Schüler, lautet das Fazit von Schulleiter Hlawatsch, dass er (wie berichtet) längst auch dem Landratsamt übermittelte.
Zudem regt Hlawatsch eine „zentrale Koordinierungsstelle“für die berufliche Integration von Flüchtlingen an. Allein was die Datensätze der Flüchtlinge angehe herrsche ein „Chaos“, weil „sieben bis acht“Stellen derzeit die Berufsschule mit Listen versorgen, die ähnlich, aber nicht gleich seien.