Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Total besoffen und dabei nicht mal angetrunken
Wenn eine junge Frau 2,59 Promille Alkohol im Blut hat, hat sie ein Problem – oder mehrere Probleme
igentlich will die 29-Jährige an diesem kalten Januarabend ins Kino gehen. Das kleine Kind ist gut bei den Großeltern untergebracht, und ausnahmsweise muss sie mal nicht arbeiten. Heute kellnern andere. Die junge Frau fährt zunächst ins Zentrum des Städtchens im Landkreis Ravensburg. Dann aber kehrt sie doch wieder um und steuert das Auto zurück nach Hause. Da aber fällt ihr die Decke auf den Kopf.
Jetzt, wo der Kleine ausnahmsweise mal nicht da ist, wo Zeit für ein bisschen Entspannung wäre, schwirrt ihr der Schädel. Die Gedanken an die erst vor ein paar Monaten vollzogene Trennung von ihrem Ehemann nagen an ihren Nerven. Und immer wieder die Frage: Warum zahlt der Idiot keinen Unterhalt? Wo soll ich das Geld für den Strom hernehmen?
Da steigt die Restaurantfachfrau plötzlich doch wieder in den Wagen und steuert anfangs ziellos zurück in die Stadt. Sie hält vor einem Lokal an, das in weitem Umkreis als Absturzladen bekannt ist. Und während sie das Auto abschließt und auf den Eingang zugeht, fragt sie sich noch: Was will ich eigentlich hier?
Eine Weinschorle zum Auftakt
Die Antwort auf diese Frage ersäuft die 29-Jährige sprichwörtlich im Alkohol. Zuerst bestellt sie Weinschorle. Aber in der Kneipe hängen eine Menge Typen rum, die immer zur Stelle sind, wenn sich mal eine gutaussehende Frau in den Laden verirrt. Und so ist die Weinschorle eben nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Schnäpsen und harten Drinks, die ihr die Männer ausgeben. Was die junge Mutter schließlich aus der Bar hinaus und hinters Steuer treibt, kann sie den beiden Polizeibeamten auch nicht erklären, die sie um 3.45 Uhr aus dem Verkehr ziehen und sofort den Führerschein kassieren.
Der Arzt im Krankenhaus, der bei der Frau Blut abnimmt und 2,59 Promille feststellt, wird später trotz dieser massiven Alkoholmenge im Protokoll festhalten: „Finger-Nase-Test: unauffällig. Finger-Finger-Test: unauffällig. Stimmung: ruhig. Kaum Anzeichen von Alkoholisierung.“
„Was wollten Sie eigentlich in der Kneipe? Hatten Sie vor, dermaßen viel zu trinken?“, fragt der Richter ein paar Wochen später, als die junge Mutter auf der Anklagebank Platz nimmt. Sie ist heute hier, um den Strafbefehl, den sie nach der Trunkenheitsfahrt bekommen hat, doch noch in ein milderes Urteil zu wandeln.
1800 Euro soll sie zahlen in Verbindung mit 14 Monaten Fahrverbot. Die 29-Jährige trägt ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ein leichtes Makeup kaschiert die Blässe in ihrem Gesicht. Ihre Hände sind wie zum Gebet gefaltet. Die Augen stehen immer wieder im Wasser, ohne dass dabei eine Träne fällt. Manchmal hebt sie fast trotzig das Kinn, als müsse sie sich selbst daran erinnern, dass sie zwar einen Fehler gemacht hat, aber trotzdem ein anständiger Mensch ist.
Nein, das viele Trinken gehöre nicht zu ihrem täglichen Leben. Sie habe keine Ahnung, was an diesem Abend mit ihr passiert sei. Und als sie dann zunächst zögerlich von den Sorgen ihres schwierigen Alltags erzählt, vom Geldmangel und dem Zwist mit ihrer eigenen Familie, da bekommt der schicksalhafte Abend eine andere Färbung. Auch Richter und Staatsanwalt werden nachdenklich. Vor allem aber steht dem Vorsitzenden die Sorge ins Gesicht geschrieben, dass eine derart hohe Alkoholkonzentration in Verbindung mit verschwindend geringen Trunkenheitserscheinungen auf eine „starke Gewöhnung“hindeutet. Das aber verneint die junge Mutter mehrfach: „Seit diesem Abend habe ich keinen Tropfen mehr angerührt.“
Ein kleiner Erfolg
Es bleibt offen, ob der Richter ihr das glaubt. Eine Behörde jedenfalls wird das nicht ohne Weiteres als wahr akzeptieren: Nämlich das Landratsamt, das nach der Zeit des Führerschein- entzugs einen Beweis verlangen wird, dass die 29-Jährige trocken ist und es daher vertretbar scheint, sie wieder hinters Steuer zu lassen. Um den sogenannten Idiotentest wird sie nicht herumkommen. Doch hier und heute darf sich die junge Frau vor Gericht über einen kleinen Erfolg freuen: Sicherlich ist sie der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig, wie der Richter im Urteil betont. Doch die Strafe halbiert das Gericht auf 900 Euro, die Führerscheinsperre reduziert es um einen Monat auf nunmehr dreizehn.
2,59 Promille: Was die eher klein gewachsene Frau zu trinken vermag, sieht ihr niemand an. Ob dieser Wert eine absolute Ausnahme war oder eine wiederkehrende Ziffer aus dem tragischen Leben einer Alkoholikerin, darüber hat das Gericht nicht zu befinden. Die Antwort auf diese Frage kennt allein die junge Mutter.