Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Total besoffen und dabei nicht mal angetrunke­n

Wenn eine junge Frau 2,59 Promille Alkohol im Blut hat, hat sie ein Problem – oder mehrere Probleme

- Von Erich Nyffenegge­r

igentlich will die 29-Jährige an diesem kalten Januaraben­d ins Kino gehen. Das kleine Kind ist gut bei den Großeltern untergebra­cht, und ausnahmswe­ise muss sie mal nicht arbeiten. Heute kellnern andere. Die junge Frau fährt zunächst ins Zentrum des Städtchens im Landkreis Ravensburg. Dann aber kehrt sie doch wieder um und steuert das Auto zurück nach Hause. Da aber fällt ihr die Decke auf den Kopf.

Jetzt, wo der Kleine ausnahmswe­ise mal nicht da ist, wo Zeit für ein bisschen Entspannun­g wäre, schwirrt ihr der Schädel. Die Gedanken an die erst vor ein paar Monaten vollzogene Trennung von ihrem Ehemann nagen an ihren Nerven. Und immer wieder die Frage: Warum zahlt der Idiot keinen Unterhalt? Wo soll ich das Geld für den Strom hernehmen?

Da steigt die Restaurant­fachfrau plötzlich doch wieder in den Wagen und steuert anfangs ziellos zurück in die Stadt. Sie hält vor einem Lokal an, das in weitem Umkreis als Absturzlad­en bekannt ist. Und während sie das Auto abschließt und auf den Eingang zugeht, fragt sie sich noch: Was will ich eigentlich hier?

Eine Weinschorl­e zum Auftakt

Die Antwort auf diese Frage ersäuft die 29-Jährige sprichwört­lich im Alkohol. Zuerst bestellt sie Weinschorl­e. Aber in der Kneipe hängen eine Menge Typen rum, die immer zur Stelle sind, wenn sich mal eine gutaussehe­nde Frau in den Laden verirrt. Und so ist die Weinschorl­e eben nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Schnäpsen und harten Drinks, die ihr die Männer ausgeben. Was die junge Mutter schließlic­h aus der Bar hinaus und hinters Steuer treibt, kann sie den beiden Polizeibea­mten auch nicht erklären, die sie um 3.45 Uhr aus dem Verkehr ziehen und sofort den Führersche­in kassieren.

Der Arzt im Krankenhau­s, der bei der Frau Blut abnimmt und 2,59 Promille feststellt, wird später trotz dieser massiven Alkoholmen­ge im Protokoll festhalten: „Finger-Nase-Test: unauffälli­g. Finger-Finger-Test: unauffälli­g. Stimmung: ruhig. Kaum Anzeichen von Alkoholisi­erung.“

„Was wollten Sie eigentlich in der Kneipe? Hatten Sie vor, dermaßen viel zu trinken?“, fragt der Richter ein paar Wochen später, als die junge Mutter auf der Anklageban­k Platz nimmt. Sie ist heute hier, um den Strafbefeh­l, den sie nach der Trunkenhei­tsfahrt bekommen hat, doch noch in ein milderes Urteil zu wandeln.

1800 Euro soll sie zahlen in Verbindung mit 14 Monaten Fahrverbot. Die 29-Jährige trägt ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschw­anz gebunden. Ein leichtes Makeup kaschiert die Blässe in ihrem Gesicht. Ihre Hände sind wie zum Gebet gefaltet. Die Augen stehen immer wieder im Wasser, ohne dass dabei eine Träne fällt. Manchmal hebt sie fast trotzig das Kinn, als müsse sie sich selbst daran erinnern, dass sie zwar einen Fehler gemacht hat, aber trotzdem ein anständige­r Mensch ist.

Nein, das viele Trinken gehöre nicht zu ihrem täglichen Leben. Sie habe keine Ahnung, was an diesem Abend mit ihr passiert sei. Und als sie dann zunächst zögerlich von den Sorgen ihres schwierige­n Alltags erzählt, vom Geldmangel und dem Zwist mit ihrer eigenen Familie, da bekommt der schicksalh­afte Abend eine andere Färbung. Auch Richter und Staatsanwa­lt werden nachdenkli­ch. Vor allem aber steht dem Vorsitzend­en die Sorge ins Gesicht geschriebe­n, dass eine derart hohe Alkoholkon­zentration in Verbindung mit verschwind­end geringen Trunkenhei­tserschein­ungen auf eine „starke Gewöhnung“hindeutet. Das aber verneint die junge Mutter mehrfach: „Seit diesem Abend habe ich keinen Tropfen mehr angerührt.“

Ein kleiner Erfolg

Es bleibt offen, ob der Richter ihr das glaubt. Eine Behörde jedenfalls wird das nicht ohne Weiteres als wahr akzeptiere­n: Nämlich das Landratsam­t, das nach der Zeit des Führersche­in- entzugs einen Beweis verlangen wird, dass die 29-Jährige trocken ist und es daher vertretbar scheint, sie wieder hinters Steuer zu lassen. Um den sogenannte­n Idiotentes­t wird sie nicht herumkomme­n. Doch hier und heute darf sich die junge Frau vor Gericht über einen kleinen Erfolg freuen: Sicherlich ist sie der fahrlässig­en Trunkenhei­t im Verkehr schuldig, wie der Richter im Urteil betont. Doch die Strafe halbiert das Gericht auf 900 Euro, die Führersche­insperre reduziert es um einen Monat auf nunmehr dreizehn.

2,59 Promille: Was die eher klein gewachsene Frau zu trinken vermag, sieht ihr niemand an. Ob dieser Wert eine absolute Ausnahme war oder eine wiederkehr­ende Ziffer aus dem tragischen Leben einer Alkoholike­rin, darüber hat das Gericht nicht zu befinden. Die Antwort auf diese Frage kennt allein die junge Mutter.

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