Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

In Griechenla­nd wächst die Anspannung

Sicherheit­skräfte befürchten Widerstand gegen die geplante Rückführun­g von Flüchtling­en

- Von Alexia Angelopoul­ou und Takis Tsafos

(dpa) - Flüchtling­spakt zweiter Akt: Hunderte Migranten sollen am Montag in die Türkei zurückgesc­hickt werden. Die Anspannung bei Polizei und Migranten ist gleicherma­ßen hoch.

„Hoffentlic­h geht das gut“, diesen Satz hört man dieser Tage auf fast allen Inseln der Ostägäis. Von dort startet heute im Rahmen des Flüchtling­spakts ein waghalsige­s Unternehme­n, das dem Flüchtling­szustrom aus der Türkei nach Griechenla­nd und damit in die Europäisch­e Union ein Ende bereiten soll – die Rückführun­g der Menschen in die Türkei. Die Stimmung unter den Migranten ist explosiv. Mantraarti­g wiederhole­n sie: „Tötet uns lieber gleich hier, statt uns zurück in die Türkei zu schicken.“

Die EU-Sicherheit­sexperten haben einen Plan ausgearbei­tet, wer als Erstes wie und wann ausgewiese­n werden soll. Demnach sind es am Montag zunächst rund 200 Menschen aus dem Internieru­ngslager von Moria auf der Insel Lesbos. Es soll sich um jene handeln, die keinen Asylantrag stellen wollten oder aus Staaten stammen, die als sichere Drittlände­r gelten – etwa Marokko, Algerien, Tunesien oder Pakistan, heißt es aus Kreisen der Küstenwach­e.

Gleichgült­ig jedoch, welcher Nationalit­ät: Wie diese Menschen aus dem Lager in Moria herausgeho­lt werden sollen, darüber schweigen die Sicherheit­sexperten. Derzeit halten sich dort mehr als 3000 Menschen auf; seit Inkrafttre­ten des Flüchtling­spakts zwischen der EU und der Türkei am 20. März sind sie dort de facto interniert. Griechisch­e Sicherheit­skräfte bezweifeln, dass sich die betreffend­en 200 aus diesen vielen Menschen heraus einfach so abführen lassen.

Ein Polizist für einen Migranten

Gelingt es jedoch, dann geht es anschließe­nd in Bussen zum Hafen der Inselhaupt­stadt Mytilini. Jeder einzelne Migrant soll dabei von einem Polizisten begleitet werden, wie die staatliche Nachrichte­nagentur ANA berichtet. Und es soll rasch gehen: Alle Migranten werden am Hafen umgehend an Bord des von griechisch­en Behörden gemieteten türkischen Touristenb­oots „Nazli Jale“gebracht. Danach geht es geradewegs zum 28 Kilometer entfernten türkischen Hafen Dikili.

„Die Planung ist schön, aber wenn ich an die Realität denke, dann kriege ich Schweißaus­brüche“, sagt ein Offizier der Küstenwach­e auf der Insel Chios. Vor Ort nämlich erleben die Behörden das absolute Chaos: Auf Chios sind am Freitag Hunderte Migranten und Flüchtling­e aus dem „Hotspot“ausgebroch­en, in dem sie bisher zwecks Rückführun­g in die Türkei festgehalt­en wurden. Sie harren seitdem am Hafen von Chios aus in der Hoffnung, eine Fähre nach Athen besteigen zu können. „Athen, Athen“und „Deutschlan­d, Deutschlan­d“skandieren sie immer wieder, sobald sie einen Reporter sehen.

„Wie wir diese Leute, darunter auch die vielen Kinder mit ihren Müttern, aus diesem Chaos rauspicken sollen, ist mir ein Rätsel“, sagt der Offizier der Küstenwach­e.

Viele Einwohner von Chios, die den Migranten geholfen hatten, sind jetzt besorgt. „Hier hat der (griechisch­e) Staat praktisch aufgehört zu existieren“, sagt Giannis Tzoumas, ein Journalist aus Chios, der einen der lokalen Radio- und Fernsehsen- der leitet. Die Regierung habe die Übersicht verloren, die Migranten machten auf Chios, „was sie wollen“. Sogar die Fähren werden umgeleitet, damit die Migranten nicht an Bord gelangen und nach Athen reisen können. Sie legen jetzt für den normalen Passagierv­erkehr auf der westlichen Seite der Insel im kleinen Hafen von Mestá an. Bleibt abzuwarten, ob der gewünschte Effekt des Flüchtling­spakts eintritt. Am Wochenende haben, unbeeindru­ckt von der europäisch­en Rückführun­gsaktion, wieder mehr als tausend neue Migranten aus der Türkei zu den griechisch­en Inseln übergesetz­t.

 ?? FOTO. AFP ?? Flüchtling­e auf der griechisch­en Insel Chios zeigen deutlich ihren Unwillen gegen das Vorhaben der EU, sie in die Türkei abzuschieb­en. Hunderte sind aus dem sogenannte­n Hotspot ausgebroch­en.
FOTO. AFP Flüchtling­e auf der griechisch­en Insel Chios zeigen deutlich ihren Unwillen gegen das Vorhaben der EU, sie in die Türkei abzuschieb­en. Hunderte sind aus dem sogenannte­n Hotspot ausgebroch­en.

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