Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Die rechtliche Grundlage fehlt“
- Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne, Foto: dpa) kritisiert das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei als „Menschentausch“. Andreas Herholz hat mit ihr gesprochen.
Es gibt Hinweise, dass Ankara mit der Rücknahme der Flüchtlinge überfordert sei und sie sogar nach Syrien abschieben würde …
Die Türkei hat bereits mehr als zweieinhalb Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das sind mehr als die gesamte EU zusammen und ist eine große Leistung. Aber es stellt sich die Frage, ob die Türkei noch mehr schultern kann. Es geht nur noch darum, die Festung Europa abzusichern. Da sucht man sogar den Schulterschluss mit Erdogan. Amnesty International berichtet seit Monaten, dass die Türkei Flüchtlinge aus Syrien und aus dem Irak wieder in die Kriegsgebiete zurückschickt. Dieser Menschentausch, nachdem die Türkei Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt und die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei, ist unmoralisch. Die Bundesregierung will wie die drei Affen nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, um den Deal nicht zu gefährden. Durch das Abkommen mit Ankara gibt es keinen einzigen Flüchtling weniger.
Ist das der Abschied der Bundesregierung von der Willkommenskultur?
Die Bundeskanzlerin hat einen Paradigmenwechsel vollzogen. Zuerst hat sie vom humanitären Imperativ gesprochen, von den europäischen Werten und der Schutzverantwortung gegenüber den Flüchtlingen. Jetzt ist davon keine Rede mehr. Jetzt spricht man von Illegalen, die nach Griechenland gekommen sind. Weder in Afghanistan, noch im Irak, noch in Syrien herrscht Frieden. Jetzt sollen Flüchtlinge von heute an wieder in die Türkei zurückgeführt werden, begleitet von der Polizei, so als handele es sich um Verbrecher. Da muss man sich nicht wundern, dass sie versuchen zu fliehen. In der Türkei gibt es nicht mehr die notwendige Infrastruktur, um noch eine weitere große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen zu können. Für dieses Abkommen fehlt auch die rechtliche Grundlage.
Von einer europäischen Lösung und einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge ist man noch weit entfernt, oder?
Kanzlerin Merkel ist in Europa ziemlich alleingelassen worden. Die EU wird nur noch von nationalen Egoismen beherrscht. Von gemeinsamen Werten und Solidarität ist nicht viel zu erkennen. Solange es diese Solidarität nicht gibt, wäre es dennoch richtig, was der humanitäre Imperativ fordert. Frau Merkel fehlt natürlich auch in ihrer eigenen Regierung der Rückhalt für ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik.