Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Tote bei Konflikt um Berg-Karabach
Seit Jahrzehnten streiten Armenien und Aserbaidschan um Unruhegebiet im Südkaukasus
- Wie mahnende Finger ragen die Rotorblätter eines zerstörten Helikopters in die Luft. Die verkohlten Überreste des Kampfhubschraubers liegen auf einer grünen Wiese, irgendwo im Unruhegebiet Berg-Karabach im Südkaukasus, wie armenische Medien berichten. Die Wrackteile künden von der jüngsten Eskalation in dem Jahrzehnte alten Konflikt um die Region zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan.
Die Nachrichten sind widersprüchlich. Das Verteidigungsministerium in Baku teilte am Sonntag mit, eine einseitige Waffenruhe „als Zeichen des guten Willens“in Berg-Karabach auszurufen. Gleichzeitig sprach es aber von der Absicht, bereits zurückeroberte Gebiete zu sichern. Vor diesem Hintergrund dürfte der aserbaidschanische Waffenstillstand von der armenischen Seite kaum als ein ernstes Angebot verstanden werden. Würde das armenische Militär seine „Provokationen“nicht beenden, würde die aserbaidschanische Armee das von armenischen Truppen besetzte Gebiet ganz „befreien“, hieß es in der Stellungnahme.
Die Gefechte waren in der Nacht zum Samstag ausgebrochen. Armeniens Präsident Sersch Sargsjan sprach von 18 getöteten und 35 verletzten Soldaten. Baku will hingegen nur zwölf Mann verloren haben. Der Präsident Aserbaidschans, Ilham Aliyev, und sein armenischer Amtskollege Sargsjan weilten zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Kämpfe ge- rade auf dem Atomgipfel in Washington.
Seit Jahren ist die Lage angespannt in Berg-Karabach. Die zerklüftete Bergregion wird vor allem von christlichen Armeniern bewohnt. Diese hatten sich Anfang der 1990er-Jahre von Aserbaidschan losgesagt. Das muslimisch geprägte Land am Kaspischen Meer erhebt Anspruch auf Berg-Karabach. Aserbaidschan wirft dem Nachbarland Armenien vor, die Region in einem Krieg zwischen 1992 und 1994 völkerrechtswidrig besetzt zu haben. Der UN-Sicherheitsrat hat dies mehrfach verurteilt.
Fronten bleiben verhärtet
„Nach dieser heftigen Eskalation geht es darum, die Lage zu normalisieren und die Verhandlungen wieder aufzunehmen“, sagt der armenische Politologe Alexander Iskandarjan. Einen Kompromiss zu finden, ist das Ziel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Doch die Bemühungen der sogenannten Minsk-Gruppe stocken seit Jahren. Das Gremium mit den USA, Russland und Frankreich an der Spitze plant für Dienstag ein Krisentreffen. Außenminister FrankWalter Steinmeier ist als amtierender OSZE-Vorsitzender in den Prozess einbezogen. Zuletzt hatte ein Treffen der Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien im Dezember in der Schweiz keine Annäherung gebracht. Die Fronten bleiben verhärtet.
Das dank immenser Öl- und Gasvorkommen reiche Aserbaidschan investiert seit Jahren Petrodollars in Rüstung. Aliyev bekennt offen, dass er Berg-Karabach notfalls mit Gewalt zurückerobern wolle. Doch der Absturz der Ölpreise in den vergangenen Monaten setzt Baku finanziell unter Druck. Beobachter halten es für möglich, dass Aliyev in dieser Situation dem eigenen Volk Stärke demonstrieren wollte.
Armenien wähnt sich von Feinden umstellt. Der Gegner in Baku pflegt enge Kontakte zur Türkei, die im Westen an Armenien grenzt. Doch die Grenze ist dicht. Weil die Türkei die Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg nicht als Völkermord anerkennt, gilt sie als Feind. Angesichts dieser schweren Konflikte baut das wirtschaftlich schwache Land mit rund drei Millionen Einwohnern auf die Hilfe der Schutzmacht Russland. Moskau hat Tausende Soldaten in Armenien stationiert.
„Armenien liegt in der Mitte zwischen gefährlichen Konfliktherden“, erklärt der Experte Iskandarjan. Die Grenze zum Gebiet der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak sei nur wenige Hundert Kilometer entfernt; im Südwesten Armeniens führe die Türkei Krieg gegen die Kurden; und das Verhältnis Russlands zur Türkei sei wegen des abgeschossenen russischen Kampfjets in Syrien auf einem Tiefpunkt.