Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Migranten wagen die Selbststän­digkeit

Der DIHK schätzt, dass voriges Jahr dadurch bis zu 50 000 neue Jobs entstanden sind

- Von Lena Müssigmann und Andreas Hummel

(dpa) - Gökhan Kilic hat als Animateur gearbeitet, als Tanzlehrer und Döner-Verkäufer. Seit einigen Jahren ist der Kurde Bauunterne­hmer im ostthüring­ischen Gera mit derzeit 13 Beschäftig­ten. „Ich bin 2003 nach Deutschlan­d gekommen und wollte immer auf eigenen Beinen stehen“, sagt der 33-Jährige. Deswegen hat sich Kilic rasch selbststän­dig gemacht – zunächst mit einem Döner-Imbiss, später als Eisenflech­ter.

Während das Interesse an einer Firmengrün­dung in Deutschlan­d seit Jahren abnimmt, bereichern nach Expertenei­nschätzung Migranten immer häufiger das Wirtschaft­sleben. Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) schätzt für seinen Zuständigk­eitsbereic­h, dass die Migranten voriges Jahr bis zu 50 000 neue Jobs geschaffen haben.

Selbststän­digkeit kostet 20 Euro

„Die Selbststän­digkeit kostet gerade einmal 20 Euro“, sagt Kilic. So viel habe er für den Gewerbesch­ein gezahlt. Ansonsten habe ihm vor allem die deutsche Sprache anfangs Probleme bereitet, und es sei schwer gewesen, sich im Dickicht der Bürokratie zurechtzuf­inden. „Letztlich muss man aber etwas wagen, auf seine eigenen Gefühle hören und vor allem kämpfen.“

In Deutschlan­d wurden voriges Jahr knapp 572 000 Unternehme­n neu gegründet – ein Minus von 2,4 Prozent im Vergleich zu 2014, wie aus jüngsten Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s hervorgeht. Von den fast 462 000 Einzelunte­rnehmern war mehr als jeder Vierte ein Ausländer. Bei den Neugründun­gen insgesamt ist der Migrantena­nteil von 11,2 Prozent im Jahr 2000 auf fast 26 Prozent 2014 gestiegen. Für 2015 liegen hierzu noch keine Zahlen vor.

„Ihr Anteil in den Beratungen für Existenzgr­ünder wächst seit Jahren“, berichtet Marc Evers, Fachmann für Mittelstan­d und Existenzgr­ündung beim DIHK. Lag er 2007 bei den Industrie- und Handelskam­mern bei 14 Prozent, seien es 2014 schon 19 Prozent gewesen. „Das Unternehme­rtum wird von Migranten mehr und mehr als Option gesehen.“Ihr Augenmerk liege vor allem auf Gastgewerb­e und Handel, wo sie überdurchs­chnittlich stark vertreten seien. Mit 31 Prozent besonders hoch sei ihr Anteil in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Auch im Osten, wo vergleichs­weise wenige Ausländer leben, sei die Migrantenq­uote in den Beratungen für Existenzgr­ünder mit 17 Prozent beachtlich.

Als Gründe führt Evers an, dass Migranten häufiger als Deutsche von Arbeitslos­igkeit betroffen seien und es ihnen an Alternativ­en fehle. Zum anderen beobachte er einen stark ausgeprägt­en Unternehme­rgeist. Sie oder ihre Elterngene­ration hätten ihre Zukunft selbst in die Hand genommen und ein neues Leben fern der alten Heimat begonnen. „Das setzt Mut und Bereitscha­ft zur Veränderun­g voraus – Eigenschaf­ten, die man auch als Unternehme­r gut gebrauchen kann.“

Massive Hürden

Zwei, die noch gegen die anfänglich­en Hürden auf dem Weg in die Selbststän­digkeit kämpfen, sind die Syrer Alaa Eddin AlJabara (30) und Abdul Rahim Khalaf (45). Sie wollen in Horb am Neckar einen Lieferserv­ice syrischer Gerichte in Bio-Qualität anbieten und auf Wunsch auch bei Kunden daheim kochen. Das Konzept steht, profession­elle Fotos für Flyer und Internet sind gemacht - aber sie finden keine geeignete Küche, die sie mieten können geschweige denn eine Wohnung. Bisher wohnen sie in einer Flüchtling­sunterkunf­t. „Syrer? Nein, danke“, schildert AlJabara die Reaktion potenziell­er Vermieter.

Mit der ehrenamtli­chen Flüchtling­shelferin Eva Michielin haben sie eine Mentorin gefunden. Sie hat sich bereit erklärt, das Unternehme­n zu gründen und die beiden Syrer zu beteiligen. AlJabara und Khalaf, der schon vier Jahre lang in einem syrischen Flüchtling­scamp gekocht hat, setzen große Hoffnung auf sie. Michielin ist Chefin einer mittelstän­dischen Firma und weiß von „massiven Hürden“, wenn man einen Flüchtling in der Firma einstellen will. „Aber unternehme­risch tätig zu werden, kann man niemandem verbieten“, sagt sie.

Generell haben Migranten mit ähnlichen Problemen wie deutsche Existenzgr­ünder zu kämpfen. Bauunterne­hmer Kilic berichtet etwa von schlechter Zahlungsmo­ral im Baugewerbe. Sein Betrieb ist als Subunterne­hmen tätig, derzeit etwa auf Baustellen in Jena und Berlin. 2014 – damals hatte er in Spitzenzei­ten 67 Mitarbeite­r – sei seine Firma in eine Krise gerutscht, weil ein Auftraggeb­er nicht gezahlt habe. Zudem sei es schwierig, hierzuland­e Mitarbeite­r für die schwere Arbeit auf Montage zu finden, berichtet er. Deswegen arbeiteten für ihn vor allem Polen, Griechen und Rumänen.

„Manche haben die Vorstellun­g, als Unternehme­r Millionär zu werden – das kann man vergessen“, betont Kilic. Trotz mancher Rückschläg­e bereue er den Schritt in die Selbststän­digkeit nicht. Für dieses Jahr ist er optimistis­ch – 2016 sei gut angelaufen und ab April und Mai rechnet er mit einem verstärkte­n Auftragsei­ngang. Zeitweise werde er die Mitarbeite­r wohl auf bis zu 40 aufstocken. Zudem hält Kilic nach weiteren Geschäftsf­eldern Ausschau: „Wenn ich die Chance bekomme, möchte ich mein Unternehme­n in Richtung Rohbau vergrößern.“

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FOTO: DPA Firmenchef Gökhan Kilic auf einer Baustelle am Universitä­tsklinikum in Jena. Der 33- jährige Kurde ist Bauunterne­hmer im ostthüring­ischen Gera mit derzeit 13 Beschäftig­ten.

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