Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Tanzformen der Liebe
Wim Vandekeybus und Ultima Vez begeistern beim Bregenzer Frühling
– Aus Brüssel kommen derzeit nicht nur Schreckensmeldungen. Von dort kommen auch Wim Vandekeybus und seine Tanzkompanie Ultima Vez, die bereits zum wiederholten Mal die Freunde des modernen Tanztheaters beim Bregenzer Frühling begeisterten. Diesmal waren sie mit der 2015 entstandenen Produktion „Speak low if you speak love“zu Gast.
Die Truppe besteht aus acht Tänzerinnen und Tänzern, der südafrikanischen Sängerin Tutu Puoane und drei Musikern rund um den Gitarristen Mauro Pawlowski. Und wie bereits vor zwei Jahren (in „What the body doesn’t remember“) lässt Vandekeybus eine ungeheure Bilderflut entstehen, die, natürlich, mit der Liebe zu tun hat. Auch wenn das Shakespeare’sche „speak low“– „sprich leise“hier durchaus anders gedeutet wird.
So wie jede Liebesgeschichte eine besondere ist und von jedem und jeder anders erzählt wird, dürfte auch jeder und jede im Festspielhaus eigene Geschichten von diesem Abend berichten. Vandekeybus und Ultima Vez erschaffen archaische Bilder. So wie das vom Urzustand im Paradies, mit unwirklich wispernden Klängen, oder das vom Suchen und Finden, etwa wenn die Köpfe zu Beginn von einem Tuch verhüllt sind und die Konturen eines Gesichts ertastet werden. Auch die getanzten Bilder von der kindlichen Unschuld, vom Erwachen der Gier, wenn ein Gefäß mit goldenen Münzen ausgegossen wird, und der sexuellen Begierde bleiben im Gedächtnis. Da werden Seile und Angeln ausgeworfen, ein Drache soll emporsteigen, wird aber von einer Eisenkette am Boden gehalten, Menschen verfolgen einander bis hinauf in den Rang des Festspielhauses.
Das Bewegungsrepertoire von Ultima Vez scheint unendlich, virtuos, artistisch, akrobatisch, katzenhaft geschmeidig, mit gewaltigen Sprüngen und Elementen von klassischem Ballett, die dann wie eine humoristische Einlage wirken. Szenen von großer Zärtlichkeit und Verletzlichkeit wechseln ab mit solchen von Aggression und höchster Verzweiflung. Manches erinnert an Kindergeburtstag, dann wieder heizen die Musiker mit Orgel, E-Gitarre und Schlagzeug gehörig ein. Die Stimme von Tutu Puoane kommt zunächst wie von ferne, dann wird die Sängerin ebenso in das Bühnengeschehen eingebunden wie die anderen Musiker, es kommt zu Interaktionen, ist doch das sich rauschhaft steigernde Treiben des Schlagzeugers ebenso ein physischer Akt wie der Tanz.
Man lässt sich hineinfallen in den Sog der vielfältigen Bewegung, in den großen Kreislauf von Anziehung und Wegstoßen, von Symbiose und Gewalt, hört irgendwann auf, die Bedeutung der Sargbretter ergründen zu wollen. Das Schlussbild nach 105 intensiven Minuten greift den Beginn auf: Eine Tänzerin wirft ein Seil ins Publikum, diesmal wird es aufgefangen, die Tänzerin springt in den Orchestergraben.