Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schluss mit lustig

Neuinterpr­etation von „Alice im Wunderland“ist nichts für zarte Gemüter

- Von Florian L. Arnold

- „Alice im Wunderland“– bei diesem Titel denkt man natürlich an Lewis Carrolls legendäres Buch, an den weißen Hasen mit der Taschenuhr und an das Mädchen Alice, das in ein rätselhaft­es Wunderland gerät. Ist schon Carrolls Vorlage mit düsteren und unheilvoll­en Momenten gespickt, so nimmt Regiestude­nt Nick Körber in seiner Fassung des Stoffes für das Akademieth­eater in Ulm alles potenziell Niedliche und Kindliche heraus.

Seine Alice ist ein 16-jähriger Junge, der „immer das macht, was man ihm sagt“. Und so nimmt er bei einer Party auch brav eine Trenddroge ein – und sieht das weiße Kaninchen, dem er nachrennt. Alice im Wunderland hat allerdings bald Grund, Angst zu haben: die Herzkönigi­n ist ein skrupellos­er Vamp, der die Zeit angehalten hat, um ihre Schönheit zu bewahren. Damit niemand ihre Terrorherr­schaft beenden kann, bewahrt sie ihr Herz in einem Kästchen auf, das gut versteckt ist. Wenn es eine Rettung nicht nur für das Wunderland sondern auch für Alice geben soll, muss dieses Herz durchstoße­n werden.

Drogenraus­ch statt Kindesfant­asie, (blutiger) Ernst statt bunter Fantasiewe­lt: Nick Körber schrieb und inszeniert­e seine „Alice“-Variation sehr frei nach dem Originalst­off von 1865. „Lustig“ist da nichts, dafür geizt die Inszenieru­ng nicht mit Anspielung­en und psychologi­scher Hinterleuc­htung. Die Aktualisie­rung in die Moderne funktionie­rt. Als Raupe, Kaninchen und Grinsekatz­e überzeugt Hannah J. Elischer. Melly Schmidt als wollüstige Herzkönigi­n meistert den schmalen Grat zwischen wahnsinnig­er Tyrannin und verletzter Seele. Wenn sie „Kopf ab!“schreit läuft es einem kalt den Rücken herunter. Wenn sie gegen Ende des Stücks die Quelle ihrer Lust und ihrer Aggressivi­tät bloß legt, bleibt kein Zuschauer unberührt.

Als Alice gefällt Dennis Hurler – anfangs naives Kind, zuletzt dem Wahnsinn des „Wunderland­es“an- heim fallend. Mit knappem Bühnenbild entwirft Körber mit seinen Darsteller­n eine rabenschwa­rze Variante des Caroll’schen Stoffes. Dass die Inszenieru­ng sich am Ende aber mit dem psychologi­schen Knüppel in ein Missbrauch­s- und Morddrama wendet, nimmt der aufgebaute­n Spannung vieles von ihrem Zauber. Das schwarze Märchen wird zur Realität.

Das macht zwar betroffen – verwirft somit aber leider auch vieles von dem durch die Darsteller so gewitzt aufgebaute­n Gegenwelt-Charme.

 ?? FOTO: FLORIAN ARNOLD ?? Drogenraus­ch statt Kindesfant­asie: Hannah J. Elischer in Nick Körbers Neuinterpr­etation von „ Alice im Wunderland“.
FOTO: FLORIAN ARNOLD Drogenraus­ch statt Kindesfant­asie: Hannah J. Elischer in Nick Körbers Neuinterpr­etation von „ Alice im Wunderland“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany