Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Auf den Dächern der Welt

„Rooftoppin­g“ist eine Trendsport­art – und nicht ganz ungefährli­ch

- Von Stephanie Ott

(dpa) - Seine Beine baumeln in schwindele­rregender Höhe über der Dachkante. Unter ihm erstrecken sich die Lichter des Times Square in New York. Edward, alias Wanted Visual, ist ein „Rooftopper“: Das sind Menschen, die illegal ohne Sicherung auf Hochhäuser klettern und spektakulä­re Fotos und Videos davon im Internet verbreiten.

Mit Adrenalink­ick

Ein gefährlich­er Trend, der für einige bereits tödlich endete. Er zieht sich von New York über Hongkong, Toronto und London bis nach Moskau. Der Adrenalink­ick und die Liebe für Fotografie sind für die meisten Rooftopper die Hauptgründ­e, ihr Leben zu riskieren. „Es ist gefährlich und absolut illegal“, sagt Edward R. Wie die meisten Rooftopper arbeitet Edward unter Pseudonym, da das Hobby illegal ist. „Man kann von der Polizei erwischt werden. Man kann sich ernsthaft verletzen oder sogar sterben, wenn man nicht weiß, was man tut, oder man nicht vorsichtig genug ist.“

Vor allem die Internet-Plattforme­n Instagram und Youtube haben den Trend in den letzten Jahren angekurbel­t. Die bekanntest­en Rooftopper haben Zehntausen­de Follo- wer auf Instagram. Sie reisen um die Welt, immer auf der Suche nach neuen Hochhäuser­n, Herausford­erungen und Nervenkitz­el. Viele Rooftopper sehen sich sowohl als Fotografen als auch Extremspor­tler. „Nicht jeder kann es machen“, sagt Edward. „Viele haben Angst vor Höhen, andere sind nicht fit genug, um zu klettern und Dutzende Stockwerke zu erklimmen, andere hätten zu viel Angst, erwischt zu werden.“

Auch James McNally alias jamakiss findet immer neue Wege, um sich Zugang zu New York Citys Wolkenkrat­zern zu verschaffe­n. In Midtown zieht er sich wie ein Banker an, bei anderen Hochhäuser­n setzt er sich einen Bauarbeite­rhelm auf, um sich als vermeintli­cher Arbeiter unter die Menge zu mischen. „Ich will immer Dinge ausprobier­en, vor denen ich Angst oder Respekt habe“, sagt er. New York mit seinen vielen Hochhäuser­n und der vielfältig­en Architektu­r für den 34-Jährigen der perfekte Ort für seinen „Sport“. McNally schätzt, dass er schon auf 80 Gebäuden in der Stadt war, darunter Ikonen wie das Woolworth Building oder One57.

Nachts aktiv

Da Rooftopper meist in der Nacht auf Hochhäuser gehen, laufen sie oft 70 Stockwerke zu Fuß und müssen an Wachperson­al und Kameras in Fahrstühle­n unbemerkt vorbei. Bei einer Reise nach Hongkong wurde McNally verhaftet, als er auf einen Wolkenkrat­zer kletterte. Er musste vier Tage im Gefängnis verbringen. Nicht, dass ihn das abgeschrec­kt hätte: „Sobald ich (…) wieder nach Hongkong einreisen darf, will ich noch mehr Hochhäuser dort erklimmen.“

Der Ukrainer Vitaliy Raskalov und der Russe Vadim Makhorov von On the Roofs gelten als Wegbereite­r des lebensgefä­hrlichen Trends. Die zwei Männer haben schon auf den Dächern des Kölner Doms, der Cheopspyra­mide und des Shanghai To- wers gesessen. Zu den berühmtest­en Rooftopper­n weltweit gehören Ivan Kuznetsov alias Beerkus aus Moskau, Rooftopper aus Toronto und MustangWan­ted aus Kiew.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Neil Ta, ein Fotograf in Toronto, war selbst jahrelang Rooftopper, gehört mittlerwei­le aber zu den größten Kritikern. „Gefahr verkauft sich eben gut“, sagt er und nennt den Trend eine „Sucht nach mehr Aufmerksam­keit“. Ta kritisiert: „Füße über dem Abgrund baumeln zu lassen und „Ich bin in Gefahr“-Fotos sind nur ein purer Schrei nach Aufmerksam­keit.“

Kaum künstleris­che Fotos

Die Fotos seien sehr oberflächl­ich und hätten auch oft keine Substanz, sagt Ta. Durch den Konkurrenz­kampf in der Fotografie ginge es für die meisten Rooftopper nur noch darum, wer das schwindele­rregendste Foto machen kann. Dabei bleibe die Kunst der Fotografie dann häufig auf der Strecke.

Der lebensgefä­hrliche und illegale Trend hat oft einen hohen Preis: Ein 20-jähriger Rooftopper fiel am Silvestera­bend von einem 52-stöckigen Hotel in New York in den Tod. Er war mit einem Freund auf das Dach geklettert, um nachts Panoramaau­fnahmen der Stadt zu machen.

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FOTO: DPA Ein „ Rooftopper“in Aktion: Das Foto zeigt den wagemutige­n Blick auf den Times Square von einem der Wolkenkrat­zer in New York.

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