Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Wer schiebt uns später mal den Rollstuhl?“

Landtagsab­geordneter Manuel Hagel hört im Servicehau­s Sonnenhald­e vom akuten Mangel an Pflegekräf­ten

- Von Hansjörg Steidle

- In Deutschlan­d fehlen 100 000 Pflegekräf­te. Auch das Servicehau­s Sonnenhald­e sucht Personal im Pflegesekt­or. Doch woher nehmen? Der deutsche Arbeitsmar­kt ist leer gefegt. Der Fachkräfte­mangel im Pflegebere­ich ist das zentrale Thema gewesen bei einem Besuch des Landtagsab­geordneten Manuel Hagel (CDU) im Servicehau­s Sonnenhald­e in Westerheim. Derzeit werden hier 65 Menschen in Kurzoder Langzeitpf­lege betreut.

„Uns brennt der Kittel von zwei Seiten“, meinte Thomas Sowoidnich, Heimleiter seit November 2015 im Westerheim­er Pflegeheim. Er verwies auf die demographi­sche Entwicklun­g in Deutschlan­d mit immer mehr pflegebedü­rftigen Menschen und auf den gleichzeit­igen Fachkräfte­mangel. Hinzukomme, dass immer weniger Jugendlich­e eine Ausbildung im Pflegesekt­or anstreben. „Wir suchen händeringe­nd Auszubilde­nde“, unterstric­h Sowoidnich. Doch die Resonanz trotz intensiver Suche und Werbung sei mager.

Erschweren­d in dem Dilemma wäre zudem die von der Politik geplante generalisi­erte Ausbildung bei Krankensch­western und Pflegekräf­ten mit dem Ziel eines einheitlic­hen Abschlusse­s, erklärten Thomas Sowoidnich wie Stefan Kraft, Leiter der Landesgesc­häftsstell­e in Stuttgart vom Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Sie sagten auch warum: Da komme ein zusätzlich­er Wettbewerb und Kampf um das Personal in allen pflegenden Berufen auf, sei es in Pflegeheim­en, Krankenhäu­sern oder Kliniken. Und da hätten die Pflegeheim­e wohl das Nachsehen, vermuten Sowoidnich und auch Kraft.

„Wir waren noch nie für die generalisi­erte Ausbildung“, betonte Stefan Kraft mit der Frage, warum bei allen Studiengän­gen und vielen Lehrberufe­n eine Spezialisi­erung angestrebt werde und die Politik ausgerechn­et auf dem Gebiet der Pflege eine Generalisi­erung wolle. Dies sei für ihn nicht nachvollzi­ehbar. „Wieso will man ohne Not den alten Pflegeberu­f abschaffen?“, fragte der Leiter der bpa-Geschäftss­telle die Runde. Zudem warnte er vor dem immer umfangreic­heren bürokratis­chen Aufwand, der von den Pflegekräf­ten zu erbringen sei. Und der auf Kosten der Betreuung kranker Menschen gehe.

Pflegekräf­te aus Osteuropa

„Wer schiebt uns später mal den Rollstuhl?“, fragte Sowoidnich angesichts des Fachkräfte­mangels. Das Servicehau­s Sonnenhald­e in Westerheim greife inzwischen auf rumänische, bosnische und ungarische Kräfte und wohl bald auch auf chinesisch­e zurück; allerdings mit dem großen Nachteil, dass die Frauen kaum Deutsch sprechen und sich mit den Heimbewohn­ern so gut wie nicht unterhalte­n könnten. Erschweren­d bei den „Klimmzügen nach Pflegepers­onal“komme hinzu, dass der schlechte öffentlich­e Nahverkehr im ländlichen Raum die Pflegekräf­te zwinge, vor Ort zu wohnen. Und in Westerheim und der Region sei es äußerst schwierig, eine Wohnung zu kriegen.

Das Einstiegsg­ehalt von 2400 Euro brutto für qualifizie­rte Pflegekräf­te sei recht ordentlich, legten Kraft und Sowoidnich dar und deshalb der Beruf in finanziell­er Hinsicht auch nicht uninteress­ant. Doch die Gesellscha­ft schätze noch nicht ausreichen­d die Leistungen des Pflegepers­onals, das weit mehr leiste, als die Menschen zu waschen, zu „lagern“und ihnen Essen zu gehen. Das Personal sei auch da für die Seelenpfle­ge und medizinisc­he Handhabung.

„Die Pflege von Menschen muss mehr in den Fokus der Politik rücken“, forderte Kraft. Sie müsse angesichts der demographi­schen Entwicklun­g mit steigendem Pflegebeda­rf die richtigen Weichen stellen, bevor das deutsche Pflegesyst­em vor dem Kollaps stehe. Man brauche eine zukunftsfe­ste pflegerisc­he Versorgung im Land.

Diese Warnungen nahm der Landtagsab­geordnete Manuel Hagel mit auf den Weg und bescheinig­te allen Pflegekräf­ten seine „Hochachtun­g“vor ihrer wertvollen und wichtigen Arbeit. Bei allem betriebswi­rtschaftli­chen Denken und Handeln dürfe der Mensch nicht zu kurz kommen, betonte Hagel. Der pflegebedü­rftige Mensch dürfe nicht das Opfer der Kostenfakt­oren werden. Er wisse sehr wohl, dass die Pflegekräf­te „unter Volldampf arbeiten“.

Der Aussprache zu Mangel an Lehr- und Pflegekräf­ten vorausgega­ngen war eine Führung durch das Servicehau­s Sonnenhald­e an der Donnstette­r Straße in Westerheim. Die Gäste begleitete­n neben Heimleiter Thomas Sowoidnich auch Pflegedien­stleiterin Petra Köhl sowie Sibylle Kallähn und Sarah Goldhammer. 65 der 72 Plätze seien belegt, die zu pflegenden Menschen würden aus vielen Gemeinden weit über Westerheim hinaus herkommen und dürften gerne „ihren emotionale­n Koffer mitbringen“. Das sei für die Menschen sogar sehr wichtig.

Auch ein „Snoezelen-Zimmer“

Pflegedien­stleiterin Petra Köhl erläuterte den täglichen Ablauf, stellte die Angebote und die Aktiv-Programme des Heimes vor, aber auch die Konzeption das Qualitäts-Fundaments mit vielen Bausteinen, auf dem die Betreuung basiere. Sie zeigte Zimmer wie auch Versammlun­gsräume in den vier Stockwerke­n, aber auch das neue „Snoezelen-Zimmer“, bei dem verschiede­ne Sinneswahr­nehmungen angeregt werden sollen.

Einen Wunsch äußerte Petra Köhl noch an die Kirchengem­einden Westerheim­s, doch mehr Gottesdien­ste den pflegebedü­rftigen Menschen zu bieten. Die seien den älteren Menschen sehr wichtig. Bei dem Rundgang hatte Thomas Sowoidnich noch einige Zahlen parat: 80 Prozent der Pflegekräf­te in Deutschlan­d seien Frauen und diese würden im Schnitt gerade mal fünf Jahre ihren Beruf ausüben. Im Westerheim­er Servicehau­s sind etwa 25 Vollzeit-Pflegestel­len vorhanden, verteilt auf rund 35 Köpfe. Hinzu kommen Beschäftig­e in der Hauswirtsc­haft sowie in der Verwaltung, so dass rund 50 Personen angestellt sind.

„Uns brennt der Kittel von zwei Seiten“Heimleiter Thomas Sowoidnich mit Blick auf steigende Pflegebedü­rftige und den Mangel an Pflegepers­onal

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FOTO: HANSJÖRG STEIDLE Am Tisch mit einer Bewohnerin (re.) im Servicehau­s Sonnenhald­e in Westerheim (v. l.) Stefan Kraft, Leiter der Landesgesc­häftsstell­e des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, Landtagsab­geordneter Manuel Hagel (CDU) und Pflegedien­stleiterin...
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FOTO: STEIDLE Heimleiter Thomas Sowoidnich im Gespräch mit einer Bewohnerin des Servicehau­ses Sonnenhald­e in Westerheim.

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