Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Stichhaltige Leidenschaft
Auf der Tattoomesse in Ulm werden die unterschiedlichsten Motive realisiert
- Ein monotones, elektrisches Summen liegt in der Luft. Es ist ein hoher, dauerhafter Ton, der Aussteller und Besucher gleichermaßen beim Gang durch die Gassen der Hallen auf dem Ulmer Messegelände verfolgt, denn er kommt von überall her. Es ist das Summen mehrerer Dutzend Tätowiernadeln, die bei der Ulmer Tattoo-Messe Sekunde für Sekunde schwarze und farbige Tinte unter die Haut tattoowilliger Besucher stechen. So wie bei Yvonne Grubesa.
Die junge Mutter streckt tapfer ihre linke Hand von sich. Strich für Strich entsteht auf der Handfläche ein Auge Buddhas, ein Symbol des universellen Mitgefühls, das vor allem in Asien bekannt ist. Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich Tommy – professioneller Tätowierer und Mann von Yvonne – vor, bis das nach außen schauende Auge Gestalt annimmt. Am Ende muss die Frau noch einmal die Zähne zusammenbeißen, dann ist das Auge perfekt. „Im Moment fühlt es sich ein bisschen wie Sonnenbrand an“, erklärt sie, nachdem das Werk vollendet ist. „Aber es ist nicht schlimm.“Die Idee, sich das Auge stechen zu lassen, kam ihr nicht spontan. Ihren ganzen Körper, vor allem den Oberkörper, zieren bereits asiatische und fernöstliche Symbole. Auf ihrem rechten Oberarm findet sich ebenfalls ein buddhistisches Symbol, eine Grüne Tara, ein weiblicher Buddha, die vor den acht Arten der Angst schützen soll. Auf ihrem linken Arm findet sich dazu noch ein Schutzzeichen aus der japanischen Kultur. Wie viele Tattoos Yvonne Grubesa hat, lässt sich im Einzelnen nicht mehr genau nachzählen. Die verschiedenen Figuren, Blumen, und Schutzzeichen ergeben ein farbiges Gesamtkunstwerk. „Tattoos sind Kunst für mich und irgendwann passen alle zusammen.“Ihr erstes Tattoo, so Grubesa, war dagegen eine Jugendsünde. „Ich habe mir in Spanien an der Hüfte einen Salamander stechen lassen.“Als der ihr nicht mehr gefallen hat, wurde dieser aber überstochen. Mittlerweile ziert ein großer Drache ihre Seite. Tattoos, sagt Yvonne Grubesa, sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das kann ihr Mann nur bestätigen. „Ich habe Kunden, die sind Ärzte oder Anwälte. Die Leute haben einfach Lust auf diese Lebenseinstellung.“
Lust auf ein Tattoo hatte auch Alexander Socher. Der 24-Jährige aus Kaufbeuren ist extra zur Messe gekommen, um sich ein Motiv aus verschlungenen Dreiecken stechen zu lassen. Einem dreidimensionalen Möbius-Band gleich, wenden sich die geometrischen Formen auf seiner rechten Brust. Für ihn steigt mit jedem Tattoo das Selbstbewusstsein. „Ich komme gerne auf Messen und lasse mich für neue Tattoos inspirieren. Das Motiv habe ich schon länger gesehen und jetzt wollte ich es mir stechen lassen“, so Socher und fügt schmunzelnd hin: „Ich mag Dreiecke eben.“
Dabei sind bei der Wahl der Motive keine Grenzen gesetzt: Blumen, Namen, Totenköpfe, Tiere, Anker, Federn und Sterne gehören nach wie vor zu den Klassikern. Diese Jahr besonders in: 3D-Tattoos wie Tätowierer und Messe-Veranstalter Marco Müller weiß. „Je nachdem was in Mode ist, finden sich die Motive auch bei den Tattoos wieder.“Alle zwei bis drei Jahre wechselt der Trend erfahrungsgemäß. „Als Eulen eine Zeit lang überall in waren, gab es die dann auch als Tattoo“, so Müller. Erlaubt ist aber, was gefällt. „Die Geschmäcker sind eben verschieden.“Auch deswegen veranstaltet Müller bereits zum vierten Mal die Messe: zwei Tage, 90 Tätowierer, 100 Aussteller zu Tattoos, Piercings und Lifestyle. „Die Besucher sollen kommen und sich inspirieren lassen.“Dabei gibt es nicht mehr den typischen Besucher. „Von Jung bis Alt ist alles dabei.“
Gängige Vorurteile gegenüber Tattoos sind also längst nicht mehr zu halten. Und das hat auch mit dem Preis für die Körperkunst zu tun. Je nachdem wie groß die zu tätowierende Fläche ist, gestaltet sich der Preis. Von 70 bis 6000 Euro und mehr ist alles dabei. „Das ist nicht billig“, weiß Müller.
Das Auge Buddhas von Yvonne Grubesa hat die junge Frau nichts gekostet – der Vorteil, wenn man mit einem Tätowierer zusammen ist. Während sie noch das neue Tattoo mit Frischhaltefolie einwickelt, um die Haut vor Bakterien zu schützen, ist ihr Mann schon wieder in ein Gespräch mit der nächsten Tattoo-Willigen vertieft – ein Frauenkopf soll es werden diesmal. Mit einem monotonen Summen erwacht die Tätowiernadel zum Leben – so wie die mehreren Dutzend anderen in der Messehalle.