Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Erdogan stellt Weichen für Gefangenenaustausch
Präsident ändert per Dekret das Geheimdienstgesetz – Deutscher Pilger seit April im türkischen Abschiebelager
ISTANBUL - Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich offiziell dazu ermächtigt, über die Abschiebung von inhaftierten Ausländern oder deren Austausch gegen türkische Beschuldigte zu entscheiden. Die Neuregelung ist Teil einer umstrittenen Reform, mit der Erdogan seine Kontrolle über den türkischen Geheimdienst MIT stärkt. Westliche Politiker wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) werfen Erdogan vor, inhaftierte Menschenrechtler und Journalisten als „Geiseln“benutzen zu wollen.
Das Geheimdienstgesetz wurde ohne Parlamentsbeschluss geändert. Die Abschiebungsregelung war 2015 auf Antrag der Opposition vom türkischen Verfassungsgericht verworfen worden – Erdogan führt sie jetzt allerdings per Erlass ein. Daran kann im Ausnahmezustand auch das Verfassungsgericht nichts ändern.
Im Interesse der Sicherheit
Laut dem Dekret können ausländische Häftlinge abgeschoben werden, wenn es die nationale Sicherheit der Türkei erfordert. Beteiligt an einer Entscheidung sind neben dem Staatspräsidenten noch das Außen- sowie das Justizministerium. Die Neuregelung sieht vor, dass die Häftlinge in der Türkei „in ein anderes Land ausgeliefert oder gegen Untersuchungshäftlinge oder rechtskräftig Verurteilte, die sich in einem anderen Land befinden, ausgetauscht werden können“.
Mit der Neuregelung kann Erdogan den Austausch von inhaftierten Extremisten des „Islamischen Staates“gegen türkische Geiseln anordnen. Gleichzeitig könnten aber auch Vorschläge der Türkei für einen Austausch von westlichen Häftlingen gegen türkische Regierungsgegner im Ausland näher rücken.
Mehrere Deutsche befinden sich derzeit in türkischen Gefängnissen – darunter auch der aus Schwerin stammende Pilger David B., wie am Sonntag bekannt wurde. Bereits im April sei der Mann in der Türkei festgenommen worden, berichtete die „Bild am Sonntag“unter Berufung auf Diplomatenkreise. Der 55Jährige sitze in einem berüchtigten Abschiebelager in Erzurum ein. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es dazu, David B. werde konsularisch betreut und sein Fall sei auf hochrangiger Ebene gegenüber der Türkei thematisiert worden. B. war dem Bericht zufolge aus MecklenburgVorpommern zu einer Pilgerreise nach Jerusalem aufgebrochen, um auf Minderheiten und Verfolgte aufmerksam zu machen. In Istanbul habe er bei einer kurdischen Familie übernachtet, später sei B. durch den Süden der Türkei gepilgert.
Die Bundesregierung hält die Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern, die oft wegen Vorwürfen staatsfeindlicher Aktivitäten angeordnet wurden, für politisch motiviert. Aykan Erdemir, ein früherer türkischer Parlamentsabgeordneter, der für die US-Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies arbeitet, kommentierte Erdogans Ermächtigung mit den Worten, die Türkei gleiche immer mehr Ländern wie Iran oder Nordkorea.
Erdogan beklagt, dass Deutschland eine Auslieferung von mutmaßlichen kurdischen Extremisten und Anhängern der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen an die Türkei ablehnt. Zuletzt verlangte Ankara von Berlin die Überstellung von Adil Öksüz, eines ranghohen Mitgliedes der Gülen-Bewegung.
Bereits im Mai hatte Erdogan einen Zusammenhang zwischen den Inhaftierten in der Türkei und Regierungsgegnern im Ausland hergestellt. In einer Rede warnte der türkische Staatschef damals Länder, die GülenAnhängern Schutz gewähren: „Wenn sie bei der Auslieferung nicht behilflich sind, dann sollten sie wissen, dass sie jene ihrer Bürger, die uns in die Hände fallen, von uns auch nicht bekommen können.“
Yücel im Tausch gegen Generäle
Medienberichten zufolge hat es hinter den Kulissen bereits Versuche gegeben, über einen Austausch zu sprechen. Die „Bild“-Zeitung und das „Wall Street Journal“meldeten, Erdogan habe die Rückkehr des in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in die Bundesrepublik angeboten, wenn im Gegenzug zwei türkische Generäle, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in Deutschland Zuflucht gesucht hatten, in die Türkei überstellt würden. Die Bundesregierung habe abgelehnt.
Auch mit der US-Regierung soll Erdogan über einen Austausch gesprochen haben. Dabei geht es um Gülen selbst, der seit 1999 in Pennsylvania lebt. Im Fall des Predigers ist die Türkei mit Forderungen nach Auslieferung auf Ablehnung gestoßen.