Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Im Tulpenfieberwahn
Kino greift eine der ersten Finanzkrisen der Historie auf: die Spekulation mit Blumenzwiebeln
FRANKFURT - Spekuliert wird immer – ob mit Eisenbahnen, Internetaktien, Häusern oder Tulpen. Der Handel mit den Blumenzwiebeln hat das Goldene Zeitalter Amsterdams begründet – und auch wieder beendet. Der Film „Tulpenfieber“, der nun in den Kinos läuft, erzählt davon in opulenten Bildern.
Jan Brueghel der Jüngere hat sie etwa 1640 ins Bild gesetzt. Er malte eine Satire, in der Affen anderen Affen Zwiebeln verkaufen, Tulpenzwiebeln. Krisen haben im Dunkel der Lichtspieltheater Konjunktur. Die Finanzkrise, die sich mit der Pleite der Lehman-Bank im September 2008 weltweit Bahn brach, war immer wieder Thema. Oliver Stone hat zwei Filme darüber gedreht. „Wall Street. Geld schläft nicht“entsetzte das Publikum, das Einblick in die Köpfe von Investmentbankern bekam. „Der große Crash“(2011) und „The Big Short“(2015) setzten noch eins drauf. Nun geht es von der cineastischen Erklärung der jüngsten, vermeintlich überwundenen Krise in die Geschichte. „Tulpenfieber“, in der Regie von Justin Chadwick, spielt Anfang des 17. Jahrhunderts und beschreibt, natürlich in eine Liebesgeschichte verpackt, die erste recht gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte.
Alles auf Kredit
Tulpen waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in die Niederlande gekommen, avancierten zum Blickfang in den Gärten des reichen Bürgertums. Von den 1630er-Jahren an trieb der kommerzielle Handel mit Tulpenzwiebeln die Preise dermaßen in die Höhe, dass man ein hübsches Amsterdamer Grachtenhaus zum Preis für nur eine einzige Zwiebel kaufen konnte, auch wenn es eine „Semper Augustus“sein musste. 1637 entpuppte sich die „Tulpenmanie“als Spekulationsblase – und platzte.
Die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel hat mit einem Team junger Forscher 23 Krisen der vergangenen rund 400 Jahre untersucht. Es ging neben Tulpen um Eisenbahnen, Gewürze, Rüstungsgüter, Internetaktien und natürlich um Immobilien. Eine Erkenntnis: Egal, ob Tulpenzwiebel, Immobilie oder Aktie – die Schwere der Krise hänge nicht in erster Linie vom Vermögensgegenstand ab. „Wesentlich ist, ob es vorher einen Kreditboom gegeben hat, wie hoch der Verschuldungsgrad der Akteure war und ob sich die Finanzinstitute selbst an der Spekulation beteiligt haben.“Soll heißen: Finanzierungen ohne ausreichend Eigenkapital machen krisenanfällig.
Das kann man auch an der heute fast vergessenen Krise von 1763 sehen. Es war das Jahr, in dem der Siebenjährige Krieg (1756 bis 1763) endete, eine Art Weltkrieg schon, in dem Preußen, Habsburg und Russland vor allem um die Vorherrschaft in Mitteleuropa kämpften. Großbritannien und Frankreich stritten sich um Nordamerika und Indien. Es waren Kriegsjahre, in denen mit Rüstungsgütern, Gewürzen und Luxuslebensmitteln wie Zucker gehandelt und gute Geschäfte gemacht wurden. Alles auf Kredit, auch auf kurz laufenden Kredit, und zu steigenden, ja inflationären Preisen, die noch dazu stark schwankten.
Doch die Hoffnung, nach dem Krieg gehe der Aufschwung weiter, erfüllte sich nicht. Und als Preußen noch dazu in den Folgejahren neues Münzgeld einführte, also eine Währungsreform, war das Desaster da: Die Geld gebenden Banken vom Finanzplatz Amsterdam, die über Hamburger Banken Geld an Preußen ausgeliehen hatten, konnten von ihren Kunden die Handelskredite nicht mehr eintreiben. Das 1751 gegründete Amsterdamer Bankhaus de Neufville Brothers brach am 29. Juli 1763 zusammen. Niemand rettete die Bank. Daraufhin krachten weitere Häuser in Amsterdam und Hamburg ein, insgesamt mehr als hundert Banken.
Immobilien im Focus
Das schafft die Parallele zur Finanzkrise von vor zehn Jahren, weil auch dort Banken mitspekuliert hatten – die IKB, die WestLB, die SachsenL, noch dazu mit geringem Eigenkapital. Dagegen sei die Internetblase rund um den Neuen Markt zur Jahrtausendwende zwar für viele schmerzhaft gewesen, weil sie Geld mit den InternetAktien verloren hatten, heißt es in Schnabels Studie. Doch sei hier Eigenkapital verloren gegangen. Die realwirtschaftlichen Auswirkungen seien deshalb vergleichsweise milde gewesen. Dass die Gesamtwirtschaft in eine schwere Krise gezogen worden sei, „das gab es nach der Dotcom-Krise tatsächlich nicht“, so Isabel Schnabel. 2009 dagegen schrumpfte die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um fast vier Prozent. Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber hatten Mühe, eine Entlassungswelle zu verhindern.
Die schon lange steigenden Preise für Immobilien beunruhigen die meisten Beobachter etwa in der Bundesbank oder der Bankenaufsicht (noch) nicht. Eins ihrer Argumente: Die Kreditnachfrage habe alles in allem nicht angezogen. Und die Banken hätten auch ihre Kreditstandards nicht gemindert, ihre Ansprüche an Eigenkapital und verfügbares Einkommen ihrer Kunden nicht gesenkt. Noch kann man also das „Tulpenfieber“anschauen, ohne im Nacken eine deutsche Immobilien-Krise zu spüren.