Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Grüne schauen erleichtert nach Jamaika
Befürchteter Absturz ist ausgeblieben – Bedingungen für Bündnis mit Union und FDP
BERLIN (dpa) - Katrin GöringEckardt stehen Tränen der Erleichterung in den Augen, als sie über den grünen Laufsteg zum Mikrofon geht. Cem Özdemir neben ihr ist die Anspannung noch ins Gesicht geschrieben. „Wer hätte das gedacht?“, ruft ihnen ein Grüner durch den Jubel zu. „Wer hätte das gedacht?“, wiederholt Göring-Eckardt ins Mikrofon. Eine Partei atmet auf. Und weiß, dass schwierige Wochen kommen.
Selbst die Optimisten hatten kaum noch auf ein besseres Ergebnis als vor vier Jahren zu hoffen gewagt, die 8,4 Prozent waren damals eine schlimme Schlappe. Das offizielle Wahlziel, zweistellig und dritte Kraft im Bundestag, ist zwar nicht erreicht. Doch dass die ersten Prognosen mit über neun Prozent etwas zu optimistisch waren, kann die Stimmung nicht trüben. Wenn die Grünen jetzt eine Jamaika-Koalition mit Union und FDP sondieren, dann sind sie kleinster Partner – aber kein einfacher, versichert Özdemir. „Wir sind kein gerupftes Hühnchen, über das sich die anderen hermachen können“, sagt Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer.
Die Grünen wollen nun drei Ministerien, sie wollen Zugeständnisse beim Kohleausstieg, bei Elektroautos – aber das wird nicht reichen. „Es muss mehr kommen als ein bisschen Öko“, sagt schon jetzt ein Vertreter des linken Parteiflügels. Auch in der Sozialpolitik müssten Erfolge her. Klappt das mit Union und FDP? Oder wird die CSU das Bündnis verhindern, um vor der bayerischen Landtagswahl 2018 nicht die eigene Klientel zu erzürnen?
Der Druck ist groß
Sondiert wird Jamaika auf jeden Fall, die SPD will sich nach ihrer historischen Niederlage in der Opposition berappeln. Das macht Druck auf die Grünen – haut Jamaika nicht hin, drohen Neuwahlen. Aber die Zeichen stehen auf Erfolg. Denn zwei Dinge sind anders als 2013: Erstens: Grobe Fehler wirft den beiden Spitzenkandidaten keiner vor. Keine Steuerforderungen, kein Veggie-Day, keine Pädophilie-Debatte drückten die Umfragen in den Keller wie 2013. Die interne, nicht allzu laute Kritik lautet: nicht kämpferisch genug, zu unklar, zu sehr auf Schwarz-Grün gerichtet. Auch eine offene Flanke in der Asylpolitik wird genannt. Aber vorherrschend war das große Fragezeichen, als die Umfragen im einstelligen Bereich stagnierten: Warum wollen die Leute uns nicht wählen? Obwohl Ökothemen wie Autoabgase und sogar sterbende Bienen es auf Titelseiten schaffen?
Zweitens: Vor vier Jahren war ein erheblicher Teil der Partei strikt gegen Schwarz-Grün, diesmal sprechen auch die Linksgrünen viel von staatsbürgerlicher Verantwortung. Das Argument, dass noch einmal vier Jahre Große Koalition schlecht für das Land wären, nehmen sie sehr ernst – auch wenn manchen die Oppositionsrolle lieber wäre.
Für die Spitzenkandidaten stand viel auf dem Spiel, sie haben ihren realpolitischen Kurs gegen manche Widerstände durchgesetzt. Größere Personalrochaden sind unwahrscheinlich, solange sondiert und verhandelt wird. Auch Jürgen Trittin ist dafür fest eingeplant – als einer, der bei den Linksgrünen weiterhin großen Einfluss hat. Die Hoffnung: Wirbt Trittin für Schwarz-GelbGrün, der Mann, der 2013 nichts von Schwarz-Grün hielt, dann wird die Basis wohl folgen. Die muss einen Koalitionsvertrag in einem Mitgliederentscheid absegnen.
Heute tagen bereits die Parteigremien, am Dienstag kommen alte und neue Abgeordnete zusammen. Am Samstag entscheidet dann ein kleiner Parteitag in Berlin, genannt Länderrat, formell über die Sondierung mit Union und FDP. Man werde aber die Einladung zum Gespräch annehmen, sagt Cem Özdemir schon jetzt.