Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld“
Vor 34 Jahren ereignete sich ein fataler Unfall auf der Schwäbischen Alb
MÜNSINGEN - Es war das schwerste Schießunglück, das der Truppenübungsplatz Münsingen nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Fast auf den Tag genau vor 34 Jahren, am 3. Oktober 1983, wurden bei einem Übungsschießen der Heimatschutzbrigade 56 zwei Menschen getötet, 15 Personen schwer und neun leicht verletzt.
Die in Neuburg an der Donau beheimatete Heimatschutzbrigade 56 hatte am 3. Oktober 1983 zu einem Schauschießen für 800 Soldaten und zivile Gäste eingeladen. Unter ihnen der Präsident des Bayerischen Landesarbeitsgerichts, der jugoslawische Botschafter und der Generalstaatsanwalt. „Es war beabsichtigt, auf der Schießbahn 8 das Zusammenspiel zwischen Luftwaffe, Panzern und Artillerie zu demonstrieren“, erinnern sich ältere Soldaten. Um eine bessere Sicht zu haben, wurden die Zuschauer auf der Ladefläche von olivgrünen Transportern platziert.
Gegen 14.20 Uhr nahm dann das schlimme Schießunglück auf der Hartenberghöhe seinen Lauf. Ein Missverständnis zwischen der Feuerleitstelle und den Soldaten der drei in Linie stehenden Mörser M 113 war Schuld daran, dass anstatt mit Nebelgranaten mit scharfer Munition geschossen wurde. Das teilte die Staatsanwaltschaft Tübingen vier Tage später den Medien mit.
Ein 120-Millimeter-Geschoss schlug unmittelbar neben einem der 20 Zehn-Tonner-Lkw ein, deren Ladeflächen als Tribünen genutzt wurden. Von den herumfliegenden Splittern der Sprenggranate wurden der 45-jährige Oberstleutnant Siegfried Niklaus und der 51-jährige Oberst Wolfgang Pohl, Kommandeur des Nachschubkommandos 2, sofort getötet. Beide waren beim II. Korps in Ulm stationiert. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Fritz Wittmann wurde schwer verletzt, er verlor bei dem Unfall ein Bein (siehe Bericht unten).
Die scharfe Munition hätte erst nach der Gefechtspause gezündet werden dürfen und in dem zwischenzeitlich von den Zuschauern geräumten Gebiet niedergehen sollen, ist heute in alten Unterlagen der Bundeswehr nachzulesen. Major Volker Naundorf war einer der Verantwortlichen, der auf einem der Lastwagen stand. Er hatte den Gästen die Schießvorführungen erklärt. Bei der Generalprobe sei alles noch nach Plan gelaufen, erzählte er fünf Stunden später Verteidigungsminister Manfred Wörner, der sich mit dem Hubschrauber von Bonn nach Münsingen fliegen hat lassen.
Die Minuten nach der Detonation erlebte Naundorf als „ein totales Tohuwabohu“. Planlos liefen Menschen durch die Gegend, andere gingen in Deckung. „Neben mir lagen Leute, die sich nicht mehr bewegen konnten. Wir haben nach den Sanitätskästen gegriffen und Verbände angelegt.“Ein anderer Augenzeuge: „Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld.“Die Schwerverletzten wurden wenig später mit Rettungswagen und Hubschraubern nach Ulm, Tübingen, Laichingen, Bad Urach und Reutlingen in die Krankenhäuser gebracht.
Betroffene Regierung
Zwei Stunden später standen vor den Telefonzellen rund um den Übungsplatz viele Soldaten. Jeder wollte zu Hause anrufen und sagen: Macht euch keine Sorgen, ich lebe, bin unverletzt. Einen Tag später hatte die Bundesregierung während einer Sitzung in Bonn „mit Betroffenheit“auf das Unglück reagiert. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach den Hinterbliebenen der beiden getöteten Offiziere und den Angehörigen der Verletzten seine Anteilnahme aus.
Münsingens Bürgermeister Rolf Keller war sehr bestürzt darüber, dass so etwas überhaupt passieren konnte. „Auf Übungen zur reinen Demonstration sollte man in einer Zeit verzichten, in der es andere Möglichkeiten gibt, sich darzustellen“, sagte er damals den Journalisten, die aus ganz Deutschland auf die Schwäbische Alb gereist waren.
Kellers Amtskollege aus Bad Urach, Fridhardt Pascher, machte kein Hehl daraus, „dass genau das eingetreten ist, was schon lange zu befürchten war“. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an einen Vorfall in einer Nachbargemeinde: „In Heroldstatt saß ich am 30. Mai selber mit auf der Ehrentribüne, nicht weit von Bundespräsident Carstens, als ein Geschoss außerhalb des Platzes einschlug.“In rund 100 Metern Entfernung spielte damals eine Gruppe kleiner Kinder.
Es hätte am 3. Oktober 1983 noch schlimmer kommen können, erinnert sich Berni Diether, der heute noch als Feuerwerker für den Bundesforstbetrieb Heuberg auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz arbeitet. Vor knapp dreieinhalb Jahrzehnten war er im Dienstgrad Feldwebel bei der Kommandantur beschäftigt und kurz nach dem Unglück vor Ort, das sich oberhalb des Maschinenhauses Hartenberg ereignet hatte. Rund zwei Kilometer östlich von Gruorn. Damals wurde noch ein zweites scharfes 120-Millimeter-Geschoss abgefeuert. Das landete jedoch, Gott sei Dank, 30 Meter weiter im angrenzenden Wald.
Mehrtägige Verhandlung
Im September 1984 mussten sich zwei Soldaten für das Schießunglück vor der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen verantworten. Die mehrtägige Verhandlung endete mit einem Freispruch für den angeklagten Kompaniechef. Dem Hauptmann war vorgeworfen worden, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Diese Anschuldigung wurde jedoch während des Prozesses entkräftet.
Der mitangeklagte Oberfeldwebel erhielt eine zehnmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung, außerdem musste er umgerechnet 1500 Euro Strafe bezahlen. Nach Ansicht des Gerichts hatte der 30-Jährige, der bei dem Schießen als Sicherheitsoffizier eingesetzt war, seine Aufgaben vernachlässigt und eigenmächtig das Kommando über den Feuerleitpanzer und die drei Panzermörser übernommen. Die Kammer wertete dieses Fehlverhalten als Ungehorsam und Befehlsanmaßung und hielt den Oberfeldwebel deshalb der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig.
So hatte es auch die Staatsanwaltschaft gesehen. Der Vertreter der Anklage sagte damals: „Der Oberfeldwebel hat alles gemacht, nur nicht das, was er sollte.“Der Oberstaatsanwalt zitierte Zeugenaussagen, denen zufolge der 30-Jährige ständig als Sicherheitsoffizier entgegen der Vorschriften das Kommando übernommen hatte.