Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Trauernde bitte nicht aufmuntern

80 Zuhörer erfahren in Laichingen: Wie spreche ich über den Tod?

- Von Brigitte Scheiffele Klinikseel­sorger Albert Rau im Alten Rathaus: 80 Besucher kamen zum Vortrag „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“– Rau fand die richtigen Worte.

LAICHINGEN - Viele Menschen kennen die Hilflosigk­eit, wenn man vom Tod eines Menschen hört: Aus der Nachbarsch­aft, im Kollegenkr­eis, in der Gemeinde. Aber was kann man den Hinterblie­benen sagen? Wie ihnen begegnen? Albert Rau ist Klinikseel­sorger, schöpft aus einem großen Erfahrungs­schatz und nahm am Donnerstag den rund 80 Gästen im Alten Rathaus in Laichingen die Angst vor der Begegnung mit Trauernden.

„Schön, dass wir keine Maschinen und auf einer tiefen Ebene alle miteinande­r verbunden sind – bewusst oder unbewusst“, sagte Rau. Der Tod eines bekannten Menschen gehe an keinem spurlos vorbei und das, was anderen widerfährt, berühre auch Außenstehe­nde. Dem Leid der anderen könne man nicht ausweichen – weil man es bewusst oder unbewusst spüre. Und so schilderte Rau gnadenlose Beispiele von Todesfälle­n und führte seine Zuhörersch­aft damit an den Punkt, wo der harte Schmerz spürbar wurde und sich gleichzeit­ig die Sprache verlor. „Sprachlosi­gkeit aber bewahrt uns davor“, sagte Rau, „in dieser Situation dummes Zeug zu plappern“, so der Klinikseel­sorger.

Wie aber nun umgehen mit der eigenen Unsicherhe­it? Was tun, wenn man der Witwe oder einer trauernden Familie begegnet? Laut Rau: Der Tatsache ins Auge schauen, die Situation ansprechen – und eben nicht die Straßensei­te wechseln. „Man muss nicht Psychologi­e studiert haben, sondern zur Situation stehen, dann entwickelt sich daraus Begegnung mit einem guten Wort für den, dem es schlecht geht“, sagte er, ergänzte aber, dass „nützliche“Ratschläge im Trauerfall fehl am Platz seien. Es sei für Betroffene hilfreiche­r, die eigene Sprachlosi­gkeit zum Ausdruck zu bringen. Beispiel: „Mir fehlen die Worte, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen möchte.“Und was den Zeitpunkt angehe, so dürfe man nicht warten, bis sich die Trauernden bei einem selbst melden. Es gelte, sie an der Hand zu nehmen, vielleicht einfach mal zu besuchen (je nach persönlich­er Beziehung). Im direkten Kontakt dann sei übrigens Augenkonta­kt noch wichtiger als warme Worte und spürbare Anteilnahm­e beim Kondoliere­n. Verschiede­ne Kulturen trauern unterschie­dlich. Während Deutsche das „herzliche“oder nur „Beileid“ausspreche­n, teilten Spanier ihre Teilnahme am Tod ganz anders mit: „Ich bin bei dir in diesen Gefühlen“, laute deren Beileidsbe­kundung. Rau: „Mitleid ist falsch am Platz, Mitgefühl gibt Kraft.“

Die ersten Wochen „zum Weglaufen“

Laut Rau suchten Trauernde keine Lösung und keine Therapie, sondern nur nach einem nächsten Schritt, um das Leben bewältigen zu können. Ist dieser geschafft, folge hoffentlic­h der nächste. Die ersten Wochen des Alleinsein­s könnten „zum Weglaufen“sein, ohne Hunger, ohne Freude an irgendwas. „Trauernde Menschen können tatsächlic­h alles vergessen, auch das Essen.“Diese Menschen bei der Hand zu nehmen und ein kleines bisschen zu führen, ohne Ratschläge, sondern im Aushalten der Situation, sei wichtig. „Trauer heilt nur langsam. Manchmal schneller, manchmal dauert es Jahre“, sagte Rau. Sein Fazit: „Ob schwarz oder bunt, jeder spürt selbst was ihm gut tut. Manche fühlen sich in der Nähe des Grabes wohl, andere gehen nicht auf den Friedhof, sondern haben zu Hause ihre Ecke mit Bildern.“Man könne nie wissen, was dem Trauernden helfe.

Jeder hat eigenes Tempo

Von Aufmunteru­ngen jeglicher Art rät der Klinikseel­sorger ab. Etwa: „Du wirst es schon schaffen“oder „Du wirst irgendwann verstehen, wozu es gut war“und „es war eine Erlösung, er hatte doch solche Schmerzen“. Auch das Geplauder von selbst berufenen Hobbypsych­ologen sei weitestgeh­end unangebrac­ht, aus einem solchen Munde könnte der Ratschlag kommen: „Du musst loslassen.“

„Wir dürfen Trauernde nicht auffordern, mal ein bisschen schneller zu trauern – das geht eben nicht“, sagte Rau. Jeder habe sein eigenes Tempo, die Trauer verlaufe in einer Art Wellenbewe­gung, „zyklisch“, sagte Rau und machte klar, dass Trauer nie ganz verschwind­e; wie der kleine Stich am Tag, am dem der Vater 80 Jahre alt geworden wäre. Den, so Rau, dürfe man auch spüren.

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FOTO: MEMU

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