Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Opel-Familie steigt in die Königsklasse auf
Der neue Insignia Grand Sport überzeugt beinahe auf ganzer Linie
Opel ist bei uns Familienmitglied – seit mehr als einem halben Jahrhundert. Mit einem Olympia-Rekord hat’s angefangen. Unvergessen die Frontpartie mit dem großen Maul und Zähnen aus Chrom. Dieselbe auf Hochglanz zu polieren, war kein Spaß. Der Anlasser befand sich über dem Gaspedal, die Dreigangschaltung am Lenkrad. Die Kienzle-Uhr im Handschuhfachdeckel und die Blumenvase am Armaturenbrett sind als Relikte des kleinen Amischlittens übrig geblieben. Das Geschaukel auf den oberschwäbischen Landstraßen blieb nicht ohne Nebenwirkungen. Auf den Fahrten ins Leutkircher Knabenseminar „Regina Pacis“musste sich der Junge regelmäßig übergeben. Ob das am Opel und den Straßenverhältnissen lag, sei dahingestellt.
Das Familienoberhaupt blieb jedenfalls der Marke treu. Als nächster Opel kam ein knallroter Rekord-C ins Haus. Nach dem Erwerb des grauen Pappendeckels durfte der Junge ab 1972 mit dem wegen seiner Rundungen auch „Coke-Bottle“genannten Opel die ersten eigenen legalen Ausfahrten machen. Die Dorfjugend fuhr derweil schon auf den Manta ab. Später dann bekamen sie alle nacheinander Familienanschluss: Ascona, Kadett, Astra, Vectra, Corsa, Omega und Mokka.
Da der alte Omega unverwüstlich ist und die Kinder aus dem Haus sind, hat’s das neue Flaggschiff Insignia noch nicht in die Familie geschafft. Jetzt aber lieferten die Rüsselsheimer das Objekt der Begierde wenigstens in die Redaktion: als Grand Sport, als fünftürige Limousine mit Fließheck, auf 18-Zoll-Rädern mit schicken 15-Speichen-Leichtmetallfelgen – und das Ganze in der höchsten Ausstattungsvariante. Uff!
Unter der Haube schnurrt, im Stand kaum hörbar, ein ZweiliterTurbo-Diesel, dessen 170 Pferdestärken wohldosiert mittels eines Sechsgang-Schaltgetriebes auf die Vorderräder gelenkt werden können. Es geht beim neuen Insignia noch besser: Opel bietet sein Flaggschiff auch mit Allrad und Acht-Stufen-Automatik an. Sogar ein 260 PS starker Turbobenziner ist zu haben, dessen Drehmoment (400 Nm) exakt dem des 90 PS schwächeren Diesels entspricht. Emissionstechnisch ist der Diesel mit Schaltgetriebe angeblich die bessere Wahl. Zumindest beim CO2-Ausstoß (139 g/km) schlägt er den Top-Benziner (199 g/km) deutlich. Er verfügt außerdem über einen Diesel-Partikelfilter mit Selbstreinigungsfunktion. Auch ein Ad-BlueTank und damit ein Abgasreinigungssystem, das den Stickoxidausstoß erheblich verringern soll, ist serienmäßig installiert. Der bei den Testfahrten gemessene Durchschnittsverbrauch von 6,7 Litern ist akzeptabel.
Rein äußerlich nimmt der Insignia Grand Sport Anleihen bei den noblen Fließhecks der anderen (Audi A7, VW Arteon, Kia Stinger). Was ihm keineswegs zum Nachteil gereicht. Die Rüsselsheimer beweisen damit: Die „Königsklasse des Limousinenbaus“haben sie drauf. Jedenfalls kommt der neue Insignia alles andere als langweilig oder bescheiden daher. Muskulös, aber schlank und um bis zu 200 Kilo leichter haben ihn die Opel-Ingenieure gemacht.
Mit einer Länge von 4,9 Metern kratzt er an der Oberklasse. Das äußere Wachstum und der längere Radstand wirken sich positiv auf die Platzverhältnisse aus. Das nach hinten abfallende Dach kann den Köpfen größerer Passagiere im Fond nichts anhaben. Wer die hintere Klappe öffnet, staunt, wie tief der Laderaum ist und wie viel reinpasst: 490 Liter, die bei flach gelegter Rückenlehne auf bis zu 1450 Liter anwachsen. Da kann man unter Umständen sogar auf den Kombi Sports Tourer verzichten. Wenn nur die Klappe besser schließen würde oder mit einem elektrischen Antrieb zu haben wäre, gäbe es wirklich nichts zu meckern.
Die Ergonomiesitze geben vorzüglichen Halt und sind langstreckentauglich. Heizung und Belüftung derselben erweisen sich als nützliche Zugaben, die winters wie sommers die Aufenthaltsqualität erhöhen. Trotz seiner Größe ist der Insignia wendig und im Fahrverhalten stabil und gutmütig. Selbst jenseits der 200 km/h lässt er sich nicht aus der Fassung bringen. Die Lenkung reagiert so, wie man es sich wünscht – präzise, leichtgängig und direkt. Das adaptive Fahrwerk kann auf Knopfdruck vom Comfortmodus in den etwas härteren, sportlichen oder in den weichen Tourmodus wechseln. Letzterer hat sich beim entspannten Gleiten auf der Autobahn bewährt. Im sechsten Gang mit 130 km/h und aktiviertem Abstandsregler ist man geneigt, die Füße hochzulegen.
Zum automatischen Tempomat passt ein automatisches Getriebe besser. Der Motor ist so gut gedämmt, dass man akustisch die Drehzahl schwer einschätzen kann und auf die im Display angezeigten Schaltbefehle achten muss. Das kann nervig sein. Das Start-Stopp-System funktioniert zuverlässig, wobei bei abgeschaltetem Motor sogar noch die elektrische Lenkunterstützung arbeitet – das gibt es in der Regel nur in Premiumfahrzeugen.
Auch sonst kann der Insignia Vorzüge aufweisen, die ihn über die Mittelklasse hinausheben. Die im Innern verbauten Materialien fühlen sich wertig an. Auf Wunsch gibt es einen schlüssellosen Zugang, LED-Matrixlicht, Fußgängererkennung und das komplette Infotainment. Die Anzeigen des Head-up-Displays werden direkt auf die Windschutzscheibe projiziert und sind auch mit polarisierender Sonnenbrille gut abzulesen. Der Touchscreen auf der Mittelkonsole fügt sich harmonisch ein. Alle wesentlichen Funktionen lassen sich mit den Fingerkuppen steuern – nach einer Übungsphase sogar ausgesprochen leicht. An der Spracherkennung müssen die Programmierer hingegen noch feilen. Sie findet zwar selbst polnische Namen, aber Nürnberg will sie partout nicht verstehen. An der 360-Grad-Kamera und am Rückfahrassistenten sollte man nicht sparen, die Sichtverhältnisse nach hinten sind bescheiden.
Insgesamt aber gilt: Mehr geht in dieser Klasse nicht. Wer Preise vergleicht, begegnet zwangsläufig dem Insignia. Für ein vergleichbares Modell eines Premiumherstellers werden locker bis zu 20 000 Euro mehr fällig. Der neue Insignia beweist, dass es die Rüsselsheimer nicht nur günstig können, sondern auch edel, geschmackvoll, sportlich und technisch auf der Höhe der Zeit.