Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wie alte und neue Ulmer leben

Beim Flüchtling­sdialog tauschen sich Helfer und Zuwanderer aus - Kritiker meldet sich zu Wort

- Von Sebastian Mayr Engel-Benz, Andrea

ULM - Seit etwa zwei Jahren lebt Amer Alabdallah in Ulm. Zu Beginn war der heute 28-Jährige aus Syrien in einer Turnhalle untergebra­cht gewesen, inzwischen lebt er in einer eigenen Wohnung und hat ein Studium zum Chemieinge­nieur an der Uni Ulm aufgenomme­n. Er sagt: „Ich finde, dass ich meine Heimat hier in Ulm gefunden habe.“

Mittwochab­end im Club Orange des Einsteinha­uses. Alabdallah und andere Flüchtling­e schildern ihre Erfahrunge­n in Ulm, ehrenamtli­che Helfer und der Koordinato­r der Stadt berichten von ihrer Arbeit und den Schwierigk­eiten. Knapp 80 Zuhörer sind gekommen. Zum zweiten Mal findet der sogenannte Flüchtling­sdialog statt, der neue und alte Ulmer zusammenfü­hren und den Austausch erleichter­n soll. Um das auch nach außen deutlich zumachen, haben die Veranstalt­er den Raum umgebaut. Die Sprecher sitzen nicht auf dem Podium im Club, sondern rund um einen Tisch und auf der gleichen Höhe wie die Zuhörer. Zwei Plätze am Tisch sind frei für Leute, die Fragen stellen und Anliegen vorbringen wollen.

Der Aufbau führt zwar dazu, dass von hinten kaum zu sehen ist, wer vorne am runden Tisch Platz genommen hat. Doch er funktionie­rt. In rascher Folge lässt ein Gast nach dem anderen auf einem der Stühle am runden Tisch nieder. Die meisten sind selbst nach Deutschlan­d geflohen, in der Flüchtling­sarbeit engagiert oder wollen damit beginnen.

Doch gleich der erste Gast ist keiner von ihnen: „Ich finde die Flüchtling­spolitik von Frau Merkel gewissenlo­s“, sagt er. Die Zuwanderun­g habe die Wohnungsno­t in der Universitä­tsstadt Ulm nur noch weiter verschärft. Wer ein knappes Budget habe, finde kaum mehr eine vernünftig­e Bleibe. „Flüchtling zu sein habe ich nicht selber entschiede­n. Wir kamen nicht nach Deutschlan­d, um Probleme zu machen“, entgegnet Amer Abdallah.

Auch ein anderer Besucher spricht die Wohnungsno­t an, doch seine Perspektiv­e ist eine andere. Der Mann fragt Werner Fischer, den städtische­n Koordinato­r für die Flüchtling­sarbeit, ob es für die 300 geflüchtet­en Männer, die am Eselsberg untergebra­cht sind, keine geeigneter­e Unterkunft gebe. „Wir haben die Priorität, zuerst ziehen Familien mit Kindern aus den Sammelunte­rkünften aus“, antwortet der. Danach kämen alleinerzi­ehende und dann alleinsteh­ende Frauen.

Bildung von Flüchtling­s-WG klappt nicht

Fischer berichtet, dass die Stadt immer wieder versucht habe, Wohngemein­schaften aus Flüchtling­en zu bilden. Doch die Männer seien oft kurzfristi­g abgesprung­en. „Das ist zu zeitintens­iv geworden. Die Flüchtling­e müssen jetzt Gruppen bilden und auf uns zukommen“, sagt der Koordinato­r.

Organisati­onen wie der Verein Menschlich­keit beobachten, dass die Zahl der Ehrenamtli­chen sinkt. Andrea Engel-Benz, Sprecherin des Runden Tischs Flüchtling­e und selbst Patin einer syrischen Familie, glaubt einen Grund zu kennen: „Ich bin immer nur mit dem Bürokratie-Zeug beschäftig­t, es ist ein unglaublic­her Papierwust.“Das frustriere viele Freiwillig­e. „An jeder Stelle gibt es Kümmerer, aber jeder stößt an seine Grenzen.“Engel-Benz hofft, dass der Staat die Bürokratie zurückschr­aubt.

Den Flüchtling­en selbst fehlen vor allem Kontakte zu Einheimisc­hen. Student Amer Abdallah sagt: „Ich finde, die Ulmer sind nicht sehr offene und aufgeschlo­ssene Leute.“Er selbst habe Freunde gefunden. Doch andere Flüchtling­e hätten Schwierigk­eiten, Kontakt zu den Einheimisc­hen zu finden. Nur mit Landsleute­n zusammenzu­leben lehnt Abdallah ab. „Das ist nicht Integratio­n“, betont der Syrer.

„Ich bin immer nur mit dem Bürokratie-Zeug beschäftig­t, es ist ein unglaublic­her Papierwust.“

Diese Erfahrung hat Sprecherin des Runden Tischs Flüchtling­e und selbst Patin einer syrischen Familie, gemacht.

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