Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der lange Weg zum Miteinander
Im Ulmer Winkel lebten Katholiken und Protestanten jahrhundertelang in getrennten Welten
LANDKREIS NEU-ULM - Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an der Tür der Wittenberger Schlosskirche anschlug, nahm man davon in Ulm und Umgebung wenig Notiz. Wenige Jahre später erreichte die Reformation die Region mit voller Wucht: Schon 1531 bekannte sich die Reichsstadt Ulm zum evangelischen Glauben – und in der Folge auch die Dörfer und Städte, die zu ihrem Territorium gehörten.
Zurück blieb mit dem sogenannten Ulmer Winkel ein Landstrich, der konfessionell gespalten war. Und auch wenn die Frage nach dem richtigen Bekenntnis heute keinen Streit mehr auslöst: Die Folgen der Reformation sind an Donau und Iller noch immer zu spüren.
Interessant ist dabei der Blick auf das heutige Neu-Ulmer Stadtgebiet und die angrenzenden Kommunen. Holzschwang, Steinheim, Reutti und Pfuhl waren bis Anfang des 19. Jahrhunderts ulmische Dörfer, während Nachbarorte wie Aufheim, Holzheim, Finningen oder Burlafingen katholisch geblieben waren.
Ein Unterschied, der heute noch Anlass zu Frotzeleien gibt: Da erzählt man sich etwa alte Geschichten, dass die protestantischen Bauern niemals Grund an einen Katholiken verkaufen würden.
Was heute Folklore ist, war bis vor gar nicht allzu langer Zeit Ernst, wie Kreisheimatpfleger Walter Wörtz erzählt. Der Sendener nennt Holzschwang und Aufheim als Beispiele: „Da war es früher undenkbar, dass eine Hochzeit mit jemanden aus dem anderen Ort stattgefunden hätte.“Die konfessionellen Grenzen seien auch soziale Grenzen gewesen. Die Katholiken piesackten die Protestanten mit Flurumgängen, die Lutheraner reagierten auf den Druck von außen mit einer immer stärkeren Besinnung auf ihren Glauben. Wörtz: „Die Pfarrer waren oft die Gewährträger für dieses Durchhalten.“
Pfuhl als Trachteninsel gegen die Bayern
Im Königreich Bayern sah man den Bewohnern der ulmischen Dörfer ihren Protestantismus sogar an: Sie verweigerten sich der alpenländisch geprägten bayerischen Nationaltracht, die unter Maximilian II. gefördert wurde: „Pfuhl und die anderen Dörfer gehörten zu den letzten Trachteninseln“, so der Kreisheimatpfleger. Dort blieb man bei der traditionellen Kleidung, die ihren Ursprung auf der Schwäbischen Alb hat. In Holzschwang etwa, so Wörtz, hätten die Konfirmanden bis ins 20. Jahrhundert schwäbisches Gewand getragen.
Erste Löcher bekamen die imaginierten Wände, die die katholischen und evangelischen Dörfer trennten, ab dem 19. Jahrhundert – mit der einsetzenden Industrialisierung. In der Folge strömten in Orte wie Senden evangelische Zuzügler von der Alb, die in den Fabriken Arbeit fanden. Sie lebten in eigenen Siedlungen, eine Vermischung gab es kaum. „Die Alteingesessenen haben auf die Kleinhäusler im Arbeiterdorf herabgeschaut“, sagt Kreisheimatpfleger Wörtz.
Speziell in Neu-Ulm war noch ein anderer Faktor wichtig: die Ankunft der überwiegend katholischen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg. Stadtarchivarin Janet Loos: „Ludwigsfeld war bis 1945 ein richtig protestantischer Ort. Das hat sich danach komplett geändert.“
Aus dem Gegeneinander war allmählich ein Nebeneinander geworden. Bis es ein echtes Miteinander wurde, dauerte es noch einige Jahre. In seiner eigenen Kindheit, so erinnert sich der 1954 geborene Wörtz, war die Konfession noch ein bedeutendes Thema. Denn bis 1968 war in Bayern die Aufteilung der Schulen und Klassen nach Bekenntnis vorgeschrieben. „Auf dem Pausenhof gab es eine unsichtbare Linie zwischen Katholischen und Evangelischen“, sagt der Kreisheimatpfleger.
Heute sind solche Linien Geschichte, auch weil es keine rein evangelischen oder rein katholischen Dörfer und Siedlungen mehr gibt. Das zeigt der Blick auf die NeuUlmer Einwohnerstatistik. In Pfuhl gibt es heute (Stand: 2017) sogar etwas mehr Katholiken (3240) als Protestanten (3088). In der einstigen Luther-Hochburg Steinheim gehört heute schon jeder Dritte Bewohner der anderen Konfession an. Insgesamt gibt es in Neu-Ulm etwa so viele Katholiken wie Protestanten. Und dazu Gläubige anderer christlicher Kirchen, Anhänger anderer Religionen und eine steigende Zahl von Konfessionslosen.
Ökumenisches Miteinander prägt die Kirchen heute
Spielen angesichts dieser Veränderungen Vorbehalte zwischen Katholiken und Lutheranern überhaupt noch eine Rolle? Der katholische Dekan Markus Mattes kennt diese nur noch aus Geschichten: „Für mich ist da nichts zu spüren.“Im Gegenteil: Es gebe ein lebendiges Miteinander. Das schönste Beispiel dafür sei das gemeinsame Vaterunser am vergangenen Sonntag auf dem Münsterplatz, an dem hunderte Christen teilnahmen, egal welcher Konfession.
Auch die evangelische Dekanin Gabriele Burmann erinnert sich gerne an das Gebet. „Ökumene macht glücklich, jedenfalls mich“, sagt sie. Leider habe die Gemeinsamkeit ihre Grenzen, beklagt sie: Auf dem Gebiet der Diözese Augsburg sei es noch immer unmöglich, dass die beiden großen Konfessionen gemeinsam Gottesdienst feiern. Was nicht nur Burmann nicht verstehen kann.
Dennoch sei man mit der Ökumene in Neu-Ulm vielleicht sogar weiter als anderswo – weil sich in der Stadt Protestanten und Katholiken auf Augenhöhe begegnen. In Neu-Ulm seien die meisten Brautpaare inzwischen gemischt-konfessionell, schätzt sie.
Können Katholiken und Protestanten in Neu-Ulm also gemeinsam das Reformationsjubiläum begehen? Nein, sagt Pfarrer Mattes. Für ihn sei dieser Jahrestag ein Tag des Nachdenkens und Besinnens. Die Spaltung der Christenheit sei kein Grund zur Freude, man müsse gemeinsam – mit Gottes Hilfe – an deren Überwindung arbeiten.
Dekanin Burmann ist da einer Meinung mit Mattes, sieht das Fest aber als Ansporn: Luther sei es um die Rückbesinnung auf den Glauben gegangen. Diese Botschaft sei für alle Christen wichtig.
„Auf dem Pausenhof gab es eine unsichtbare Linie zwischen Katholischen und Evangelischen“, erinnert sich der Neu-Ulmer Kreisheimatpfleger Walter Wörtz.