Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Russland diskutiert Boykott
Dem Land droht Olympia ohne eigene Fahne und Hymne
MOSKAU (SID/dpa) - Erste BoykottDrohungen und ein Aufschrei der Entrüstung aus Russland ließen nach dem pikanten Bericht der New York Times nicht lange auf sich warten. Ein Verbot der russischen Hymne bei den Winterspielen in Pyeongchang? Keine russischen Athleten bei der Eröffnungsfeier am 9. Februar? „Das ist inakzeptabel“, sagte Sportpolitikerin Swetlana Schurowa, Eisschnelllauf-Olympiasiegerin von 2006: „Dann fährt unser Land eben nicht zu Olympia.“
Die olympische Bewegung erlebt keine 100 Tage vor der Eröffnungsfeier in Südkorea stürmische Zeiten. Russland, aber vor allem das Internationale Olympische Komitee (IOC) stehen unter enormem Druck. Auf ihrer Exekutivsitzung vom 5. bis 7. Dezember will die IOC-Spitze um Präsident Thomas Bach eine übergreifende Strafe gegen die Russen verhängen. Der Ringeorden ist gefangen zwischen den Ansprüchen der mächtigen, stolzen Sportnation Russland und der Notwendigkeit, eine angemessene Strafe gegen die systematischen Doper zu verhängen und so seine ramponierte Glaubwürdigkeit zu stärken – es ist die brisanteste IOC-Entscheidung seit Jahren.
Die ersten Sperren, die die Oswald-Kommission des IOC gegen zwei russische Langläufer am vergangenen Mittwoch verhängte, entfachten in Russland Empörung, der fünf Tage später veröffentlichte Bericht der New York Times wirkte wie ein Brandbeschleuniger in ausgedörrter Steppe. Das US-Leitmedium berief sich auf namentlich nicht genannte IOC-Quellen: Man erwäge verschiedene Maßnahmen, unter anderem den Verzicht auf die russische Hymne bei Siegerehrungen in Pyeongchang. Dies würde wiederum bedeuten, dass eine Komplettsperre Russlands, wie sie unter anderem 68 nationale Anti-Doping-Agenturen und zahllose Athleten weltweit fordern, vom Tisch wäre.
Kein Grund für Russland aufzuatmen, im Gegenteil. Senator Alexej Puschkow forderte bei Twitter einen russischen Pyeongchang-Boykott aus Protest gegen den „Triumph der Russophobie“„Die Position ist klar: Russen werden bei den Olympischen Spielen nicht unter einer neutralen Flagge antreten, sondern nur für ihr Land“, hatte der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Alexander Schukow, schon vergangene Woche gesagt. Solche Strafen machten einen Boykott unausweichlich, schrieb am Montag die Zeitung „Sport-Express“: „Russland wird nicht die weiße Flagge hissen.“
Sportminister Pawel Kolobkow zog den Bericht der „New York Times“in Zweifel. Die russische Mannschaft sei zu den Spielen nach Südkorea vom 9. bis zum 25. Februar eingeladen und bereite sich darauf vor, sagte er. Das IOC will bis zum 5. Dezember entscheiden, welche Konsequenzen es aus den gehäuften russischen Dopingfällen in Sotschi zieht. Im Raum steht auch eine hohe Geldstrafe. Russland weist den Vorwurf eines organisierten und staatlich unterstützten Dopings zurück.