Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Heilender Wodka
Von der Carnegie Hall nach Laichingen: faszinierendes Konzert in Laichingen
LAICHINGEN - Kaum fassbar, was Natalia Anchutina und ihr Klavierpartner Lothar Freund am vergangenen Sonntag bei der „Stunde der Kammermusik“in Laichingen geboten haben: Russlands Seele zog, übertragen auf drei Stahlsaiten, in die Herzen des Publikums.
Von der Bühne der Carnegie Hall in New York City, renommierter Veranstaltungsort für klassische Konzerte in den Vereinigen Staaten, sind Natalia Anchutina und Lothar Freund nach Laichingen gereist. Lilafarben sorgt schon das mit Pailletten besetzte Abendkleid von Natalia Anchutina für Glanz im Musiksaal des Gymnasiums. Gerade erst hat die beste Domra-Spielerin Russlands vor erlesenem Publikum in Midtown Manhattan gespielt, wo die Eintrittskarte einige Dollar mehr kostet als bei der „Stunde der Kammermusik“.
Berechtigt, denn was für die 40 Zuhörer in Laichingen dann in musikalischen Beiträgen aus zwei Jahrhunderten folgt, ist atemberaubend an Musikalität, überwältigend in der Technik, kraftvoll und ausdrucksstark im Spiel. Überaus faszinierend wirken Natalia Anchutinas Geschwindigkeit und Präzision, mit der sie ihr Instrument beherrscht. Als wahre Meisterin der Domra lässt sie ihre Zuhörer fast vergessen zu atmen.
Wer es bis dahin nicht wusste: Die Domra ist eine Langhalslaute mit drei Saiten und einem runden Corpus. Sie ist die Mutter der Balaleika, zählt in Russland zu den klassischen Konzertinstrumenten und kann dort an der Hochschule studiert werden. Die Domra wird mit einem Plastikblättchen gespielt. „Die Gage gilt trotzdem als Schmerzensgeld und die Fingerkuppen werden im Anschluss in Wodka getaucht zum Abheilen“, erklärte Lothar Freund dem Publikum – augenzwinkernd.
Als sympathischer Moderator zwischen den Musikbeiträgen und Rezitator erweiterte er auf erfrischenderweise Weise den Blick in die russische Seele. Und als Pianist von internationalem Ruf ist er ein Glücksfall, lieferte er doch am Flügel die Basis für alle Höhenflüge Natalia Anchutinas, zeigte sich zugleich als musikalischer Dialogpartner und bewies sich auch als Solist. Freund als wahrer Freund von Natalia Anchutina. Nur so geht es, dass Freund und Anchutina ein symbiotisches Künstlerpaar abgeben, das zwischen vier und fünf Monaten im Jahr konzertiert.
„Sie lebt in Moskau und unterrichtet. Ich lebe in Aschaffenburg und bereite alles vor“, sagt er der SZ. „Wir haben beide gleichzeitig angefangen, die Sprache des anderen zu lernen. Aber weil ich fahre und sie dann Vokabeln lernen kann, ist ihr Deutsch besser als mein Russisch.“
Komponisten wie Johann Halvorsen, Henri Wieniawski, Alexei Lwow oder Pablo de Sarasate, Igor Frolow und Alexander Zigankow standen auf dem Programm der Kammermusikstunde. Vielleicht nicht sofort einzugliedern wie auch Felix-Mendelssohn-Bartholdy oder Sergej Rachmaninoff. Und aus wessen Feder stammt das bekannte russische Volkslied „Kalinka“? Hier war Wera Gorodwskaya für die Variationen für Domra und Klavier verantwortlich, wobei Arrangements und Transkriptionen für diese musikalische Besetzung laut Freund bei allen Kompositionen notwendig gewesen seien.
Es gibt Konzerte, nach denen man jeden Musikfreund bedauert, dass er dieses nicht miterlebt hat. Ein solches war es.