Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Polizist auf der Anklagebank
50-jähriger Rauschgiftermittler soll sich bereichert haben - Oder war er überfordert? - Gericht muss viele Fragen klären
ULM - Der 50-jährige Kriminalkommissar war ein Allrounder. Nach einer beachtlichen Karriere bis zum Ermittler in der Abteilung Terrorismus beim Landeskriminalamt landete er in einem Ulmer Polizeirevier als Sachbearbeiter für Rauschgiftdelikte. Dort vertrat er seinen Chef im Urlaub bei der Verwaltung des Geschäftszimmers. War er mit diesem Doppeljob überfordert oder nutzte er die Chance, sich zu bereichern? Seit gestern muss sich der Mann vor dem Ulmer Schöffengericht verantworten. Ihm werden versuchte Strafvereitelung im Amt, Diebstahl und Unterschlagung vorgeworfen. Neun Verhandlungstage sind vorgesehen – das ist ungewöhnlich viel.
Der Staatsanwalt spricht von 28 tateinheitlichen Fällen, in denen der Angeklagte sozusagen auf einen Rutsch Strafverfahren in nur 42 Minuten abgearbeitet haben und diese nicht wie üblich der Staatsanwaltschaft zur Weiterverfolgung zugeleitet haben soll. Im Lauf der Ermittlungen stießen die Kollegen des Angeklagten in einem seiner Aktenordner auf rote Zettel, auf denen die Aktenzeichen der verschwundenen Ermittlungsprotokolle sorgfältig vermerkt waren. Eines der vielen Rätsel, mit dem das Gericht konfrontiert war. Warum protokollierte der Mann die Akten, die er dann verschwinden ließ? Warum versuchte er, ein Strafverfahren zu verhindern?
Laut Anklage bereicherte sich der Kriminalpolizist zudem bei Vollstreckungen von Ordnungsgeldern und bei Abgabe von Sicherheitsleistungen. Zum Beispiel, wenn ein ausländischer Autofahrer wegen zu schnellen Verfahrens erwischt wurde und ihm ein Strafbefehl drohte. Mal waren es kleinere Beträge von unter 100 Euro, mal bis zu 5000 Euro auf einmal.
Die Verteidiger betonten vor Gericht die Unschuld ihres Mandanten und verwiesen auf seinen tadellosen Leumund: Der verheiratete Vater dreier erwachsener Kinder sei vom einfachen Polizisten zum vielfach gelobten Kriminalbeamten aufgestiegen. Er habe sich als Wirtschaftskriminalist ausbilden lassen und als Brandermittler, Spurensicherer und Leichensachbearbeiter in Sonderkommissionen für Tötungsdelikte gearbeitet – zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Warum ein solcher Mann zuletzt in einem normalen Polizeirevier arbeitete, erschloss sich nicht.
Finanzielle Unstimmigkeiten
Die Anwälte hoben die geordneten finanziellen Verhältnisse des Mannes hervor. Er sei schuldenfrei, sein monatliches Einkommen betrage 3000 Euro netto. Das verträgt sich allerdings nicht mit den Angaben des Finanzermittlers. Aus dessen Bericht zitierte das Gericht: Der Angeklagte habe kurz vor der Privatinsolvenz gestanden, als die Taten laut Staatsanwaltschaft begonnen hätten. In dieser Zeit sei auf sein überzogenes Konto ein Betrag in Höhe von 19 000 Euro überwiesen worden, für den es keine Erklärung gebe.
Der Angeklagte dementierte Angaben der Bank. Er ergänzte, dass auch ein Sohn, der bei ihm wohne, gut verdiene und reichlich in die gemeinsame Familienkasse einzahle.
Die Einlassungen des Angeklagten zum Geld, das er der Staatskasse entzogen haben soll, strotzten von verwirrenden Angaben. Ein Verteidiger sprach von einem „Black-out“seines Mandanten. Eines gab der Angeklagte im Verlauf des gestrigen Prozesstages zu: Er habe sich mit dem Doppeljob als Rauschgiftsachbearbeiter und zeitweiliger Chef der Verwaltung im Revier überfordert gefühlt. Vor allem die Abläufe im Dienstzimmer mit Post, Akten und digitalen Abläufen „wie in einem Taubenschlag“hat der Angeklagte so gut wie nicht durchblickt. Das kristallisierte sich aus seinen teils widersprüchlichen Aussagen heraus.
Neun Zeugen sind aufgeboten, in den nächsten Verhandlungstagen Aufklärung in die verworrene Geschichte zu bringen. Es geht um die Frage, ob der Angeklagte überfordert war oder sich finanziell bereichern wollte, um seine Geldprobleme zu lösen. Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt.