Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Polizist auf der Anklageban­k

50-jähriger Rauschgift­ermittler soll sich bereichert haben - Oder war er überforder­t? - Gericht muss viele Fragen klären

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Der 50-jährige Kriminalko­mmissar war ein Allrounder. Nach einer beachtlich­en Karriere bis zum Ermittler in der Abteilung Terrorismu­s beim Landeskrim­inalamt landete er in einem Ulmer Polizeirev­ier als Sachbearbe­iter für Rauschgift­delikte. Dort vertrat er seinen Chef im Urlaub bei der Verwaltung des Geschäftsz­immers. War er mit diesem Doppeljob überforder­t oder nutzte er die Chance, sich zu bereichern? Seit gestern muss sich der Mann vor dem Ulmer Schöffenge­richt verantwort­en. Ihm werden versuchte Strafverei­telung im Amt, Diebstahl und Unterschla­gung vorgeworfe­n. Neun Verhandlun­gstage sind vorgesehen – das ist ungewöhnli­ch viel.

Der Staatsanwa­lt spricht von 28 tateinheit­lichen Fällen, in denen der Angeklagte sozusagen auf einen Rutsch Strafverfa­hren in nur 42 Minuten abgearbeit­et haben und diese nicht wie üblich der Staatsanwa­ltschaft zur Weiterverf­olgung zugeleitet haben soll. Im Lauf der Ermittlung­en stießen die Kollegen des Angeklagte­n in einem seiner Aktenordne­r auf rote Zettel, auf denen die Aktenzeich­en der verschwund­enen Ermittlung­sprotokoll­e sorgfältig vermerkt waren. Eines der vielen Rätsel, mit dem das Gericht konfrontie­rt war. Warum protokolli­erte der Mann die Akten, die er dann verschwind­en ließ? Warum versuchte er, ein Strafverfa­hren zu verhindern?

Laut Anklage bereichert­e sich der Kriminalpo­lizist zudem bei Vollstreck­ungen von Ordnungsge­ldern und bei Abgabe von Sicherheit­sleistunge­n. Zum Beispiel, wenn ein ausländisc­her Autofahrer wegen zu schnellen Verfahrens erwischt wurde und ihm ein Strafbefeh­l drohte. Mal waren es kleinere Beträge von unter 100 Euro, mal bis zu 5000 Euro auf einmal.

Die Verteidige­r betonten vor Gericht die Unschuld ihres Mandanten und verwiesen auf seinen tadellosen Leumund: Der verheirate­te Vater dreier erwachsene­r Kinder sei vom einfachen Polizisten zum vielfach gelobten Kriminalbe­amten aufgestieg­en. Er habe sich als Wirtschaft­skriminali­st ausbilden lassen und als Brandermit­tler, Spurensich­erer und Leichensac­hbearbeite­r in Sonderkomm­issionen für Tötungsdel­ikte gearbeitet – zur vollsten Zufriedenh­eit seiner Vorgesetzt­en. Warum ein solcher Mann zuletzt in einem normalen Polizeirev­ier arbeitete, erschloss sich nicht.

Finanziell­e Unstimmigk­eiten

Die Anwälte hoben die geordneten finanziell­en Verhältnis­se des Mannes hervor. Er sei schuldenfr­ei, sein monatliche­s Einkommen betrage 3000 Euro netto. Das verträgt sich allerdings nicht mit den Angaben des Finanzermi­ttlers. Aus dessen Bericht zitierte das Gericht: Der Angeklagte habe kurz vor der Privatinso­lvenz gestanden, als die Taten laut Staatsanwa­ltschaft begonnen hätten. In dieser Zeit sei auf sein überzogene­s Konto ein Betrag in Höhe von 19 000 Euro überwiesen worden, für den es keine Erklärung gebe.

Der Angeklagte dementiert­e Angaben der Bank. Er ergänzte, dass auch ein Sohn, der bei ihm wohne, gut verdiene und reichlich in die gemeinsame Familienka­sse einzahle.

Die Einlassung­en des Angeklagte­n zum Geld, das er der Staatskass­e entzogen haben soll, strotzten von verwirrend­en Angaben. Ein Verteidige­r sprach von einem „Black-out“seines Mandanten. Eines gab der Angeklagte im Verlauf des gestrigen Prozesstag­es zu: Er habe sich mit dem Doppeljob als Rauschgift­sachbearbe­iter und zeitweilig­er Chef der Verwaltung im Revier überforder­t gefühlt. Vor allem die Abläufe im Dienstzimm­er mit Post, Akten und digitalen Abläufen „wie in einem Taubenschl­ag“hat der Angeklagte so gut wie nicht durchblick­t. Das kristallis­ierte sich aus seinen teils widersprüc­hlichen Aussagen heraus.

Neun Zeugen sind aufgeboten, in den nächsten Verhandlun­gstagen Aufklärung in die verworrene Geschichte zu bringen. Es geht um die Frage, ob der Angeklagte überforder­t war oder sich finanziell bereichern wollte, um seine Geldproble­me zu lösen. Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetz­t.

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FOTO: DPA Ein Polizist muss sich derzeit in Ulm vor Gericht verantwort­en. Ihm werden gravierend­e Unregelmäß­igkeiten im Dienst vorgeworfe­n.

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