Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Standpauke vom Präsidenten in der Wiener Hofburg
Proteste bei der Vereidigung der neuen Regierung in Österreich – Bundeskanzlerin Angela Merkel lädt Kurz nach Berlin ein
WIEN - Begleitet von Protesten gegen die rechtspopulistische FPÖ hat die neue Regierung in Österreich ihr Amt angetreten. Bundespräsident Alexander Van der Bellen vereidigte bei einer Zeremonie in der Wiener Hofburg die Regierungsmitglieder von konservativer ÖVP und der FPÖ. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist nun mit 31 Jahren der jüngste Regierungschef der Welt.
Van der Bellen vereidigte die 13 Minister der neuen Regierung, in welcher die FPÖ sechs Ressorts übernimmt. Dazu zählen die Schlüsselressorts Inneres, Äußeres und Verteidigung. FPÖ-Chef HeinzChristian Strache wurde als VizeKanzler vereidigt. Der erste Auslandsbesuch führt Kurz nach Brüssel, um Bedenken gegen seine EUskeptischen Partner auszuräumen.
Diesmal legte die schwarz-blaue Regierungsmannschaft die kurze Distanz zwischen Kanzleramt und Hofburg, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, bei Tageslicht zurück. „Mit erhobenem Haupt“werde man zur Vereidigung marschieren, wie Strache in Anspielung an das Jahr 2000 betonte. Damals musste das erste schwarz-blaue Regierungsteam unter Kanzler Wolfgang Schüssel aus Sicherheitsgründen den unterirdischen Gang zur Hofburg nehmen, weil 150 000 wütende Demonstranten das Regierungsviertel im Zentrum Wiens besetzt hatten. Am Montag zählte die Wiener Polizei nur 6000 meist linksgerichtete Demonstranten gegen die neue Rechtsregierung.
Wer genau hinhörte, vernahm bei der Vereidigungszeremonie eine Standpauke des den Grünen nahestehenden Bundespräsidenten. Offenherzig sagte er, dass er für die politischen Proteste „Verständnis“habe. Van der Bellen mahnte erneut das Bekenntnis zu Europa sowie zu Grund- und Menschenrechten an, um schließlich die Regierung in die Pflicht zu nehmen: „Sie tragen nun die wesentliche Verantwortung dafür, dass unsere Heimat Österreich eine positive Entwicklung nimmt.“
Kurz will EU-Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker und Ratspräsident Donald Tusk mit vorbeugenden Entscheidungen von seinem Europakurs überzeugen: Er hat die EU-Agenden aus dem FPÖ-geführten Außenministerium ins Kanzleramt verschoben und ein Referendum über einen Austritt aus der EU zum Tabu erklärt. Strache hatte sich noch vor einem Jahr nach dem Brexit für einen Öxit stark gemacht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat abwartend auf die neue rechtskonservative Regierung in Österreich reagiert. Merkel erklärte, sie werde verfolgen, wie die „europapolitische Positionierung“Österreichs sein werde. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Österreich ist unser Freund, unser Nachbar, unser wichtiger und enger Partner.“Daher sei es selbstverständlich, dass Merkel und die Bundesregierung insgesamt offen seien, für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit „auch mit dieser österreichischen Regierung und mit dem Bundeskanzler Kurz. Merkel hat den konservativen Politiker zu einem baldigen Besuch nach Berlin eingeladen.