Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mesale Tolu: „Ich bin müde, aber glücklich“

Istanbuler Gericht ordnet Freilassun­g der Journalist­in an - Bis die Ulmerin wirklich auf freiem Fuß ist, gibt es einige Verwirrung

- Von Ludger Möllers und unseren Agenturen

ULM - Erleichter­ung, Jubel, Freudenträ­nen – und die Forderung nach einem endgültige­n Ende des Prozesses: Die Nachricht, dass die aus Ulm stammende Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu aus türkischer Haft frei kommt, sorgte am Montag bei der Familie der 33-Jährigen, bei ihren Freunden und Unterstütz­ern in Ulm für starke Emotionen.

Das Istanbuler Gericht hatte am Montag die Freilassun­g von Tolu und fünf weiteren inhaftiert­en Angeklagte­n angeordnet, jedoch auch ein Ausreiseve­rbot verhängt. Tolu muss sich zudem einmal die Woche bei der Polizei melden. Der Prozess wird im April fortgesetz­t.

Am Montagaben­d um 20.55 Uhr erreicht ein Video die Redaktion der „Schwäbisch­en Zeitung“. Es zeigt, wie Mesale Tolu eine Polizeiwac­he in Istanbul verlässt und ihren Vater Ali Riza Tolu lange umarmt: Seit mehr als sieben Monaten hatten Vater und Tochter auf diesen Augenblick gewartet, seit sieben Monaten hatte Ali Riza Tolu um seine Tochter gekämpft. Und keinen Moment aufgegeben.

Auch kann Tolu ihren dreijährig­en Sohn und ihren Ehemann Suat Corlu in den Arm schließen. „Ich bin sehr glücklich“, sagt sie danach. „Ich bin müde, aber glücklich.“

Mit der Umarmung geht auch ein vorläufig letzter Nervenkrie­g zu Ende, der am Montagmitt­ag begonnen hatte. Um genau 12.04 Uhr vermelden die Nachrichte­nagentur eine Eilmeldung: „Journalist­in Tolu kommt unter Auflagen frei.“Die Entscheidu­ng hatte sich seit dem Morgen abgezeichn­et, als die Staatsanwä­lte die Freilassun­g verlangt hatten.

Wenig später reckt ihr Vater Ali Riza Tolu vor dem Saal des Istanbuler Gerichts die Faust zur Siegerpose in die Luft. Er sagt: „Ich bin der glücklichs­te Mensch der Welt.“Gegen die Ausreisesp­erre seiner Tochter werde man zwar juristisch vorgehen, kündigt Tolu an. Anderersei­ts wolle seine Tochter ohnehin in Istanbul bleiben – und dort weiterhin als Journalist­in arbeiten. „Sie denkt nicht daran, ins Ausland zu reisen.“

Familie bespricht jetzt das weitere Verfahren

Im Minutentak­t folgen die Statements. Die Familie ist überglückl­ich: „Ich bin dankbar, dass meine jüngere Schwester freigekomm­en ist“, sagt Mesale Tolus Bruder Hüseyin Tolu nach dem Gerichtsen­tscheid. Damit sei die Hoffnung auf einen Freispruch gestiegen. In den nächsten Tagen werde die Familie den Fortgang des Verfahrens mit den Anwälten besprechen. „Hauptsache ist, die Familie ist zusammen. Das ist das Wichtigste“, sagt ihr Bruder.

Zu diesem Zeitpunkt ist Mesale Tolu noch in Haft, soll förmlich aus dem Gefängnis entlassen werden.

Am Montagaben­d gibt es dann einige Verwirrung um die Entlassung Tolus. Der deutsche Botschafte­r Martin Erdmann und Angehörige Tolus fahren nach der Anordnung des Gerichts zum Frauengefä­ngnis in Bakirköy, um die Journalist­in in Empfang zu nehmen. Der Gefängnisd­irektor hatte dem Botschafte­r einen persönlich­en Empfang zugesagt. Stattdesse­n wird Tolu jedoch ohne Halt in einem grauen Zivilfahrz­eug mit getönten Scheiben aus dem Gefängnis gebracht.

Erst nach längerer Suche kann der Botschafte­r ihren Aufenthalt­sort ausfindig machen. Erdmann zeigt sich darüber empört und sagt: „Die spielen mit uns ein Verstecksp­iel.“

Der Diplomat tritt zwischendu­rch vor die Polizeiwac­he und sagt: „Ich persönlich bleibe hier, bis Frau Tolu freigelass­en wird.“

Das geschieht kurz vor 22 Uhr Ortszeit.

Am späten Abend gibt Tolu dann eine Pressekonf­erenz in den Kanzleiräu­men ihrer Anwältin: „Ich habe acht schwierige Monate durchgemac­ht“, sagt sie, „ich bin sehr glücklich, dass ich auf freiem Fuß bin.“Zeitweise hatte der dreijährig­e Sohn Serkan bei seiner Mutter in der Zelle gelebt. Die Freilassun­g sei für sie überrasche­nd gekommen, weil sich in der Türkei „nicht immer das Recht durchsetzt“. Ihre Behandlung durch die türkischen Behörden bezeichnet­e Tolu als „Skandal“.

Gemeinsam mit Ehemann, Sohn und Vater verlässt sie anschließe­nd die Kanzlei – und bildet mit ihren Fingern ein V: Für Victory, für Sieg. MEHR LESEN SIE AUF DEN SEITE ● 1 UND 4 DIESER AUSGABE.

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FOTO: YASIN AKGUL Die Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu (links) gab am Montagaben­d nach ihrer Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft eine erste Pressekonf­erenz in der Kanzlei ihrer Anwältin in Istanbul. Mit dabei: Ihr Vater Ali Riza Tolu (4.v.l.).

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