Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die große Angst vor der Schweinepest
Behörden, Bauern und Jäger sind wegen des Vorrückens einer tödlichen Tierseuche aus Osteuropa Richtung Deutschland alarmiert
TETTNANG - „Wichtig wäre besonders, wenn am Schluss einige Wildsauen liegen würden“, lautet die Ansage des energischen Jagdleiters. „Ihr wisst ja vielleicht, dass die Afrikanische Schweinepest droht“, fährt der grün gewandete Mann fort. Gleich darauf soll eine Drückjagd beginnen, bei der einige Dutzend Schützen auf aufgescheuchtes Wild lauern. Noch ein Blick in die Runde der dick vermummten Weidmänner. In diversen frostgeröteten Gesichtern scheint die Frage zu stehen: Schweinepest? Was soll damit sein? Offenbar hat der Jagdleiter das Thema für manchen erstmals angesprochen. Es ist damit auch in dem idyllischen Revier bei Tettnang angekommen – einer Gegend, wo neben Wald und Wiesen der Hopfen gedeiht sowie das Flüsschen Argen malerisch zum nahen Bodensee fließt.
Hauk will Bestand halbieren
Hinter Behördenkulissen spielt die Afrikanische Schweinepest schon länger eine Rolle. Verursacht wird sie durch ein Virus. Für den Menschen ist es zwar ungefährlich. Der Erreger jedoch bringt Wild- wie Hausschweine innerhalb kurzer Zeit zur Strecke. Wer als Bauer Sauen in Massen hält, dürfte sich mit Existenzsorgen plagen. Ein erkranktes Tier im Stall würde das komplette Keulen des Bestands bedeuten.
Helfen kann niemand. Ein Impfstoff existiert nicht. Weshalb Katastrophenszenarien entworfen werden, die nur noch erschreckend sind. Beamte feilen an Anordnungen für absolute Sperrzonen, die womöglich mit Elektrozäunen gesichert werden. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk hat bereits gefordert, die Schwarzwildbestände „um die Hälfte zu reduzieren“. Das bayerische Kabinett hat nun eine Kopfprämie ausgelobt: Jäger im Freistaat sollen jeweils 20 Euro bekommen, wenn sie Frischlinge, Wildschweine im zweiten Lebensjahr sowie weibliche Sauen ohne Nachwuchs erlegen.
Auslöser des Aktionismus war ein Ereignis weit ab von Deutschland. Am 26. Juni bestätigten Tierärzte, dass zwei tot bei der osttschechischen Stadt Zlin gefundene Wildschweine das Virus intus hatten. Vier Monate später war die Zahl der verendeten Tiere in diesem mährischen Gebiet auf 112 gestiegen. Nun liegt Zlin immer noch 700 Kilometer von Baden-Württemberg entfernt. Bis zur bayerischen Grenze sind es aber nur etwas mehr als die Hälfte. Zugegeben: Selbst dies klingt noch nach einer großen Distanz. Seuchenexperten sind aber alarmiert. Praktisch aus dem Nichts hatte die Afrikanische Schweinepest nämlich zuvor einen Sprung von 500 Kilometern geschafft – und zwar von Ostpolen über die Karpaten in die Zliner Gegend.
Daraufhin sah sich die deutsche Zentralstelle für Tierseuchenfragen, das Friedrich-Loeffler-Institut, zu einer aktuellen Risikobewertung genötigt – zumal gleichzeitig Pestausbrüche bei Hausschweinen in Polen zunahmen. Anfang Juli schrieben die Experten, das „Risiko einer Einschleppung der Afrikanischen Schweinepest nach Deutschland“sei insgesamt gesehen hoch. Sie riefen „zur erhöhten Wachsamkeit auf“. Amtsveterinäre sagen unter der Hand: „Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Seuche bei uns ist.“
Das Virus als Überlebenskünstler
Regional zuständige Landratsämter und Jagdverbände sind informiert. Von ihnen gab es bereits den Hinweis, künftig jede verendet aufgefundene Wildsau auf den SchweinepestVirus zu testen. Doch diese Monitoring-Vorgabe findet offenbar nur langsam den Weg durch die Ämteroder Vereinshierarchie nach unten. So weiß beispielsweise auch an Jägerstammtischen im Bodenseeraum mancher Weidmann nichts, der andere wenig. Der nächste hat diffuse Vorstellungen. Also eine ähnliche Lage wie bei der Jagd bei Tettnang.
Dabei wirft die Afrikanische Schweinepest seit Jahren ihren Schatten voraus. Wie der Name besagt, liegen die Ursprünge auf dem Schwarzen Kontinent. Aufgetreten ist sie jedoch auch schon früher an anderen Orten, etwa in Spanien. Die Spuren des aktuellen Seuchengeschehens führen aber nach Georgien. 2007 wurde in dem KaukasusLand das Virus erstmals festgestellt. Er breitete sich dann über Russland, Weißrussland, die Ukraine und das Baltikum weiter bis nach Ostpolen aus. Ein durchschlagender Erfolg im Kampf gegen die Pest blieb in diesen Regionen bisher aus. Das Problem: Das Virus ist ein Überlebenskünstler. Es kann an Schuhen oder Autoreifen haften und so weiter verschleppt werden. Selbst in gepökeltem Fleisch bleibt der Erreger bis zu sechs Monate ansteckungsfähig.
Gerade aus der Überlebensfähigkeit des Virus in Nahrungsmitteln ergibt sich offenbar die zentrale Gefahr für seine Verbreitung. In der RisikoEinschätzung des Friedrich-Loeffler-Instituts heißt es sinngemäß: Sollte das Virus nach Deutschland kommen, dann käme es wohl in erster Linie durch belastetes Fleisch hierher. Das Szenario geht von Menschen aus, die entlang der Fernstraßen reisen und irgendwo Essensreste entsorgen. Speditionsfahrer kämen infrage, wenn sie bei der Fahrt nach Westen Teile ihres Vespers zurücklassen. Frisst Schwarzwild davon, ist das Virus weitergegeben.
Als weitaus weniger bedeutend schätzen die Seuchenexperten die Gefahr einer Verbreitung von Sau zu Sau ein. Eine Tröpfcheninfektion etwa durch das Erreger-Ausniesen spielt keine Rolle. Dies ist ein Unterschied zur Klassischen Schweinepest. Anders als die afrikanische Variante ist sie ein alter Bekannter in der Bundesrepublik. In den 1990erJahren gab es einen länger anhaltenden Seuchenzug in Niedersachsen, dem Zentrum der deutschen Schweinewirtschaft. Über zwei Millionen Tiere wurden seinerzeit allein dort gekeult. Der Schaden belief sich auf mehr als eine Milliarde Euro.
Gegen die klassische Schweinepest ließe sich wenigstens mit einer Impfung vorgehen. Für Landwirte ist dies jedoch eine heikle Sache. Dahinter stecken handelspolitische Gründe. Hier kommt das Internationale Tierseuchenamt ins Spiel. Im Falle einer Impfung verlängert es den Schweinepeststatus eines Landes. Er dauert dann zwölf anstatt sechs Monate. Der Handel mit Schweinefleisch liegt somit noch länger brach. Dies hat psychologische Gründe. Zwar ist auch von der klassischen Schweinepest keine Übertragung auf den Menschen bekannt. Aber erfahrungsgemäß greife niemand zu eventuell belastetem Fleisch, heißt es von Bauernverbänden.
Wirtschaftliche Ängste
Klar, dass bei den Landwirten die Alarmglocken im Hinblick auf die sich nähernde Afrikanische Schweinepest immer lauter schellen. „Am meisten macht uns Sorge, dass der Markt reagiert“, sagt Marco Eberle, Fachreferent für tierische Produktion beim baden-württembergischen Landesbauernverband. Speziell der Export in Länder außerhalb der EU könnte selbst bei einem ausschließlich regionalen Ausbruch der Seuche kollabieren. Eberle verweist darauf, dass für die deutschen Schweinehalter China ein „sehr bedeutender Markt“sei. Peking habe aber bereits Stellung bezogen. Demnach sperrt sich das Land einem weiteren Handel, sobald in Deutschland der erste Fall von Afrikanischer Schweinepest auftaucht. „Kommt die Seuche, stehen Milliarden-Beträge auf dem Spiel“, schätzt Eberle.
Um so hektischer entwickeln sich die Überlegungen, was im Falle eines Falles zu tun wäre. Die verantwortlichen Ministerien in Stuttgart und München schauen dabei interessiert auf tschechische Maßnahmen im Ausbruchsgebiet bei Zlin. Die Behörden gehen dort rigoros vor. Um die Fundstelle infizierter Tiere herum werden Elektro-Zäune installiert. Diese „rote Zone“kann mehrere Dutzend Quadratkilometer umfassen. Für sie gilt ein weitgehendes Betretungsverbot. Hinzu kommt eine Pufferzone, in der scharf bejagd wird, mit einem Durchmesser von mindestens 30 Kilometern. Damit es mit dem Sauen-Abschuss vorwärts geht, setzen die Behörden auch Polizeischarfschützen ein, die über Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras verfügen.
Sauenjagd ist anspruchvoll
In Süddeutschland haben die Behörden ähnliche Sperr- und Pufferzonenregelungen in ihre Alarmpläne übernommen. Wie im Zweifelsfall die Jagd aussehen soll, ist aber unklar. Für den Moment heißt es nur, die Schwarzwildbestände sollen reduziert werden, um einem Ausbreiten der Seuche den Boden zu entziehen. Sauenjagd ist aber anspruchsvoll. Peter Lutz, Jägermeister des Landkreises Ravensburg sowie des Regierungsbezirks Tübingen, meint: „Die Afrikanische Schweinepest ist für uns eine riesige Herausforderung.“Er berichtet, Weidmänner wollten zunehmend eine Erlaubnis zum Verwenden von Nachtzielgeräten, um die meist bei Dunkelheit aktiven Tiere besser bejagen zu können. Waffenrechtlich ist diese Technik Privatleuten bisher verboten.
Behörden wiederum liebäugeln unter anderem mit Saufängen. Dazu lockt man ganze Rotten in ein Gehege und tötet sie dort. Weil die Sauen aber mitbekommen, dass ein Artgenosse nach dem anderen stirbt, droht eine Panik unter ihnen. Weshalb der Saufang aus Gründen des Tierschutzes skeptisch betrachtet wird. Bayerns Landesjägermeister Jürgen Vocke hält gar nichts davon. Er setzt auf „verstärkte, Revier übergreifende Drückjagden“– also das gleichzeitige Jagen auf großen Flächen.
Erfahrungsgemäß sind die Ergebnisse bei solchen Aktionen aber gemischt. In der oben bei Tettnang beschriebenen Drückjagd wurde eine beträchtliche Anzahl von Rehen geschossen. Was das Schwarzwild angeht, so erlegten die Jäger vier Sauen. Viel? Wenig? Keiner weiß es. „Schießen können wir nur, was uns vor den Lauf kommt“, bemüht ein Teilnehmer der Jagd eine Binsenweisheit.