Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Japans Henker sind wieder im Dienst
Zwei Mörder hingerichtet – 80 Prozent spüren kein Mitleid und haben auch keine Skrupel
TOKIO - Am Dienstag im Morgengrauen wurden in Japan wieder zwei zum Tode Verurteilte zum Galgen geführt. Darunter der Vierfachmörder Teruhiko Seki, ein Mann, der zum Zeitpunkt seiner Tat 19-jährig und damit nach japanischem Gesetz noch minderjährig war. Damit wurde erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder ein Todesurteil an einem Minderjährigen vollstreckt. In der bisherigen Amtszeit von Premierminister Shinzo Abe seit Dezember 2012 wurden bereits 21 Todeskandidaten gehenkt. Aber Japan bleibt neben den USA die einzige westliche Demokratie mit der Todesstrafe.
Die Japanische Föderation der Rechtsanwälte hatte vergangenes Jahr an die Regierung appelliert, die Todesstrafe bis spätestens 2020, wenn Tokio die Olympischen Sommerspiele veranstaltet, abzuschaffen. Aber die Regierung beruft sich auf die Volksmeinung, die sich bei schweren Verbrechen für Exekutionen ausspricht. Für den Vorteil, relativ wenig Kapitalverbrechen und eine sehr hohe Aufklärungsrate zu haben, setzt sich die fernöstliche Industrienation gnadenlos über humanistische Bedenken hinweg.
Die Söhne und Töchter Nippons spüren kein Mitleid mit Mördern und haben keine Skrupel. Mehr als 80 Prozent der Menschen finden es völlig rechtens, Mörder per Gesetz aus dem Leben zu befördern, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Nur knapp einer von zehn hält die Todesstrafe für unmenschlich. Religiöse Bedenken gibt es nur in der christlichen Miniminderheit. Mehr als hundert Todeskandidaten warten derzeit noch auf die Vollstreckung. Nach welchem Muster der Justizminister die Hinrichtung befiehlt, teilt die Regierung nicht mit. Auch rechtskräftig abschließend Verurteilte sitzen teilweise mehr als ein Jahrzehnt in den Todeszellen.
Es war auch bei dieser jüngsten Hinrichtung dasselbe Prozedere: Der amtliche Anruf erreichte die Familien am frühen Morgen: „Bitte holen Sie den Leichnam ab – oder wollen Sie ihn bereits eingeäschert?” Die Delinquenten selbst erfuhren erst kurz davor, dass ihre letzte Stunde geschlagen hat. Beim Wecken teilte ein Henker mit, die Hinrichtung erfolge in der nächsten Stunde. Auf dem Weg zum Strang blieb nur noch Zeit für ein kurzes Gebet. Mit gefesselten Händen und verbundenen Augen wird der Todeskandidat zum Galgen geführt. „Los jetzt”, sagt dann der Diensthabende, und mehrere Vollzugsbeamte betätigen gleichzeitig Knöpfe. Am Ende soll niemand wissen, wer die Falltür geöffnet hat. Keiner braucht sich als Henker zu fühlen.
Was im Todestrakt der Gefängnisse geschieht, steht unter keiner öffentlichen Kontrolle. Die Regeln des japanischen Strafvollzugs sind rund 100 Jahre alt. Immer wieder kolportieren Anwälte, ihre Mandanten klagten über tagelange Verhöre, Schläge und Schlafentzug. Zuweilen wird sogar über brutale Folter durch Lederfesseln oder Wasserkanonaden aus Feuerwehrschläuchen berichtet. Die Galgenkandidaten müssen sich auch auf perfide Böswilligkeit einstellen. Vor ein paar Jahren dankte ein Delinquent, der Weihnachten und Neujahr überstanden hatte, in einem Brief an seine Adoptivmutter – eine katholische Nonne – dem „lieben Gott für ein weiteres Jahr der Gnade”. Einen Tag später wurde er ohne weitere Erklärung hingerichtet.