Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Alice im eisigen Wunderland
Mit Tanz, Komik und Akrobatik interpretiert der „Russian Circus on Ice“die Romanvorlage von Lewis Carroll in der Ratiopharm-Arena
NEU-ULM - Ein Artist im bunten Hasenkostüm und ein Mann mit Zylinder auf dem Kopf tanzen auf dem Eis. Hoch über ihnen schwingt ein junges Mädchen in einem Reifen und vollführt waghalsige Kunststücke. Frei nach „Alice in Wunderland“und dessen Fortsetzung „Alice hinter den Spiegeln“liegt der Handlungsrahmen, den sich die Mitglieder des „Russian Circus on Ice“, dem russischen Zirkus auf Eis, abgesteckt hatten. Rund 1300 Besucher kamen in die Ratiopharm-Arena, um das rasante Spektakel zwischen Ballett und Hip Hop auf Kufen und Kunsteis zu sehen.
Doch hielten sich die Macher der Show nicht allzu sehr an die Vorlage des Originals von Lewis Carroll, sondern nutzten gekonnt die schrägen Charaktere des Kinderbuches für ein temporeiches rund zweistündiges Programms. Je nach eigenem Geschmack konnte jeder Zuschauer ein verwirrendes Durcheinander oder die besondere Ordnung, die auf ihren eigenen Regeln basiert, hinter der Handlung erkennen: Wenn etwa die Zwillinge Zwiddeldum und Zwiddeldei in luftiger Höhe an Stoffbändern turnten oder die weiße Schachkönigin mit dutzenden Reifen auf den Hüften Hula-Hoop tanzte, während sich weitere Darsteller auf der Bühne und das Publikum eine Schlacht mit überdimensionalen Kissen lieferten oder die Hauptfigur Alice mit der „Grinsekatze“ein flottes Tänzchen auf Kufen wagte. Besonders mutig zeigten sich die Darsteller, die auf Einrädern über die spiegelglatte Bühne fuhren.
Fast noch schräger als die surrealen Figuren der Romanvorlage war der Auftritt des weißen Schachkönigs: Er spielte Melodien zum Mitsingen auf Glasflaschen, dirigierte das Publikum zum Pfeifkonzert oder ließ die Zuschauer zum Wettkampf antreten, welche Reihe wohl lauter applaudieren könne.
Gewolltes Chaos auf der Eisfläche
Bisweilen konnte da der Beobachter in der Fülle der gebotenen Aktionen auf der Bühne den Überblick verlieren. Doch dürfte das Chaos auf der Spielfläche durchaus gewollt sein. Wie bunte und schrille bewegte Bilder stellten die Tänzer immer wieder neue fantasievolle Szenen dar und spannten mit akrobatischen Einlagen wie Seilsprüngen, Jonglagen oder Trapezartistik den Bogen zum anspruchsvollen Zirkusprogramm. Ein Hintergrund aus tausenden LEDLeuchten funkelten und blitzten im Takt der Playback-Musik dazu.
Das Potenzial, ein kultureller Meilenstein zu werden – wie das Original, das aus dem Jahr 1871 stammt – hat die schrille Show wahrscheinlich nicht. Doch mit temporeichen Tanzeinlagen, originellen Showelementen und bemerkenswerter Akrobatik bot der russisches Eiszirkus ein durchaus unterhaltsames Programm für die ganze Familie, bei dem die Zuschauer gleichermaßen ins Staunen und Schwärmen kommen konnten.
Wie weit die Eisshow nun tatsächlich am Original gewesen sein mag, dürfte damit für die Zuschauer wohl auch nur nebensächlich sein. Denn die Fantasiewelt hinter dem Zauberspiegel, wie sie der Schriftsteller Lewis Carroll in seinen Büchern beschreibt, lädt auch fast 150 Jahre danach noch dazu ein, in jeder Form für farbenfrohe Shows dieser Art karikiert, parodiert und kopiert zu werden.