Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ulmer Forscher identifizieren neue Gen-Veränderung
Wissenschaftler machen die bislang häufigste Mutation ausfindig, die zur tödlichen Nervenkrankheit ALS führt
ULM (sz) - Forscher der Ulmer Universitätsmedizin haben Mutationen in einem Gen entdeckt, die die erbliche Variante der tödlichen Nervenkrankheit ALS auslösen können. Unter diesen Mutationen befindet sich der bisher am häufigsten bei Patienten nachgewiesene genetische Faktor, der zur Entstehung der Krankheit beiträgt. Die Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift „Brain“erschienen ist, untermauert die Annahme, dass der tödlichen Erkrankung ein Zusammenspiel mehrerer Gendefekte zugrunde liegt.
ALS ist eine derzeit unheilbare Erkrankung, bei der die motorischen Nervenzellen zerstört werden. ALSKranke leiden an stetig fortschreitenden Lähmungen. Die Krankheit ist relativ selten – nur etwa drei von 100 000 Personen sind jährlich neu betroffen. Sie wurde durch prominente Patienten wie den Physikprofessor Stephen Hawking und die „Ice Bucket Challenge“im Sommer 2014 bekannter. Dabei gossen sich Prominente und andere Menschen einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf, um auf ALS aufmerksam zu machen. Die Videos der „Ice Bucket Challenge“wurden über soziale Netzwerke im Internet verbreitet.
In der Regel führt die Nervenkrankheit innerhalb von drei bis fünf Jahren zum Tod. Es gibt zwei Formen: die sporadische Variante und die erblich bedingte, „familiäre“Form, die nur etwa zehn Prozent der Erkrankungen ausmacht. Wie die beiden Typen der Krankheit entstehen, haben Forscher noch nicht genau durchschaut. Zwar konnten Wissenschaftler mehrere Gene identifizieren, deren Mutation die Entstehung von ALS begünstigen. Diese Mutationen erklären jedoch lediglich die Ursache von weniger als einem Viertel der Fälle.
Nun haben Forscher der Ulmer Uniklinik für Neurologie und der schwedischen Universität Umeå das Erbgut von 426 ALS-Patienten, die mindestens einen weiteren erkrankten Verwandten hatten, mit einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Wissenschaftler um Professor Jochen Weishaupt und Professor Peter Andersen identifizierten bei ALS-Patienten drei Mutationen, die zu einem Funktionsverlust des Gens KIF5A führen. Bei drei untersuchten Familien war die Vererbung der Krankheit über mehrere Generationen hinweg an eine solche Mutation gekoppelt. Darüber hinaus beobachteten die Autoren bei etlichen Patienten mit familiärer ALS eine weitere Veränderung, die dieses Gen betrifft: den „Einzelnukleotid-Polymorphismus“rs113247976. Dieser ist nach Angabe von Professor Jochen Weishaupt und Erstautor David Brenner von allen genetischen Veränderungen, die seit 1993 weltweit bei ALS-Patienten gefunden wurden, der häufigste genetische Faktor, der zur Entstehung von ALS beiträgt.
Mit der Veränderung des Gens KIF5A sind weitere Nervenkrankheiten verbunden. Die Ulmer Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihre Erkenntnisse zu neuen Therapieansätzen beitragen können. Die Häufigkeit der Veränderung rs113247976 bei familiären ALS-Patienten befeuere die Hypothese, dass verschiedene Gendefekte im Körper eines Patienten zusammenspielen. Dies könnte auch einen Teil der sporadischen, nicht erblichen ALS-Fälle genetisch erklären.