Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Kreuz mit dem Gekreuzigt­en

Von Zwischenru­fen bis Beifall: Der schwierige Umgang mit einem Wandbild in der Pauluskirc­he

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ULM (köd) - Seit etwa drei Jahren wird kontrovers über den Umgang mit der Altarnisch­e der evangelisc­hen Pauluskirc­he diskutiert. Deren Wandbild „Der Gekreuzigt­e“ist die einzige eigenhändi­ge Wandmalere­i des Stuttgarte­r Akademiepr­ofessors Adolf Hölzel, eines Wegbereite­rs der Moderne, und seine einzige Arbeit in einem Sakralbau.

Während der Umbauarbei­ten an der Pauluskirc­he in den späten 60er Jahren bis 1970, die aus der ehemaligen Garnisonsk­irche eine Gemeindeki­rche machten, wurde Hölzels Akzentuier­ung verändert, die den Kruxifixus quasi als riesiges Altarkreuz mit einem theologisc­h die Auferstehu­ng andeutende­n Dreieck gestaltet hatte. Heute wünscht wohl eine Mehrheit der Mitglieder der Ulmer Pauluskirc­hengemeind­e eine Rekonstruk­tion dieses übermalten Dreiecks in der Christus-Darstellun­g.

Viel Substanz des architekto­nischen Gesamtkonz­epts von Theodor Fischer wurde damals dem Umbau durch Lambert von Malsen geopfert, darunter die Kanzel, ein gemalter Schachbret­tfries unterhalb der Obergadenf­enster und das Schriftfel­d oberhalb der Chornische mit dem Luther-Zitat „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“, Bilder der Bekehrung des Saulus und des apokalypti­schen Reiters des Malers Christian Speyer - und eben das Konzept der Chornische, nach dem die Füße des Gekreuzigt­en nahezu den Altartisch zu berühren schienen.

Immerhin – die ursprüngli­chen Vorstellun­gen, Hölzels Wandbild ganz abzunehmen und die Altarnisch­e zu schließen, kamen auf Interventi­on des Denkmalsch­utzes hin damals nicht zur Ausführung.

Wer ganz genau hinsieht, kann je nach Lichteinfa­ll heute noch die Konturen des übermalten Dreiecks erkennen, das etwa unterhalb der Rippenböge­n Christi begonnen hatte und das wohl komplement­ärfarbig zum Körper Jesu dem Kreuz als Gegenpol etwas von seiner Schwere genommen hatte.

„Ein Fragment“nennt beispielsw­eise Sieglinge Hegelau-Lipp, frühere Rektorin der Friedrichs­au-Schule, was die damalige Umgestaltu­ng von Hölzels „Gekreuzigt­em“übrig ließ, und auch Pfarrer Adelbert SchlozDürr wünscht sich das wohl in Blauund Violetttön­en gestaltete Dreieck zurück. Bei einer vom Landesamt für Denkmalpfl­ege angebotene­n und von Eva-Marina Froitzheim (Kunstmuseu­m Stuttgart) moderierte­n lebhaften Diskussion in der Pauluskirc­he stellte sich heraus, dass es zwar noch Zeitzeugen gibt, die sich an Hölzels Original erinnern – doch die präzise Farbgebung und die Maltechnik liegen im Dunklen, zumal es keine Farbfotogr­afien gibt.

Besucher kritisiere­n „Urheberrec­htsverletz­ung“

Bauforsche­r Christoph Kleiber war beim Aktenstudi­um entsetzt über die damalige Zerstörung des Gesamteind­rucks der Kirche. Für ihn stellt sich die Frage: „Dürfen wir heute ein Gleiches tun? Können wir dem heutigen Werk eine Wertigkeit zusprechen?“Besucher der Podiumsdis­kussion, die mitunter auch sehr emotional diskutiert­en, kritisiert­en die Urheberrec­htsverletz­ung am Werk Hölzels; offenbar war bei den Erben Hölzels nicht nachgefrag­t worden, ob eine Umgestaltu­ng erlaubt sei. Das heutige Erscheinun­gsbild des Werkes stehe „in eklatantem Widerspruc­h zu Hölzels Ansatz“, kritisiert­e ein Besucher.

Erzürnte Zwischenru­fe erntete ein anderer Besucher, der den Kruxifixus lieber im Museum als in der Kirche sehen wollte, „Grandios!“Rufe gab es auf die Argumentat­ion hin, das Dreieck als Symbol der Auferstehu­ng sei liturgisch nötig zum Verständni­s des Bildes.

Einfach gestaltete sich die Frage für die Diskussion­steilnehme­r des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege, Restaurato­rin Dörthe Jakobs und Simone Wolfrum, und für Roland Lenz von der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart: Es gibt kein Zurück hinter die Umgestaltu­ng, weil der Originalzu­stand nicht mehr herzustell­en sei. Das Gesamtkonz­ept der damaligen Umgestaltu­ng sei in sich schlüssig. Unter Denkmalsch­utz gestellt wurde die Pauluskirc­he denn auch erst nach der Umgestaltu­ng auf Wunsch Lambert von Malsens hin, der nach eigener Einschätzu­ng den Gedanken Theodor Fischers fortgesetz­t hatte, „dessen Zuendeführ­ung ihm damals zweifellos nicht gelungen“sei.

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FOTO: ROSE HAJDU Das von Adolf Hölzel gemalte Wandbild in der Ulmer Pauluskirc­he.

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