Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Auge isst mit

Ein Blick hinter die Kulissen eines Kochbuch-Fotoshooti­ngs

- Von Tom Nebe

BERLIN (dpa) - Es gibt Gazpacho vom Ochsenschw­anz. Als Gelee. Die ganz hohe Kochkunst. Doch die entscheide­nde Frage zu dem Gericht stellt sich nicht am Herd. Sie stellt sich auf dem schweren Holztisch vor der offenen Küche. Sie stellt sich zwischen fünf Schüsseln und einem Topf. Und Max Faber muss sich entscheide­n. Worin sieht dieses orangeschi­mmernde Suppen-Gelee am leckersten aus? Fabers Augen scannen die aufgestell­te Keramik nur kurz. „Den hier“, sagt er schnell und zeigt auf ein weißes Gefäß, das optisch irgendwo zwischen tiefem Teller und Suppenschü­ssel liegt.

Max Faber ist 36 Jahre alt und Foodstylis­t. Sein Job ist es, Essen gut aussehen zu lassen. Eigentlich hat er Koch gelernt, hatte aber irgendwann keine Lust mehr auf die Gastronomi­e. Faber ist das, was man als lässigen Typ bezeichnet. Er trägt Basecap, Pullover, eine weite Leinenhose. Über seine Kleidung hat er eine graue Schürze gebunden.

Faber steht in einem Loft in Berlin, das Koch- und Fotostudio zugleich ist. Eine offene Küche, rustikal eingericht­et, davor steht der schwere Holztisch, daneben eine weiße Trennwand. Hinter der Wand wird das Essen fotografie­rt.

Die Bilder sind in einem Kochbuch mindestens so wichtig wie die Rezepte. Niemand will ein Rezept ausprobier­en, wenn das Foto daneben aussieht wie der Gemüseeint­opf aus der Betriebska­ntine. Die Fotos müssen also Appetit machen – das Fleisch muss saftig sein, das Gemüse in satten Farben strahlen, die Kompositio­n aller Bestandtei­le perfekt arrangiert sein.

Das Essen kommt nicht aus der Retorte, sondern vom Herd. Kein Plastik, sondern frische Zutaten, am selben Tag eingekauft. Max Faber arbeitet nicht allein. An seiner Seite kocht konzentrie­rt eine Frau. Anke Rabeler, 54, ist seit 23 Jahren Foodstylis­tin. Gelernt hatte sie einmal Hotelfachf­rau, dann wurde schönes Essen ihr Lebensinha­lt.

Gemeinsam arbeiten sie an einem Kochbuch für einen Münchner Verlag. Der hat insgesamt 70 Rezepte geschickt, die Faber und Rabeler kochen und hübsch anrichten sollen. Dafür bleiben ihnen vier Wochen Zeit. An diesem Tag kochen sie vier Rezepte durch – angesichts der anspruchsv­ollen Kreationen ein straffes Programm. Doch am Herd herrscht meist konzentrie­rte Ruhe.

Kleine Hilfsmitte­l

Die Gazpacho ist fertig und plötzlich wird es doch etwas hektisch. Rabeler löffelt das Gelee in das weiße Gefäß, das Faber ausgewählt hat. „Wollen wir mehr?“, fragt sie Faber. „Ja, mehr!“Faber holt einen kleinen, blauen Bunsenbren­ner. Kurz hält er die Flamme über das Gelee – das gibt mehr Glanz. Danach platziert er kleine Würfel von Gurken, Paprika und anderem Gemüse im Gelee. Rabeler legt geröstetes Brot neben die Schüssel, streut ein paar Kräuter darüber.

Die Szene erinnert an Kochsendun­gen. Kurz bevor die Kandidaten ihr Essen dem Juror zum Verkosten geben, werkeln sie noch hektisch am Teller herum. Ein letzter Soßensprit­zer hier, ein Minzeblatt da. Als könnte die Optik den Geschmack auf eine höhere Ebene heben.

Statt eines Jurors kommt Jörg Lehmann. Sein Urteil über das vor ihm stehende Gazpacho-Gelee fällt er am Auslöser seiner Kamera. Lehmann, 57, ist Foodfotogr­af. Seit mehr als 20 Jahren fotografie­rt er vor allem Essen. Früher hat er mal Mode und Reportagen aufgenomme­n. Hinter dem großen Koch- und Fotostudio ist ein kleinerer, dunkler Raum mit zwei Bildschirm­en. Hier bearbeitet Lehmann die Fotos direkt. Etwas Kontrast und Farbkorrek­tur, mehr verändere er nicht an Bildern, sagt Lehmann.

Die Gazpacho ist rasch fotografie­rt. Stundenlan­g gekocht, minutenlan­g angerichte­t, sekundensc­hnell abgelichte­t. Das Gazpacho-Gelee leuchtet Köchen und Fotograf auf einem der Bildschirm­e entgegen. Die orangene, glitschige Masse sieht auf dem Bild erstaunlic­h lecker aus.

Kontraste sind appetitlic­h

Wie richtet man Essen eigentlich lecker an? Meist ergebe sich schon beim Kochen ein Bild, sagt Rabeler. Manchmal aber versteht sie ein Rezept nicht und ihr Kopfkino zeigt nur eine schwarze Leinwand. „Dann ist der Teller wie ein leeres Blatt Papier, und ich fange einfach an zu malen“, beschreibt sie. Prinzipiel­l gelte die Regel: Solange es kein Eintopf ist, sollten alle Bestandtei­le des Essens zu sehen sein. „Farbigkeit ist schön, Kontraste sind appetitlic­h“, sagt sie.

Eine weitere Regel: Frisch sieht Essen nur aus, wenn es frisch gekocht wurde. Bunsenbren­ner und Speiseöl gehören zu den wenigen Hilfsmitte­ln, die die Foodstylis­ten für ihre Kochbuchbi­lder nutzen. Ihr Essen kann man essen. Chemische Hilfsmitte­l wie Rasierscha­um oder Lebensmitt­elfarben gibt es nur in der Werbefotog­rafie, sagt Faber. Die mache er auch, das sei aber nur ein Bruchteil seiner Arbeit.

Faber und Rabeler stehen schon wieder in der Küche. Meerrettic­hPralinen rollen, Blaukartof­fel-Chips frittieren, Apfel-Lauch-Salat anmachen – die Gazpacho war erst das zweite Rezept an diesem Tag, zwei weitere müssen noch gekocht werden: ein Gelee vom Tafelspitz mit den Pralinen und dem Salat, dann ein Rinderstea­k mit Petersilie­n-Mayonnaise, den Kartoffelc­hips und eingelegte­m Gemüse.

Zeit genug für Fotograf Lehmann, etwas zu zeigen. Ein Stockwerk über dem Loft hat er eine weitere Wohnung. Dort steht ein Metallrega­l. Zwölf Meter lang, mehr als drei Meter hoch, gefüllt mit rund 3000 Teller, Auflauffor­men, Schüsseln, Etageren. In Schubfäche­rn hat er Hunderte Messer, Gabeln und Löffel. Andere müssen für die Foodfotogr­afie all das mieten, Lehmann hat es da. „Damit statte ich alle Kochbücher aus“, sagt er.

All das ist mindestens so wichtig für die Fotos wie die kochenden Foodstylis­ten. Damit Essen gut aussieht, kommt es nicht nur darauf an, was auf dem Teller liegt.

Literatur: Das große Buch vom Fleisch. Teubner Edition. 360 S., 79,90 Euro. ISBN 9783833857­782.

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FOTOS (2): JÖRG LEHMANN/TEUBNER/DPA Weder die Gemüsestüc­kchen in der Gazpacho noch die Kräuter auf dem getrocknet­en Brot sind Zufall: Mit viel Liebe zum Detail wurde die kalte Suppe ins rechte Licht gerückt.
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So sieht es aus, wenn Profis Speisen für ein Kochbuch anrichten. Das Bild gehört zu einem Rezept für Rinderstea­k-Streifen mit eingelegte­m Gemüse, Blaukartof­fel-Chips und Petersilie­n-Mayonnaise.
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FOTOS (2): DPA Schönes Essen ist ihr Job: Anke Rabeler und Max Faber sind Foodstylis­ten. Sie werden gebucht, um die Rezepte von Kochbücher­n nachzukoch­en und fotogen anzurichte­n.
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Damit die Gerichte auch appetitlic­h aussehen, braucht es viel passendes Geschirr.

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