Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Vertrauen in Große Koalition schwindet
Bei Neuwahlen läge Schwarz-Rot unter 50 Prozent – Verhandlungsabschluss verschoben
BERLIN - Während sich die Verhandlungsführer von Union und SPD nach einem langen Gesprächstag am Montagabend erneut vertagten, schwindet die Zustimmung in der Bevölkerung für die Neuauflage eines schwarz-roten Bündnisses. Laut einer neuen Meinungsumfrage des Insa-Instituts bekämen Union und SPD bei Neuwahlen derzeit keine Mehrheit mehr für eine Große Koalition: Der am Dienstag veröffentlichten Erhebung zufolge verlieren CDU und CSU drei Punkte und kommen nur noch auf 30,5 Prozent. Die SPD verschlechtert sich um einen halben Punkt und erreicht nur noch 17 Prozent. Die AfD legt um einen Punkt zu und erreicht 15 Prozent. Die Grünen gewinnen eineinhalb Punkte und kommen auf 12,5 Prozent, die Linke bleibt bei elf Prozent. Die FDP steigert sich um einen Punkt und erreicht zehn Prozent. Union und SPD erreichen damit zusammen nur noch 47,5 Prozent. Ein Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen kommt gemeinsam auf 53 Prozent.
Insa-Chef Hermann Binkert sagte dem Blatt: „Die GroKo hat keine Mehrheit. Sie schwächt alle daran beteiligten Parteien. Grüne, AfD und FDP profitieren.“Für den Insa-Meinungstrend wurden zwischen Freitag und Montag insgesamt 2034 Bürger befragt.
Derweil einigten sich die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD nach einer Zwischenbilanz auf eine Verlängerung der Gespräche. Bei den Punkten Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin hakt es noch. Die Koalitionäre wollen deshalb am Dienstag weiterverhandeln und eventuell erst am Mittwoch in Berlin einen Koalitionsvertrag vorstellen.
Der Wille zur Einigung war jedoch spürbar. „Das wird schon gelingen“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Abend, als die Unterhändler der Union erneut ins Willy-Brandt-Haus gerufen wurden. Am Dienstag sollen die Verhandlungen wieder in der CDU-Zentrale geführt werden. Für die SPD stellt sich auch die Frage, ob beim Gelingen einer Großen Koalition ihr Chef Martin Schulz ins Kabinett eintreten soll - und wann er das der Öffentlichkeit mitteilt.
BERLIN - Rund 200 Seiten stark soll er sein, der neue Koalitionsvertrag. Und wenn alles gut geht, wird er am Dienstag in Berlin vorgestellt – möglich ist auch, dass sich die Gespräche zwischen SPD und CDU noch bis in den Mittwoch hineinziehen.
Zuvor wird noch hart gerungen. Gegen Abend kommen die CDU-Unterhändler am Montag zurück ins Willy-Brandt-Haus. „Ich kann Ihnen aber nichts Erhellendes sagen“, meint der neue schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther. Aber, so wägt er ab, es werde wohl etwas zustande kommen, „denn sonst wären wir ja abbestellt worden“. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) strahlt beim Betreten des Willy-Brandt-Hauses. Und auch CDU-Vize Julia Klöckner ist zuversichtlich, dass bald eine Einigung gelingt. Sie hat ihren Rückflug auf Dienstag verschoben. Jetzt wird sie nochmal umbuchen müssen.
Die Hürden sind groß
Während die Journalisten in der Kälte vor dem Willy-Brandt-Haus stehen und warten, dreht sich die Tür ein ums andere Mal. Es ist ein Kommen und Gehen, die meisten sind heiter. Am guten Willen der Beteiligten liegt es nicht. Trotzdem rechnet CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schon zu Beginn der Gespräche mit einer schwierigen Endphase. „Der Wille ist da, ich glaube von allen Seiten. Aber die Hürden sind auch noch groß“, sagt er. „Da kann das Ganze heute gelingen oder nochmal schwierig werden.“
Auch Familienministerin Katarina Barley (SPD) sagte im Sender SWR2, der Wille zur Einigung sei auf beiden Seiten da. Aber „solange wir nicht ganz bis zu Ende sind, ist eben noch kein Haken dran“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer erwarteten von vorneherein eine neuerliche Nachtsitzung, um endlich den Haken zu machen. Und, darauf weist die SPD gerne hin, so lange dauere das Ganze ja nun auch nicht. Man verhandele erst eine gute Woche, und dass dies den Leuten so unendlich lange vorkomme, liege doch an den vorgeschalteten gescheiterten Jamaika-Verhandlungen und nicht an der SPD.
Die Finanzexperten sitzen auf jeden Fall schon am frühen Morgen im Willy-Brandt-Haus zusammen, immer wieder abgelöst von kleinen und großen Arbeitsgruppen. Die gute Finanzlage erlaubt den Koalitionären einiges: Steuern senken und Renten auf dem bestehenden Niveau halten, mehr Kindergeld und ein Baukindergeld, mehr für Bildung und Pflege und nicht zuletzt eine Beschleunigung des Internets und die Beseitigung der letzten weißen Flecken auf dem Land. Viele der geplanten Maßnahmen sind teuer.
Doch noch bevor der Koalitionsvertrag steht, beginnt die öffentliche Kritik. „Wenn Macron die Inhalte präsentieren würde, dann wären sie modern, hip“, ärgert sich CDU-Vize Armin Laschet über die Kritik, die vor allem schon aus SPD-Reihen kommt.
Denn die Sozialdemokraten hadern noch. Mühsam haben sie Kompromisse errungen. Und Karl Lauterbach, der SPD-Gesundheitsexperte, kämpft bis zuletzt um einen Einstieg in die Bürgerversicherung. Das Ende der sachgrundlosen Befristung und die Bürgerversicherung sind die beiden dicksten Brocken der SPD. Schließlich muss die Partei ihren Mitgliedern die neue GroKo am Ende schmackhaft machen. Wer bis zum 6. Februar, 18 Uhr, in die SPD eingetreten ist, darf beim Mitgliederentscheid abstimmen, den Daumen hochheben oder senken.
Juso-Chef Kevin Kühnert, der Initiator der NoGroKo-Bewegung, hat den Daumen auf jeden Fall schon gesenkt. Er wird in diesen Tagen viel interviewt, er kommt auch gegen Abend wieder zum Brandt-Haus, er bleibt bei seiner Haltung. Die SPD solle keine schrägen Kompromisse eingehen, meint Kühnert. Und dass die SPD so oder so verlieren werde, fügt er schon vorsichtshalber immer dazu. Denn immer wieder wird er gefragt, was denn eine Neuwahl für die SPD bringe. Welche Ressorts an wen
gehen, das soll der neue Vertrag denn auch schon enthalten. Personelle Fragen aber noch nicht, dabei sind viele in der SPD vor allem gespannt, ob denn nun ihr Chef ein Ministeramt anstrebt oder nicht.
Das alles findet Hilde Mattheis nicht so wichtig, es gehe doch um die Inhalte der SPD. Die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke bereitet sich schon auf den Mitgliederentscheid vor. „Wichtig ist, dass Augenhöhe hergestellt wird“, fordert Mattheis. Die Ulmer SPD-Bundestagsabgeordnete wünscht sich, dass auch die Argumente der Gegner einer Großen Koalition ausführlich dargestellt werden. Es gebe nicht nur die Jusos um Kevin Kühnert, auch viele ältere SPD-Mitglieder wünschten sich dies, meint Mattheis.