Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Das Spiel der alten Herren
Claus Peymann kehrt als Gast an das Schauspiel Stuttgart zurück – Ein herausragender Martin Schwab gibt einen sanftmütigen, aber cholerischen „King Lear“
STUTTGART - Er zählt zu den bedeutendsten Intendanten der Nachkriegszeit und ist an den Startpunkt seiner Karriere zurückgekehrt, um dort den schmerzlichen Schlusspunkt eines royalen Lebenswerks zu inszenieren: Fast vier Stunden blättert Claus Peymann in Shakespeares dramatischem Spätwerk „King Lear“. In der Titelrolle der große Martin Schwab.
Als er vor 40 Jahren als Stuttgarter Schauspieldirektor die Schauspieler um sich versammelte, mit denen er seine außergewöhnliche Karriere als Theaterchef begründete, war Claus Peymann ein vierzigjähriger Gipfelstürmer. Die Stuttgarter lernten ihn erst so richtig lieben, als er nach Bochum und später ans Wiener Burgtheater weitergezogen war. Heute, da er als Intendant ohne Theater die Tragödie eines Königs ohne Königreich inszeniert, tauchen die Stuttgarter mit Peymann in eine längst versunkene Theaterwelt ein. Und sie erinnern sich an eine Zeit, als auch sie mehr oder weniger jung waren. Damals war Peymann noch der Regiekumpel von Autoren wie Peter Handke und Thomas Bernhardt. Große Shakespeare-Dramen von „Richard III“bis „Macbeth“inszenierte er schon immer, den alterstoltermacher, len Lear hat er sich aufgespart und für die Titelrolle den großen Martin Schwab vom Wiener Burgtheater ans Stuttgarter Schauspiel geholt.
Bevor aber der erste Scheinwerfer aufleuchten konnte, war da diese Stuttgarter Aufregung angesichts der bevorstehenden Inszenierung eines Shakespeare-Textes und der Selbstinszenierung eines Claus Peymann. Hier der alte Lear, der ohne Not das Königreich England unter seinen Töchtern aufteilt. Nach dem Akt einer scheinbar aufkeimenden Altersweisheit will er in seine Latifundien zurückkehren, wird aber von seinen älteren Töchtern schnöde verstoßen. Und dort Claus Peymann, der im Sommer 2017 zähneknirschend den Thron am Berliner Ensemble räumte und nun als Chefrentner im Unruhestand eine seine früheren Latifundien besucht – um dort vom Publikum wie ein Bühnenmessias aus einer Zeit begrüßt zu werden, als Theaterchefs noch Kurfürsten sein durften.
Irgendwann ging es dann aber nicht mehr nur um die Vergangenheit eines Theatermachers, sondern um die Gegenwart einer Inszenierung, in deren Vorfeld Claus Peymann zu Protokoll gegeben hatte: „Wir wollen das ganze Stück spielen, wir wollen Menschen auf der Bühne haben.“Da war er wieder, dieser selbstbewusste Thea- der im zarten Alter von 62 bei seinem Amtsantritt am Berliner Ensemble zu Protokoll gab, er sei der „Reißzahn im Regierungsviertel“. Der dann aber dummerweise als Hirschgeweih an der Schlafzimmerwand der Berliner Republik landete. Heute ist Peymann 80, sieht aus wie 62, und macht sich zusammen mit dem gerade mal fünf Monate jüngeren Martin Schwab auf eine Reise ins Innere eines altersstarren Ex-Königs.
Zu Beginn könnte man meinen, dieser Lear sei ein Frührentner, der sich darauf freut, endlich auch mal einen draufmachen zu können. Schwab zeichnet einen Kreidekreis auf den Boden, teilt das Reich auf und verflucht gleichzeitig seine Töchter Goneril (Manja Kuhl), Regan (Caroline Junghans) und Cordelia (Lea Ruckpaul) derart bösartig, wie man das als Vater eigentlich nicht tun sollte.
Schwab spielt allerdings nicht die altersbittere Tretmine, sondern den sanftmütigen Herrn mit cholerischen Anfällen. Dass da einer der großen deutschsprachigen Schauspieler am Werke ist, leuchtet immer dann auf, wenn Shakespeares Narr dem abgedankten Monarchen die Leviten liest. Da ist Martin Schwab ein nachdenklicher Grandseigneur, der allmählich versteht, dass dieser philosophische Gaukler an seiner Seite mehr vom Leben und den Menschen versteht, als er, der König, je verstehen wird.
Lea Ruckpaul in einer Doppelrolle
Schwab gegenüber steht Lea Ruckpaul, die am Anfang und Ende der Tragödie als jüngste Lear-Tochter eine mädchenhafte und unscheinbare Cordelia sein darf. Für den Rest des Abends schlüpft sie in die Rolle des Narren, der eher dem fein geschliffenen und weniger dem witzig-kalauernden Wortspiel zugeneigt ist. Singt Lea Ruckpaul, sind das von Peter Handke ins Deutsche übertragene Lieder einer Närrin. Man könnte meinen, sie sei der Commedia dell’Arte entsprungen oder eine Enkelin der Gelsomina aus Fellinis „La Strada“. Auch Ruckpaul spielt auf einer weitgehend leeren Bühne, die von Peymanns langjährigem Weggefährten und Bühnenbildner Karl-Ernst Hermann als dunkel-leerer Raum gestaltet wurde. Im Vordergrund ein Portal aus Leuchtdioden, ansonsten sind da nur ein stilisierter Königsthron, eine während des ganzen Abends in der Mitte schwebende Königskrone und drei Plexiglas-Schwingtüren.
Die braucht Claus Peymann auch dringlich, um einzulösen, was er „das ganze Stück nennt“und womit er tatsächlich in jenes Zentrum des Abends vorstößt, in dem es gerade bei gereiften Männern um die Differenz von Wollen und Können geht. Denn je länger der Abend fortschreitet, desto mehr ist Peymann ein Regisseur, der im „Lear“wie in einem Bilderbuch blättert. Szene für Szene hakt er ab, als spiele das Ganze nicht auf der Bühne, sondern lediglich in der Fantasie eines Regisseurs. Da sind drei so Türen ganz praktisch, auf dass Schauspieler per Stichwort auftreten und nach Vollzug wieder abtreten können.
Die Vorstellungen am 27. Februar, 2., 3., 8., 16., 31. März, 15., 16. April sind ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse. Ticket für den 28. April unter 0711/20 20 90 oder www.staatstheater-stuttgart.de