Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Tayfünles Männermannschaft
Das dritte 1:0 unter dem neuen Trainer lässt Manager Reschke ins Schwärmen geraten
STUTTGART - Was war das für ein Aufschrei, als der in akuter Abstiegsangst schwebende VfB Stuttgart vor vier Wochen einen neuen Trainer namens Tayfun Korkut verpflichtete, einen 43-jährigen Bad Cannstatter mit türkischen Eltern, der sich erlaubt hatte, aus den 78 Erst- und Zweitligaspielen in seinen bisherigen drei Bundesligastationen lediglich 1,11 Punkte im Schnitt zu holen. Im Internet wurde Korkut gemobbt und gedisst, gedemütigt und erniedrigt, und manche Menschen hätten sich schon damals fragen sollen, ob sie nicht erniedrigen, um sich selbst (und ihr Besserwissertum) zu erhöhen.
Es gab sicher Gründe, warum Korkut ergebnistechnisch eine eher durchwachsene Vergangenheit hatte, in der Branche aber galt der LöwFreund von jeher als ausgewiesener Fußballkenner. Dass jeder Mensch eine zweite, im Zweifel auch eine vierte und achte Chance bekommen sollte, sieht man inzwischen in Stuttgart. Nach dem Sieg über Eintracht Frankfurt am Samstag, dem dritten 1:0 in Folge, hat dieser Tayfun Korkut es doch tatsächlich geschafft, zehn Zähler aus seinen ersten vier Partien zu holen, ein Traumschnitt, den zu Amtsbeginn zuletzt ein gewisser Willi Entenmann am Wasen schaffte. Dank des vermaledeiten Nachfolgers von Hannes Wolf dürfte eines nach 24 Spieltagen bereits sicher sein: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, sollte der VfB noch direkt absteigen angesichts von 13 Punkten Vorsprung auf den Tabellenvorletzten Hamburger SV. Und auf den Relegationsplatz hat das Korkut-Team bereits sechs Zähler Distanz.
Wie es möglich ist, aus einer verunsicherten Elf in so kurzer Zeit ein Team zu formen, das in vier Spielen nur ein Törchen kassiert und in der Abwehr neuerdings die Beständigkeit eines sommerlichen Azorenhochs ausstrahlt? Nun, ganz einfach: Man setze dank des neuen Nationalstürmers Mario Gomez und eines lange missachteten, potenziell großartigen Angreifers namens Daniel Ginczek – der gegen Frankfurt in glänzender Manier das 1:0 vorbereitete – zunächst einmal auf ein neues System, das 4-4-2. Sodann ändere man das Mittelfeld fast komplett, um die Stürmer gut abzusichern und zu unterstützen. Man besetze es links mit einem unbekannten, laufstarken Novizen namens Erik Thommy (der zum 1:0 abstaubte), rechts mit dem langjährigen, nicht weniger laufstarken Zentralspieler Christian Gentner – und innen mit dem eigentlichen Innenverteidiger, aber souveränen Spielaufbauer Holger Badstuber und einer Zweikampfmaschine namens Santiago Ascacibar. Schließlich setzte man in der Innenverteidigung auf zwei so ehrgeizige wie durchsetzungsfähige 21-jährige Youngster wie Timo Baumgartl und Benjamin Parvard, flankiert von ruhig-abgeklärten Routiniers wie Emiliano Insúa und Andreas Beck. Heraus kommt dann, wenn man im Training viel vorarbeitet und im Spiel das nötige Schlachtenglück hat, eine Mannschaft, die kaum mehr etwas zulässt, immer relativ zeitnah das 1:0 schießt und dann hinten die Riegel dicht macht, indem sie diesen Badstuber nach hinten zieht und auf ein 5-4-1-System setzt.
Die zweitbeste Abwehr der Liga
All dies initiierte dieser offenbar doch recht taugliche Tayfun Korkut, und genau in diesem minimalistischmaximalen Stil führte er seine Mannschaft zu einem 1:0 über Gladbach (damals noch mit Aogo statt Badstuber), zu einem 1:0 in Augsburg und nun zu einem 1:0 über den Ligadritten aus Hessen. Kein Wunder, dass jener Mann, der Korkut gegen den Widerstand der Wasenwelt verpflichtete, nun ziemlich zufrieden ist mit seinem Werk. Der VfB sei unter Korkut eine „richtige Männermannschaft geworden“, schwärmte Manager Michael Reschke, „das ist eine unglaubliche Qualität“. Die Abwehr, inzwischen mit nur 27 Gegentoren die zweitbeste der Liga (der Sturm bleibt zumindest auf dem Papier der zweitschlechteste) –, sei schlichtweg „überragend“und Baumgartl und Pavard“für ihr Alter absolut herausragend“.
Es tat vielleicht ganz gut ob all der Reschke’schen Euphorie, dass der komplette Rest des VfB – Korkut selbst und die Spieler – so geerdet blieb wie nur möglich. Die Sterne vom Himmel gespielt hatten sie gegen die ungewohnt schwache und vom Boatengund Mascarell-Ausfall geschwächte Eintracht schließlich nicht. „Wir haben sehr gut verteidigt und verdient gewonnen. Die Punkte tun sehr gut, morgen arbeiten wir weiter. Es läuft nichts von selber“, sagte Stuttgarts neuer Wundertrainer lakonisch, immerhin: Verteidiger Beck plauderte etwas aus dem Nähkästchen. Man versuche, hinten mehr zu doppeln, im Spiel viel mehr miteinander zu reden, dafür zu sorgen, dass jeder den Mitspieler hinter und neben sich spüre, das habe Korkut dem Team mitgegeben.
Einfache, für den VfB aber heilsame Fußballweisheiten. Im Internet zumindest lästert niemand mehr über diesen Korkut, der am Sonntag bei Schlusslicht Köln die Chance hat, den frischen Wind, den er brachte, zu einem kleinen Taifun auszubauen. Ein Taifünle, wie Schwaben sagen würden.